Hallo Zora,

Antwort auf:
Kurze Anmerkung auch zu dir Jasmin. Ich kenne dich nicht aber ich frage mich ob ihr euch auch ausserhalb des Forums irgendwie mit Marokko beschäftigt? Ich gehöre zu den Personen, die keinen Marokkaner auf der Seite haben, gehe aber davon aus, dass die Mehrzahl hier im Forum ihre Verbindung zu Marokko fast nur über ihren Partner identifizieren.


für dich bedeutet also, einen marokkanischen Partner zu haben, dass man keinen besonderen Bezug zu Marokko hat, und sich nur über den Partner identifiziert? Du lebst halt in Marokko und identifizierst dich mit deiner Rolle als Geographien.Andere hingegen verbringen zwar tatsächlich nur ab und an mal ein paar Wochen in Marokko, sind aber in marokkanische Familien eingebunden, was wiederum ganz andere Bezüge zu Marokko, Leute und Kultur eröffnet. Es geht nicht um eine Wertung der unterschiedlichen Bezüge zu Marokko, es muss nicht jeder in Marokko leben oder eine Geographien sein oder ein Unternehmen haben, wie ja auch Thomas immer wieder einwirft, dass man nicht mitreden kann, wenn man diesen Kriterien nicht entspricht. Ich würd mal sagen, dass ich einfach einen anderen Bezug zu Marokko habe als du oder jemand anderer. Davon abgesehen sagt das aber noch nicht alles über die eigene Sichtweise und die Haltung aus. Diese ist ja ganz unterschiedlich. Wenn ich mir zum Beispiel einen Thomas und den Najib anschaue, die in Marokko sesshaft sind, dann sind das ganz unterschiedliche Welten, wie die Marokko, "der" marokkanischen Kultur und Leuten begegnen. Und genauso wird man auch extreme Unterschiede finden können zwischen denen, die halt nur ab und an mal in Marokko sind oder "nur" eine marokkanische Schwiegerfamilie haben.

Und genau darum ging es mir bei der "Pistenkuh" - die eigenen Haltungen, die Sichtweisen, die Perspektiven, die in den Reiseberichten zum Vorschein kommen. Ganz gleich, ob du als Unternehmer, als Geographien, Ethnologien oder nur als Tourist in Marokko bist: die Bezüge sind sicher auch dadurch geprägt, aber der individuelle, persönliche Blickwinkel, sagt mehr über den Betrachter aus und spiegelt weniger Realitäten. In der Pistenkuh lese ich folgendes heraus:

Ein Paar, dass fasziniert ist von "Abenteurreisen" in "exotische" Länder und Kulturen. Mit viel Begeisterung schildern sie ihre gesammelten Erlebnisse. Ganz wichtig dabei die Pistenkuh. Erkennen kann ich dabei hauptsächlich die Liebe zu "Abenteuer" an sich: was sie dort alles erlebt haben, Aufregendes, Turbulenzen etc. So richtiges positive Interesse und Bezug zu den Leuten in den bereisten Ländern, erkenne ich aber nicht wirklich. In den Berichten erkenne ich die Faszination für das Abenteuer, die Erlebnisse, aber auch eine bestimmte distanzierte Haltung und teils negativen Blick auf die "Fremden". Und dieser sagt recht viel über jemanden und sein Weltbild aus. Gewiss man mag schon sehr aufmerksam lesen, und einigen Betrachtern fällt es schon gar nicht auf, weil ihnen vieles als Normal erscheint, selbst einen gewissen Blick internalisiert haben..

In ihren Geschichten erkenne ich, wie sie auch auf mehr oder weniger subtile Weise auch ein Bild von sich als "fortschrittlich" und "überlegen", und den "Fremden" als "unzivilisierten Unterlegenen" entwerfen:

Marokko
Die Einreise nach Marokko war völlig problemlos. Vorbei das Chaos, das vor einigen Jahren an der Grenze herrschte. Jetzt werden Marokkaner von den Touristen getrennt abgefertigt und alles geht schnell und zivilisiert – na ja, halbwegs - ab. Grosses Gedränge und Gehupe gibt es nur noch an dem Schalter, der für die Marokkaner reserviert ist.
Die Uhr stellen wir zwei Stunden zurück, mehr ein symbolischer Akt, denn eigentlich müssten wir die Zeit 200 Jahre und zwei Stunden zurückdrehe
n.


Sein überhobenes Selbst sieht man auf den Reisen sehr gern von den "Fremden" bestätigt:

Wir genießen überall hohes Ansehen. „Allemande, c´est bon“ und dazu den gehobenen Daumen.

