Re: "Internierungslager am Rande der Sahara"
#49322
05/08/04 10:00 PM
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Farnmausi
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Der Geist war willig aber nun; Elivre ... nur mal einen alten "nicht dummen Mann" zitierend; glaube keine Statistik die du nicht selber gefälscht hast ...soviel vom alten Churchill ...dann hüte dich vor Informationen durch Medien ...denn diese erzählen dir exact nur das welches Politiker/Könige und Machthaber dieser Welt... (beliebig fortsetzbar) für das Laufvolk für angemessen halten ... aus all diesem filtere mit deinem eigenen Verstand das "glaubbare" heraus ...und dann ... lesen wir uns sicher wieder
Träume nicht vom Leben, lebe Deinen Traum
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Re: "Internierungslager am Rande der Sahara"
#49323
06/08/04 09:51 AM
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Ich wuchs in einem kleinen Bauerndorf auf. Als ich noch ein kleiner Bub war durfte ich miterleben, wie einige "Junge Männer" (plus/minus 20) das Kaff verließen, um sich im Rheinland, in Stuttgart, in xy-Stadt usw.., eine goldene Nase zu verdienen. Alle wußten, dort gibt es viel Arbeit und hohe Löhne (im Vergleich zu uns). Ganz tollen Lebensstandard noch dazu, pralle Auto's und anmutige "Düsseldorferinnen" (haben wir Buben immer gesagt). Die jungen Männer kamen immer wieder auf Heimaturlaub und sie unterschieden sich zu den hierigen in Auftritt und Ausstattung usw...!
Und soweit ich mich erinnern kann, war das Hauptthema immer die "Arbeit", viel und gut bezahlte Arbeit. Es ging um "Arbeit" und alles andere (Luxus...) war immer die logische Schlußfolgerung . Und auch, daß sie in eine Rentenkasse einzahlen, um, falls sie im Alter wieder in unser Bauerndorf zurückkehren sollten, eine stolze Rente einstreifen können.
... aber von "Sozial...irgendwas", wie kann ich es so anstellen, daß ich mit maximalem Nixtun Abzocke erschleichen kann - all diese Begriffszusammenhänge waren unbekannt.
Und es ist auch heute noch so, wie vor 40 oder 50 Jahren, der Tüchtige braucht sich keine Sorgen machen, es gibt mehr Arbeit, als man überhaupt "arbeiten" kann, alles andere (Wohlstand, Luxus, soweit das Auge reicht...) ist "Automatik".
Der erste Schritt dazu? Lediglich "A.rsch hoch und auf die Beine!" AvP.
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Re: "Internierungslager am Rande der Sahara"
#49324
06/08/04 06:18 PM
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Farnmausi
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...schlichte Korrektur; als Moderatorin und politisch aktive Bürgerin weiß ich um die Bilanzkosmetik; ...wir haben real locker um die 7,5 Millionen Arbeitslose (Deutschland) ... soviel nur zur Info ... Grüßele Farnmausi die sich aus dieser Diskussion besser heraushält
Träume nicht vom Leben, lebe Deinen Traum
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Re: "Internierungslager am Rande der Sahara"
#49325
06/08/04 06:41 PM
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Thomas Friedrich
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Farnmausi,
was die Bilanzfälschungen angeht, da hast Du sicherlich absolut recht, was den anderen Teil der Diskussion betrifft, so meinst Du es gut aber Dir fehlen viele Jahre Auslandserfahrung, um solche Dinge aufgrund von Menschen.- und Landeskentnissen zutreffend beurteilen zu können.
Beste Grüße Thomas
In Marokko ist alles möglich nur nichts schnell.
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Re: "Internierungslager am Rande der Sahara"
#49326
07/08/04 01:08 AM
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Elvire
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Guten Abend, @Farnmausi, mit grossem Erstaunen lese ich diese von Dir an mich adressierte äusserst unhöfliche Aufforderung und halte besser die Klappe Nichts gegen konstruktive Kritik, ganz im Gegenteil, sie ist willkommen und belebt jede Diskussion! Hast Du eigentlich nicht die höfliche Umgangsform, die in Marokko gepflegt wird bei Deinem letzten Aufenthalt beobachtet? Oder ist man/frau in Deinem Alter nicht mehr lernfähig?
