Was sagt Ihr zu folgendem Text? Eigentlich wollen wir im April wieder nach Marokko, aber diese Nachricht trübt unsere Vorfreude etwas. Vielleicht könnte jemand der da wohnt, dazu was sagen?!

Antwort auf:
„Wir sind alle Ägypter“, rufen die Menschen. „Nieder mit der Diktatur, es lebe die Freiheit.“ In der Hauptstadt Rabat, in Fes und Tanger flammten dieser Tage Proteste auf, in denen Tausende Menschen für Demokratie und gegen Armut in Marokko demonstrierten. Die Polizei löste die Kundgebungen umgehend auf. Demonstrieren ist im Reich des 47-jährigen Königs Mohammed VI. nicht erwünscht. Kritische Berichterstattung auch nicht: Der TV-Sender Al Dschasira, der über die Protestwelle berichtet, wurde bereits vor drei Monaten aus Marokko verbannt.
Am 20. Februar sollen im ganzen Land Demonstrationen für „demokratische Reformen“ und gegen die in der Verfassung verankerte Allmacht des Königs stattfinden. Der Aufruf, der im Internet verbreitet wird, findet auch die Unterstützung marokkanischer Intellektueller wie dem Schriftsteller Abdellatif Laabi: „Wir müssen es ihnen laut und deutlich sagen.“ Kein arabisches Land könne sich dem Ruf nach Reformen entziehen. Der Minister für Kommunikation, Khalid Naciri, sagte, die Regierung nehme die Ankündigung „ausgesprochen gelassen“ zur Kenntnis. Das Land befinde sich „in einem langfristigen und unumkehrbaren Prozess der Demokratisierung und Öffnung“, sagte er.
Marokkos König gibt sich gern als moderner Reformer, hält aber die Zügel stramm. Er macht sich offenbar keine Sorgen. Als das politisch-soziale Pulverfass in Ägypten explodierte, flog Mohammed, den seine Untertanen hinter vorgehaltener Hand als „Partykönig“ titulieren, zur Erholung in seine Luxusvilla im französischen Betz bei Paris. Mohammeds Cousin Moulay Hicham, wegen seiner liberalen Einstellungen der „rote Prinz“ genannt, warnt vor einem Übergreifen der Unruhen: „Marokko wird keine Ausnahme sein. Fast alle autokratischen Systeme werden durch die Proteste erreicht.“ Vier junge Männer folgten in Marokko in diesen Wochen dem Beispiel des Tunesiers Mohammed Bouazizi: Sie starben durch Selbstverbrennung. Als sich 40 arbeitslose Lehrer vor dem Erziehungsministerium in Rabat
anzünden wollten, schritt die Polizei ein. „Wegen der Verzweiflung“, sagt Gewerkschaftssprecher Omar Buarfa, „sind die Marokkaner zum Äußersten bereit.“ In Marokko sind Armut und soziale Ungleichheit noch viel ärger als in Algerien, Tunesien oder Ägypten. Mindestens ein Viertel der Jungakademiker steht ohne Job da, etwa 20% der Marokkaner müssen mit weniger als einem Euro am Tag leben.
König Mohammed dagegen schwimmt in einem Privatvermögen von 2,5 Mrd. Dollar. Die demokratisch-moderne Fassade Marokkos mit bunter Parteienlandschaft und demonstrativer Frauenförderung ändert wenig an der Tatsache, dass Entscheidungen weder im Parlament noch in der Regierung, sondern im Palast getroffen werden. Dort hält man ungeniert die Hand auf. Korrupte Praktiken sind an der Tagesordnung.
Es gibt in Marokko viel sozialen Sprengstoff: Eine hoffnungslose junge Generation träumt von Europa. Die Islamisten werden stärker und würden sogar Wahlen gewinnen, wenn man sie denn ließe. Die Volksgruppe der Berber, Marokkos Urbevölkerung, fühlt sich in der von den Arabern dominierten Gesellschaft benachteiligt. In der von Marokko besetzten Westsahara schwelt ein Konflikt, der oft zu gewaltsamen Zusammenstößen führt.
Der marokkanische Regimekritiker Aboubakr Jamai warnte aus dem Pariser Exil: „Wenn Marokko in die Luft fliegt, wird die Revolution wegen der großen Schere zwischen Arm und Reich blutiger als in Tunesien.“

© SN/SW



In der Wüste kann man sich nur einmal verirren.