Und denkt, man müsse ihnen dankbar sein, dass man für sie arbeiten darf:

Am späten Nachmittag sammelten wir sonst etwas Feuerholz am Strand, doch diese Arbeit lassen wir nun gegen geringe Gebühr von einem Marokkaner machen, der sich freut ein paar Dirham zu verdienen.

Wir brauchen Wasser, möchten ein paar Lebensmittel (Kartoffeln, Zwiebel, Cola) kaufen, uns den Ort ansehen und einen preiswerten Camping finden. Alles kein Problem. Wir könnten im Garten seiner Familie campen, Wasser bei seinem Haus bekommen, seine Familie könnte für uns kochen wie im Restaurant, er wäre so froh, wenn seine Familie etwas Geld verdienen könnte. Okay, die Chance sollen sie haben, zumal die Preise wirklich günstig sind


Ist ja echt sehr großzügig, dass der Marokkaner für sie arbeiten "darf", scheint ein richtiges Privileg zu sein für den reichen Europäer zu arbeiten..

Diese Stellung besitzt man dann natürlich von Haus aus in ganz Afrika, wo man dann auch zB mangelnde Hygiene allerorts beklagt ("die haben von Hygiene noch nie was gehört“) und Dorflehrer herbeizitiert, um das Volk aufzuklären, was natürlich nichts bringt und am Ende hinterlässt man wieder ein primitives, unhygienisches, unaufgeklärtes Volk.
An der eigenen Glaubwürdigkeit hat es wenigstens nicht gemangelt:

die Einheimischen glauben den Weißen einfach alles. Jetzt ist uns auch klar, warum so viele Missionare hier ihr Paradies gefunden haben.


Mit cleverem Intellekt ausgestattet, überwindet man dann auch alle möglichen Hindernisse auf den Reisen, ein richtiger Abenteurer weiß sich natürlich in allen Belangen zu helfen:

Die Grenzabfertigung Marokko – Mauretanien gab einen Vorgeschmack auf tiefstes Afrika, aber nach drei Stunden war der Budenzauber vorüber. Die Mauretanier kontrollierten ausgesprochen gründlich, viel gründlicher als ich es in Erinnerung hatte. Und das Ganze gleich vier Mal und jedes Mal mit Bettelei nach Uhr, Handy, Sonnenbrille, Jeans oder sonstigen Dingen verbunden, mit denen man bei den Kollegen Eindruck schindet.

Der Grenzübertritt von Mauretanien nach Senegal gestaltet sich schwierig.
Der Zöllner macht die Eintragung des Fahrzeuges in meinem Reisepass ungültig und will dafür eine Gebühr von 10,- Euro. Die gleiche Summe, die auch bei der Einreise gefordert wurde, die wir dort aber mit List und Tücke umgehen konnten.

Wir zahlen hier gar nichts mehr. Zero. Null. Dummerweise entwickelt sich aus der Verhandlung recht schnell ein Streit zwischen dem Zöllner und mir, mit dem Resultat, dass ich aus seinem Büro fliege, er den Laden abschließt und Feierabend macht. Mein Carnet liegt natürlich noch unbearbeitet auf seinem Schreibtisch.
Sabine ist etwas sauer. Sie hält nicht viel von meinem Verhandlungsgeschick: „Für knapp fünf Euro streitest du stundenlang mit dem Schwarzen rum und am Ende sind unsere Papiere weg und wir können an der Grenze übernachten. Dazu noch ohne Wasser und immer noch schlammverkrustet. Das ist doch nicht dein Ernst?


Der arme Burkhard, jetzt hat er doch so so wacker mit List und Tücke sich vor etlichen Zahlungen gedrückt und schon so viele "Euros" gespart und die Sabine wirft ihm vor, was er für 5 Euro mit dem "Schwarzen" herumhandelt.
Lustig, dass selbst in Afrika hinzugefügt werden muss, dass jemand ein "Schwarzer" ist. Scheint wohl für die auch in Afrika selbstverständlich, dass "der Schwarze" der "Andere" ist. Aber das dann übertrifft es fast noch:

Auffallend sind die vielen Schwarzafrikaner(innen). Wir fragen uns: „Was machen die ganzen negriden Menschen hier?

Die Sprache wie gewisse Vorstellungen hat er sicher aus seinen Kinheitsbüchern wie ich schon vermutete und was auch bei manch so einem anderen "Abenteurer" immer wieder erkennbar ist:

Afrika wie im Bilderbuch

Es sieht genau so aus wie in einem Bilderbuch, das ich als Kind hatte. Runde Lehmhütten mit Bast gedeckt, daneben ein paar Esel und Ziegen. Feuer, auf dem gekocht wird und Brunnen, aus denen mit Eimern das Wasser gezogen wird. Nur die Baströcke der Frauen sind durch bunte Tücher ersetzt. Und in meinem Kinderbuch stand nicht, dass alle nach Geschenken betteln.