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Re: "Internierungslager am Rande der Sahara"
#49327
07/08/04 05:06 PM
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Farnmausi
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Hallo Elivre,
endschuldige bitte aber die Aufforderung galt für mich; niemals für Dich. Sorry ...ich gehöre zu den Menschen die auch gerne mal mit sich selber reden und gebe dies auch "leider" /da mißverständlich ... in meinen Beiträgen kund; also nochmals... es ist besser mich nicht mehr an weiterer Diskussion zu diesem Thema zu beteiligen; dies und nur dies war gemeint ...Grüßele Farnmausi
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Re: "Internierungslager am Rande der Sahara"
#49328
07/08/04 05:29 PM
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Hallo Farnmausi, na dann ist ja alles klar! Sämtliche Missverständnisse ausgeräumt. Noch ein superschönes, sonniges WE Dir + allen anderen ForumsteilnehmerInnen.
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Re: "Internierungslager am Rande der Sahara"
#49329
07/08/04 06:30 PM
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nach einer neuen umfrage sind 48% der deutschen fuer schily's vorschlaege und 41% dagegen. ich habe mich inzwischen der minderheit angeschlossen und glaube nicht mehr an den sinn solcher "internierungslager". allerdings weniger aus "moralischen" gruenden. die diskussion hier und hat mir klar gemacht, dass meine erste reaktion, die vorschlaege fuer vernuenftig zu halten, nicht haltbar ist. sage keiner, man koenne in einem forum nichts lernen lobozen
speerspitze der aufklaerung
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Re: "Internierungslager am Rande der Sahara"
#49332
09/08/04 12:16 AM
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Aber wirklich, Lobozen! Du haettest auch gleich zugeben koennen das wir Recht haben! MfG SOULIMAN
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Re: "Internierungslager am Rande der Sahara"
#49333
09/08/04 12:31 PM
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achwas, souliman, dann haette ich dich doch um eine kleine freude gebracht und mich um die einsicht, dass man auch mit falschen praemissen zu richtigen ergebnissen kommen kann lobozen
speerspitze der aufklaerung
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Re: "Internierungslager am Rande der Sahara"
#49334
19/08/04 01:41 AM
19/08/04 01:41 AM
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Elvire
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Guten Abend, nachdem sich die Wogen zu diesem Thema etwas geglättet haben, mache ich auf einen Artikel in der heutigen SZ aufmerksam: "Ceuta gehört zu Spanien, liegt in Marokko und zeigt: Jeder Zaun zieht Flüchtlinge an." http://www.sueddeutsche.de/kultur/artikel/445/37408/
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Re: "Internierungslager am Rande der Sahara"
#49335
01/10/04 05:30 PM
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Hallo Leute, hier ist ein neuer Artikel zu dem Thema, der Schilys Ansichten und Vorgehensweise nicht gerade Recht gibt! spiegel MfG SOULIMAN
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Re: "Internierungslager am Rande der Sahara"
#49336
01/10/04 06:09 PM
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Re: "Internierungslager am Rande der Sahara"
#49337
04/10/04 01:19 AM
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Guten Abend,
das Thema "Auffanglager" nimmt an Aktualität und Brisanz seit ein paar Tagen wieder zu. Nunmehr wird eine "kosmetische" Korrektur angebracht, indem nur noch von "Zentren" gesprochen wird.
Heute abend las ich eine Reportage von dem portug. Journalisten Paulo Moura, die ich hier erstmal auszugsweise poste. Möge sich jeder seine eigenen Gedanken machen....
"Über ein Lager afrikanischer Flüchtlinge vor der Festung Europas - Im Wald von Missnana (Oujda)
Im Wald von Missnana Ein Lager afrikanischer Flüchtlinge vor der Festung Europa Zweite Folge einer zweiteiligen Reportage in Publica, dem Magazin der Tageszeitung Publico, Lissabon 2003
Juliete, die Schwester des Pastors, hat heute bereits fünfmal Eis auf ihre Perücke gelegt. Fünfmal den blauen Lidschatten aufgefrischt, sich einparfümiert, die tief dekolletierte Bluse aus- und wieder angezogen, desgleichen die engen, mit Flitter besetzten Jeans und die schrägen Plateausandalen. Sie tritt aus der Pension und steht mitten im Getümmel, Prostituierte und Drogendealer drängen sich auf dem Platz. Sie macht ein paar ungelenke Schritte auf ihren Sandalen, wirkt, als sei sie nicht ganz da. Es regnet. Sie ist 19 und weiß nicht, warum man sie in diese Stadt gebracht hat.
