Ja, das dachte ich mir schon, daß das eine Projektion war bzw. ein Mißbrauch (besser: der Wunsch war der Vater des Gedankens). Trotzdem war es jetzt eine schöne Gelegenheit das nochmal von Dir direkt zu hören wie das gemeint gewesen sein könnte - denn daß gar nichts dran wäre, habe ich nie angenommen: es muß ja irgendetwas bedeuten, wenn man in mehreren Sprachen "zu Hause" ist wie das viele Marokkaner sind. Selbst wenn sie nicht lesen und schreiben können.

Ich habe mich immer an George Steiner orientiert (jedem sein Kronzeuge)*:

[i]"Ich habe allen Grund zu der Annahme, daß es einen "Donjuanismus" des Polyglotten, einen Eros des Vielsprachigen gibt. Ich glaube, daß ein Mann oder eine Frau, die mehrere Sprachen geläufig beherrschen, je nach der Sprache, die sie verwenden, anders verführen, besitzen und sich erinnern. Daß sich die Liebe des Polyglotten von der des Einsprachigen unterscheidet, der, wie die suggestive Wendung lautet, einer einzigen Sprache treu bleibt".


Josi


*George Steiner: "...Daher der unwiederbringliche Verlust, die Verringerung der Chancen des Menschen, zu der es kommt, wenn eine Sprache stirbt. Mit einem solchen Tod wird nicht nur ein wesentlicher Stammbaum des Erinnerns - Vergangenheitsformen oder ihre Entsprechungen -, nicht nur eine realistische oder mythische Landschaft, ein Kalender ausgelöscht, sondern auch die Konfiguration einer denkbaren Zukunft...Die Auslöschung von Sprachen, die wir jetzt erleben - Jahr für Jahr verfallen Dutzende in unwiderrufliches Schweigen - verläuft genau parallel zu den Verheerungen von Fauna und Flora, aber mit größerer Entgültigkeit. Die Folge ist eine drastische Verarmung in der Ökologie der menschlichen Psyche. Die wahre Katastrophe von Babel ist nicht die Zerstreuung der Sprachen.

Es ist die Reduzierung menschlicher Rede auf eine handvoll weltumspannender, "multinationaler" Sprachen..."