Als großer Entdecker, hat er natürlich etwas darüberhinaus entdeckt: nämlich die lästigen bettelnden Menschen, in denen in sämtlichen Reiseberichten immer wieder hingewiesen wird. Nicht, dass sie schon unzivilisiert, unhygienisch sind, sondern auch noch betteln, ist ja echt eine Frechheit gegenüber dem weißen europäischen Mann..

Interessant ist, dass auch der "Müll, Dreck, schrottreife Autos und jede Menge Fliegen" immer wieder nachdrücklich erwähnt werden müssen. Ein Muster, das bei so manch einem beobachtbar ist. Was steckt dahinter? Die Faszination des Grauens??? Dass sogar in Foren Threads über Müll und Dreck eröffnet werden, weil es ein so spannendes Diskussionsthema ist.
Nicht, dass ich gegen eine Behandlung von Problematiken, wie Müll wäre. Nur ist es schon ein Unterschied, ob tatsächlich in einem professionellem Rahmen an Lösungen gearbeitet wird. Oder von mir aus auch mal erwähnt wird, dass Müll mancherorts schon ein zu berücksichtigendes Problem ist. Aber extra Müllthreads eröffnen, in denen man dann nur herumjammert und aufzeigt, wie schlimm das mit dem Müll in Marokko ist, sehe ich als genauso wenig konstruktiv, wie einen Thread zu eröffnen, in dem man mal explizit alles negative von Marokko aufzeigen will.

Dass du, Zora, Marokko gegenüber eine einseitige negative Sichtweise hast, habe ich nicht unterstellt, da hättest du nicht deinen Anfangssatz nochmal zitieren müssen, den hab ich schon bemerkt. Und genauso klar ist mir, dass du mit der Pistenkuh nur eine Anekdote hier reingestellt hast. Aber so wie die Anekdote über die Pistenkuh etwas über den Blick des Schreibers aussagt, sagt es auch etwas aus über mich, wenn ich einen Thread erstelle, um über Marokkos negative Seiten mal zu schreiben und die Anekdote hinzuziehe. Irgendetwas sagt man immer durch etwas Geschriebenes aus.

Nun aber habe ich dir nicht unterstellt, dass du Marokko jetzt einseitig durch eine negative Brille wahrnimmst. Sondern mir ist aufgefallen, dass das zu einem Zeitpunkt Thema wurde, kurz nach einem persönlichen negativen Erlebnis. Und habe mich gefragt, ob dieses vielleicht auch die eigene Wahrnehmung negativ prägen könnte, was schade wäre, weshalb ich meinen Beitrag verfasst habe, in dem ich auch äußerte, dass ich die Pistenkuh teils primitiv und rassistisch finde und nicht gerade Horizont erweiternd..

Nun sagst du, du bist eine in Marokko lebende und auf Marokko spezialisierte Geographien, und nicht eine, die ausschließlich über einen Partner einen Marokko-Bezug hat. Tja liebe Zora, manche hab nun andere Bezugsrahmen als du, und ich will dir deinen auch nicht schlechtreden. Geographie ist sicher auch was spannendes und du hast sicher von vielem eine Ahnung und auch einiges gesehen in Marokko. Für andere ist es halt nicht erstrebenswert, als Geopgraphe durch Marokko zu reisen, sondern haben andere Erfahrungen und Einbindungen. Denen aber zu sagen "ich bin Geographien" oder "Unternehmer" (wie ein Thomas) und "ihr habt eh alle nix zum erzählen" finde ich schon etwas überheblich.

Nun gut, du sagst, du schätzt Marokkos schöne Seiten und verschließt aber nicht die Augen vor den negativen und würdest einfach "hinter die Kulissen schauen", deshalb nun der Beitrag der auch mal Marokkos schlechte Seiten zeigen soll. Warum ich dies eher skeptisch sehe, habe ich erklärt, genauso weshalb ich im Blog der Pistenkuh neokolonialistisch angehaucht rassistische Erzählweisen sehe, was wiederum etwas aussagt über den Schreibenden als auch über begeisterte Leser dieser Erzählungen. Mir ging es rein um den Blick, und nicht, wer wie oft und wie lang und wo schon überall in Marokko oder sonstwo war. Und genau dieser Blick ist es, der unsere Erzählungen schreibt und wenn ich mir vornehme, über all das Negative in irgendeinem Land zu schreiben, dann wird es auch dieser Blick sein, der nicht nur objektiv etwas beschreibt, sondern auch in meiner Wahrnehmung und Darstellung eine Rolle spielt.

Grüße,
Jasmin