Livingstone und Benjamin waschen sich wortlos mitten im Wald von Missnana. "Ein versteckter Ort", hatten sie erklärt, bevor sie sich mit Wasserflaschen ins Dickicht schlugen, um sie an einer Quelle zu füllen. Sorgsam seifen sie ihre schwarzen muskulösen Körper ein, nackt und selbstbewusst, wie Leute, die sich ihrem Schicksal stellen, ziehen ihre ebenfalls gewaschenen Kleider wieder an und gehen zurück in ihre zanga, ein anderes Versteck.
"Von den 56, die hier waren, ist nicht einer mehr da, so ein Pech aber auch. Wären Sie nur früher gekommen. Sie haben sie schon mitgenommen", sagt der Mann im Leichenschauhaus. Gegen ein Trinkgeld hätten wir uns die Leichen ansehen, sie photographieren können. "Aber morgen kommen wieder welche rein. Jeden Tag eigentlich."
56 Personen, zu viele, in der Wirklichkeit wie im Traum. Ungewollt in Afrika wie in Europa, waren sie zum Abschaum geworden. Man hatte sie schnell in ein Massengrab geworfen, um Platz zu schaffen. 56 schwarze Leichen waren am Vormittag in das Leichenschauhaus von Tanger eingeliefert worden, und es war folgerichtig, stand außer Frage und spielte auch keine Rolle mehr, dass sie bis zur Unkenntlichkeit entstellt, nur noch Sand und Salz, Wasser und Blut waren: Es kam ohnehin keiner, um sie zu identifizieren. Und so verscharrte man sie am späten Nachmittag.
Livingstone und Benjamin folgen in ihren löchrigen Schuhen und abgetragenen Hosen, tadellos gewaschen und blitzsauber, einem "geheimen Pfad" zwischen den Pinien. Benjamin ist klein und stämmig, Livingstone groß und schmal. Erst geht es einen steilen Fels hinauf, dann einen mit Kiefernnadeln bedeckten Hügel hinab und anschließend gebückt mitten hinein in ein Dornengestrüpp. "Unser Unterschlupf", sagt Livingstone, "hier leben wir." Ein dichtbewaldetes, unebenes, wie terrassiertes Gelände. "Wollt ihr meine zanga sehen?"
Benjamin führt uns zu dem Loch, in dem er und Livingstone einen Teil des Tages verbringen und schlafen - ein Loch als Lebensraum. zanga heißt, wie sie sagen, in marokkanischem Arabisch "Zelt". Eines der wenigen Worte ihres Gastlandes, das sie sich angeeignet haben. Vielleicht aus einer gewissen Dankbarkeit den wenigen Marokkanern gegenüber, die ihnen helfen und freundlich zu ihnen sind. Sie selbst bezeichnen sich als camarades in der Überzeugung, es sei Arabisch und bedeute "Ausländer".
Im Krankenhaus von Tanger liegt eine junge Frau im Sterben. Sie ist schwarz, allein und scheint Aids zu haben, aber keiner weiß es genau oder will es wissen. Keiner, bis auf eine Nonne aus dem Orden der Mutter Theresa, besucht sie. Sonst niemand. Kein Arzt und keine Krankenschwester, und das schon seit langem. Wozu auch? Es lohnt nicht. "Sie kümmern sich nicht um sie, weil sie schwarz ist", sagt die Nonne. "Ich sehe hin und wieder nach ihr und wasche sie." Die junge Frau ist Nigerianerin. Zu Fuß, ohne Begleitung und vom Tod gezeichnet, war sie ins Krankenhaus gekommen. Aus Missnana. Wollte hier geheilt werden oder sterben. Jetzt dämmert sie vor sich hin, halb verhungert, nackt, mit Wunden übersät, im eigenen Kot und Urin.
Sie ist als einzige übriggeblieben von all den jungen Schwarzafrikanern, die hier lagen. Aber es werden neue kommen.
Die zanga bietet kaum genügend Platz für zwei ausgestreckte Körper. Die von Benjamin hat eine Decke als Bodenbelag und ein paar Zweige als Dach. In einer Ecke die noch warme Asche eines niedergebrannten Feuers. "Wir haben es die ganze Nacht an, wegen der Moskitos", erklärt Livingstone. "Aber es darf nur glimmen. Flammen oder Rauch verraten uns." Nur im Winter gibt es hier keine Moskitos. Doch dann kommt der Regen. Und es wird kalt. Wie ist das dann mit dem Schlafen? "So wie jetzt. Nur dass wir nass werden." Und wie werdet ihr wieder trocken? "Das kannst du vergessen. Da ist nichts zu machen." Und die Kälte? "Furchtbar, wir werden krank." Und wer hilft euch dann? "Keiner. Viele sterben."
Die zangas bieten kaum Schutz. Wenn es regnet, verwandeln sie sich in eisige Schlammlöcher. Aber für diese Menschen ist die zanga der einzige Ort, an dem sie sich aufhalten können. Dabei ist sie ein Un-Ort. Zu einer "Unterkunft" wird sie nur durch ihre "Bewohner". An einem Zipfel der Decke erscheint eine riesige Ratte, sichtbar uninteressiert an den anderen Arten, die ihren Wald bevölkern. Sie umrundet die zanga zweimal, ehe sie zwischen den Büschen verschwindet.
"Diese Leute verlassen Missnana nur, wenn sie am Ende sind. Dann kommen sie und bitten um Hilfe", erzählt die Ordensschwester. Die einen klopfen beim Kloster, in der Altstadt, an. Die anderen wenden sich an Krankenhäuser oder versuchen, zu einer internationalen Organisation oder einer Botschaft vorzudringen. Vor ein paar Tagen starb ein Mann direkt vor der italienischen Botschaft. Viele sterben unterwegs, kommen nie irgendwo an.
"Sie haben Lungenentzündung, Tuberkulose, Durchfälle, Hepatitis und Aids", erzählt die Nonne. Anfangs machten die Krankenhäuser mit jedem Schwarzafrikaner einen HIV-Test. Alle waren positiv. Ausnahmslos. Jetzt haben sie die Tests eingestellt.
Viele Frauen kommen in die Stadt, um abzutreiben. Sie hatten sich mit dem Ziel schwängern lassen, auf diese Weise einer Abschiebung in Europa wenige Monate vor ihrer Niederkunft zu entgehen. Bringen sie in Spanien ein Kind zur Welt, können sie es registrieren lassen und somit für sich selbst das Aufenthaltsrecht erwerben. Ein höchst riskantes Vorhaben, das meist scheitert. Die Schwangerschaften nähern sich oftmals ihrem Ende, und den Frauen fehlt noch immer das Geld für die illegale Überfahrt nach Spanien, die in der Regel in einem patera, einem windigen Holzboot, geschieht, oder einem zodiac.
"Manchmal treiben sie noch im siebten oder achten Monat in irgendeiner dieser Pensionen ab. Die meisten sterben dabei", erzählt die Nonne. Und unabhängig davon, ob die Mütter sterben oder überleben, werden die Kinder fast immer ausgesetzt.
(Fortsetzung folgt)
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Re: "Internierungslager am Rande der Sahara"
#49338
04/10/04 04:35 AM
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Farnmausi
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... meine Pahantasie hielt ich für schlimm - dies ist mehr als ich mir in übelsten Träumen vorstellen kann
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Re: "Internierungslager am Rande der Sahara"
#49339
04/10/04 12:58 PM
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haskamp
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mir ist nicht klar, woher paulo mouro seine infos bezieht, aber wie kommen die fluechtlinge ohne geld von missnana nach tanger (ca. 600 km) ausserdem sollte doch nun jeder langsam begreifen, dass eine nachricht, je nach land, total unterschiedlich an uns vermittelt wird, egal ob tv oder presse. kein politiker dieser welt aber wird dieses problem loesen, solange es MREs gibt, die hier im urlaub absolute maerchen von europa erzaehlen, dazu ein beispiel in kuerze: ahmed, der vater von einem schulfreund meines sohnes, erzaehlt mir, dass sein bruder in bremen bei mercedes arbeitet. (in leitender stellung ) er ist mit einer deutschen verheiratet, hat zwei kinder, ein grosses haus und ein dickes auto. so weit so gut, nun macht dieser "leitende" angestellte urlaub hier in tanger. nach einer unterhaltung von nicht 'mal fuenf minuten war mir klar, dass dieser mensch nie im leben die wahrheit sagte, also endete die unterhaltung in "schreierei" seinerseits. ueber einen befreundeten kfm in D holte ich mir eine auskunft (nicht ganz legal, ich weiss) von diesem mann. ergebnis: arbeitslos seit zwei jahren, geschieden seit fast drei jahren, kontostand - 3500 euro, auto geliehen. (ich habe das fuer mich behalten) von seiner familie aber will jeder nach D, denn da ist das paradies. wenn ich mir dann noch die autos ansehe, mit denen die MREs hier in tanger ankommen, dann ist meine meinung zu 100 prozent bestaetigt, denn ich sehe fast nur autos der oberklasse und das fast neu. Die MREs mit "normalem" auto steuern sofort eine garage an, denn wir wissen alle, dass man bei einem unfall dans la m.... ist. die oberklassenfahrer aber "gurken" den ganzen abend mit extrem lauter musik die bds rauf und runter. solange wir diese IDIOTEN nicht in den griff bekommen, wird europa immer "das ziel" sein, da koenen wir diskutieren bis ultimo. gruss haskamp
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Re: "Internierungslager am Rande der Sahara"
#49340
04/10/04 10:14 PM
04/10/04 10:14 PM
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Thomas Friedrich
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Haskamp,
solche Beispiele kenne ich auch genügend: In Deutschland von der Sozialhilfe leben, in Marokko von den Nachbarn verehrt werden, als einer, der es geschafft hat. Auch mir fällt auf, daß die Marokkaner die in die Ferien aus Europa kommen, mit auffallend teuren Autos herum flanieren.....
Beste Grüße Thomas
In Marokko ist alles möglich nur nichts schnell.
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Re: "Internierungslager am Rande der Sahara"
#49341
04/10/04 10:22 PM
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Elvire
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Guten Abend,
Über ein Lager afrikanischer Flüchtlinge vor der Festung Europas Im Wald von Missnana (Oujda) von Paulo Moura (portug. Journalist)
Fortsetzung (2)
Während seiner zwei Monate dauernden Reise vom nigerianischen Benin City nach Tanger musste Michael eine Reihe von "Schutzzöllen", "Steuern" und "Kommissionen" zahlen. Auf der Strecke durch die Wüste wurde er mehrmals überfallen. Als er in Missnana ankam, besaß er nicht einmal mehr Geld für einen Telefonanruf, geschweige denn für die Fahrt über die Straße von Gibraltar. Sie kostet 2 000 Dollar.
"Meine Familie hat sich jahrelang krummgelegt, nur damit ich studieren konnte. Als einziger von uns Geschwistern. Sie hat sozusagen in mich investiert. Ich bin ihre große Hoffnung."
Nach der Uni arbeitete Michael ein Jahr lang für eine staatliche Bank, ohne Lohn. Anschließend wurde er entlassen. "An eine feste Anstellung kommen in Nigeria nur Kinder aus den wenigen reichen Familien. Alle anderen haben nicht die geringste Chance."
Michaels Vater beschloss, seinen einzigen Besitz zu verkaufen - ein Haus, das der Familie seit Generationen gehört -, um Michael die Reise nach Europa zu finanzieren.
Und jetzt braucht Michael Geld für einen Anruf. Seine Leute müssen wissen, dass er hier ist, damit sie anfangen können, die Summe für die Überfahrt zusammenzulegen. Die 2 000 Dollar, die sie ihm über die Western Union schicken wollen. Das kann Monate dauern, Jahre oder kommt vielleicht nie an. Aber irgendwann muss man die Sache schließlich auf den Weg bringen. Auch wenn es Michael zusehends schlechter geht, wird er, wie alle hier in Missnana, nicht aufgeben. Oder doch? Von seiner zanga aus sehen wir, wenn wir durch die Äste schauen, die Schlupfwinkel der anderen camarades, eine Art hängende, unwirkliche Stadt. Eine Station auf dem Weg der Hoffnung und des Neuanfangs. Eine Station in der Hölle, nur für Reisende mit der Lunge eines Wals und dem Gemüt eines Sisyphus, denen es nichts ausmacht, dass sie hier sterben, um eines Tages zu neuem Leben zu erwachen.
Jonathan zum Beispiel, dessen Familie sich das Geld für seine Reise mühsam und auf nicht immer legale Weise beschaffte. 5 000 Dollar, mit denen er Afrika von Nigeria aus über Niger, Mali und Algerien im Lastwagen und zu Fuß durchqueren konnte, mit unfreiwilligen Zwischenstops und Überfällen … Jetzt wartet Jonathan auf weiteres Geld von seiner Familie. Ein marokkanischer Vertrauensmann wird es von der Filiale der Western Union in Tanger abholen; abzüglich einer Kommission, versteht sich.
Und Edith, die angeblich verheiratet ist und in Europa Informatik studieren möchte, tatsächlich aber in Nigeria einen Sklavenvertrag unterzeichnet hat, der sie zwingen wird, sich in Europa zu prostituieren, um an ihre "Chefs" 40 000 Dollar zahlen zu können.
Livingstone, der bereits einen Teil der Reisekosten nach Spanien an einen marokkanischen Menschenschmuggler gezahlt hat und nun seit Wochen auf den Anruf wartet, der ihm grünes Licht zur Überfahrt gibt.
Benjamin, der weder Familie in Afrika noch in Europa hat. Seine Eltern starben kurz nach seinem Weggang aus Nigeria, einfach so, mitten in seiner Auferstehung. Er konnte etwas Geld sparen, aber nicht genug. Für die Überfahrt fehlen ihm 500 Dollar. Er lebt seit einem Jahr hier im Wald und hat bisher nicht einen Dollar auftreiben können. Und es besteht auch keine Chance dazu. Benjamin sitzt fest in Missnana.
Ein schwarzer Mann wagt sich durch eine finstere Gasse in der Altstadt von Tanger, sein Blick ist gehetzt, sein Schritt schnell und unsicher, wie von jemandem, der durch ein Labyrinth irrt. Scheinbar, aber nur scheinbar unbemerkt, bewegt er sich durch das Gedränge der Fußgänger und Händler. Er fällt auf. Alle sehen ihn, und er weiß es. Und er weiß auch, dass es gefährlich ist, auf die Straße zu gehen, aber er kann sich nicht tagelang in seinem schmutzigen Pensionszimmer einschließen. Er braucht etwas zu essen, braucht Geld, muss einen Weg finden. Er ist gezeichnet, spürt, dass man ihn überwacht, ihm auf Tritt und Schritt folgt, spürt es wie einen Dolch im Rücken, hat Angst, und diese Angst treibt ihn vorwärts, blindlings, in den Rachen der Hydra.
Vor einem Jahr bevölkerten Tausende von Subsaharern die Straßen von Tanger. Sie kamen aus Nigeria, Liberia, der Elfenbeinküste und dem Senegal, alle mit dem einen Ziel: Europa, das gelobte Land. Das gastfreundliche Tanger war zu einer Art Traumfabrik geworden. Doch das ist vorbei. Marokko möchte ein modernes Land sein und ist willens, in jeder Hinsicht mit Europa zusammenzuarbeiten. Spanien sieht sich aufgrund seiner Lage als südliches Grenzland des alten Kontinents mit wachsenden Problemen konfrontiert, insbesondere, seit Tausende illegaler Emigranten aus der Subsahara Monat für Monat die Strände von Tarifa und Algeciras ansteuern. Auch wenn viele abgefangen und abgeschoben werden, gelingt es den meisten, an Land zu gehen und, abgerissen, ohne Dokumente oder auch nur irgend etwas, das sie verlieren könnten, unbemerkt in die reiche, aber fragile Legalität einzudringen. Ein unhaltbarer Zustand.
Der Schwarze bleibt stehen, sieht sich nach allen Seiten um, senkt den Kopf, geht weiter und wird von einem Marokkaner angehalten, einem Polizisten in Zivil, der ihn nach seinen Papieren fragt und im gleichen Augenblick gegen eine Wand drückt.
Verständlich die Politik der Europäischen Gemeinschaft, das Übel bei der Wurzel packen zu wollen. Man versucht illegale Einreisen zu verhindern. Was in der Praxis bedeutet, dass die Grenze ein wenig südwärts verschoben wird; Marokko erhält Geld, um das Problem an Ort und Stelle zu lösen. Und Marokko tut dies auf seine Weise.
Der Mann bricht seitwärts aus, versucht zu entkommen. Aber damit hat der Polizist bereits gerechnet. Er packt ihn brutal, und ehe sich der Mann versieht, steckt er in Handschellen.
Dann gehen sie durch die gleichgültige Menge davon. Was soll’s, ein Schwarzer mehr, den sie erwischt haben, alle wissen, was jetzt kommt. Der Polizist spricht mit dem Schwarzen, stößt ihn vorwärts, verpasst ihm sanfte Klapse auf den Hinterkopf: die übliche Erniedrigungsmethode. Wenn er Geld hat, den Polizisten zu bestechen, kommt er vielleicht ungeschoren davon, sagen die einen. Wenn er hier in Tanger ist, dann nur, weil er Geld hat, sagen die anderen. Sonst wäre er in Missnana untergetaucht.
Alle wissen, was ihn erwartet, wenn er kein Geld hat: Gefängnis, 25 Mann in einer verpesteten Zelle, ein Eimer für die Bedürfnisse aller, ein Teller Wassersuppe pro Tag. Anschließend … Oujda, in der Welt der camarades ein noch schrecklicheres Wort als Missnana. Oujda, an der marokkanisch-algerischen Grenze.
Man "deportiert" sie, in Lastwagen, zu Hunderten. Männer, Frauen, Kinder, die, bis auf ihre Kleider am Leib, nichts bei sich haben. In verschlossenen Transportern geht es per Express in den Tod, unaufhaltsam, wie damals, in den Waggons nach Auschwitz.
Sie werden nicht in ihre Ursprungsländer abgeschoben, sondern zurückgebracht, auf die andere Seite der Tür, durch die sie gekommen sind, in die Gegend von Oujda. Hinter der Grenze, im Niemandsland zwischen Marokko und Algerien (das sie ebenfalls nicht aufnimmt), dort, mitten in der Wüste, werden die camarades ausgeladen.
In einem unwirtlichen, menschenleeren Landstrich, glühendheiß bei Tag und eiskalt bei Nacht. Dort irren die camarades halb verhungert, wie Zombies, durch die Sandstürme, verrotten zu Tausenden. Dort kreuzen sich Tag für Tag die Flüchtlingsströme aus dem Süden mit denen der "Deportierten" aus dem Norden. Dort sterben sie, auch wenn keiner zum Sterben gekommen ist. Es gibt nur einen Weg: Tanger. Wer über die Grenze will, muss 250 Dollar an die Mafia zahlen. Mit dem Auto 500 mehr, die keiner hat. Die meisten gehen zu Fuß, folgen den Stromleitungsmasten. Es kann Wochen dauern, oder Monate. Von einem Kreis der Hölle zum nächsten.
Der Schlaf ist immer leicht in Missnana. Auf den ersten Blick sieht alles ganz normal aus. Edith kocht in einem großen Topf Mehlsuppe, die Tagesration für die ungefähr 30 camarades in diesem "Busch". Überall in diesem riesigen, verfilzten Pinienwald, der sich in der Gegend von Tanger über vier Berge erstreckt, ist in den mehr als hundert "Büschen", in denen über 3 000 Subsaharer ein illegales Dasein fristen, das Kochen Sache der Frauen.
"Schaut mal, was ich aufgetrieben habe!" Kingsley wirft eine zwei Handbreit große, noch lebende Schildkröte auf die Decke.
"Ohne mich!", erklärt Edith. Kingsley und Livingstone lachen. Das meint sie nicht ernst. Heute wird es etwas anderes geben als die übliche Mehlsuppe oder den üblichen Tomatenreis. "Hundefleisch hat erwiesenermaßen weniger Schadstoffe als Rindfleisch", erklärt uns Kingsley mit dem Brustton wissenschaftlicher Nüchternheit.
Livingstone und Benjamin greifen nach ihren großen Flaschen und gehen zur Quelle, um Wasser zu holen. Ein paar Leute begrüßen einen alten Marokkaner, der sich mit seinem Esel in den "Busch" gewagt hat, um einen Sack Mehl zu verkaufen. Andere machen sich mit einem Sack voller Handys auf den Weg in das Dorf Rah Rah, um sie dort in einem vertrauenswürdigen Geschäft aufzuladen.
Aber die geringste Unachtsamkeit kann zum Verhängnis werden. Vorsicht, camarades! Das Leben bezaubert und benebelt mit seiner tagtäglichen Routine. Ist vielleicht nur ein Trugbild. Eine Illusion.
Mindestens einmal pro Woche fällt die Polizei über den Wald her. Sie kommen im Morgengrauen, ganze Hundertschaften, Polizisten und Soldaten, und kämmen das Unterholz durch, von einem Ende zum anderen, gründlich wie Hühnerhunde. Sie haben Waffen bei sich und eine Horde willfähriger Marokkaner im Gefolge, vorgebliche Informanten und Spurensucher. Für sie eine Treibjagd. Für die camarades der Horror. Sie ergreifen die Flucht, in wilder Panik, wie Tiere, stürzen ins Gestrüpp, in die Brombeerhecken, die Dornen, zerreißen, zerfetzen ihr Fleisch, ihre dunkle Haut, die sich blutrot färbt. Zu oft umsonst. Bei jeder Razzia gehen der Polizei Hunderte camarades ins Netz. Erst kommt das Gefängnis, dann die "Deportation" nach Oujda. Das kennen hier fast alle. Es gehört zum Leben in Missnana. Nasko wurde fünfmal "deportiert". Er ist immer wieder zurückgekommen. Zweimal mit dem Wagen, dreimal zu Fuß, wie auch beim letzten Mal. Er hat ganze 21 Tage gebraucht. Hamilton wurde zweimal nach Oujda "deportiert", und einmal richtig: von Spanien nach Nigeria. Er hatte es bis nach Europa geschafft, wurde dann aber gefasst. Also fing er wieder bei Null an. Die einzige Möglichkeit. Die reinste Sisyphusarbeit. Tragisch und zugleich banal.
Aber die Polizei ist nicht die einzige Gefahr in Missnana, und auch nicht die schlimmste. Sie ist zwar mächtig, aber die camarades haben gelernt, sich zu wehren. In der Altstadt von Tanger arbeiten Spione für sie, ihnen nahestehende Leute. Sie haben herausgefunden, dass die Razzien immer montags, dienstags oder mittwochs im Morgengrauen stattfinden, und haben sich entsprechend organisiert. An diesen drei Tagen geht jeder seiner Wege und verlässt bei Einbruch der Dunkelheit seinen "Busch", um nach einem möglichst weit entfernten und unzugänglichen Versteck zu suchen. Bodenmulden von Wildschweinen, dichtes Gestrüpp oder ein Loch, das man sich ins Erdreich gräbt. Dort harren sie dann jeder für sich, schweigend und reglos, aus, bis zum nächsten Tag, 14 Uhr.
Seid auf der Hut, camarades! Die größte Gefahr sind jetzt die marokkanischen Horden. Sie greifen mit und ohne Polizei an. Sind mit Messern bewaffnet und kommen, um zu stehlen. Und um zu töten und Frauen zu vergewaltigen. Sie wissen, dass die camarades Geld haben, andernfalls könnten sie die horrende Summe für die illegale Fahrt über die Straße von Gibraltar nicht zahlen. Und sie haben Handys. Sie sind reich, verglichen mit der Mehrzahl der Marokkaner aus den umliegenden Dörfern. Und sie sind im Nachteil. Sie haben keine Papiere und können sich bei niemandem beschweren. Eine leichte Beute. Vor allem, wenn sie zu zweit oder zu dritt sind. Aber sind sie zu mehreren oder geht es um Überfälle im "Busch" selbst, braucht es kleine schlagkräftige Trupps. Die stellen sie an den Wochenenden auf - und verbinden das Angenehme mit dem Nützlichen. Eine Art Extremsport. Die Familien dürfen nichts davon wissen. Männersache.
Die camarades zeigen uns ihre Verletzungen, an den Beinen und am Rücken. Tiefe, noch frische Stichwunden, die von großen Küchenmessern herrühren. Früher kam so etwas hin und wieder vor, jetzt ist es an der Tagesordnung. Sie reden von nichts anderem in Missnana, es ist wie ein Kriegsschrei, der von "Busch" zu "Busch" hallt.
Als es dunkel wird, gehen wir durch den Wald, von Feuerstelle zu Feuerstelle, mit Isaias, dem Pastor der Pfingstler, dem obersten Gottesmann der ganzen Gemeinde. Die camarades kommen und beklagen sich bei ihm, lauthals, mit blutunterlaufenen Augen. Sie versuchen nicht einmal mehr die Waffen vor ihm zu verbergen, die sie erbeutet haben und jetzt im Gürtel tragen. Nicht einmal Isaias’ moralische Autorität vermag die Gewalt einzudämmen, die ein bitteres Gemisch aus Hunger, Krankheit und Verzweiflung zum Brodeln bringt.
Die camarades sind auf der Hut. Haben sich zu Gruppen zusammengeschlossen, tragen große Prügel bei sich, wählen mit Bedacht ihre "geheimen Wege". Sie sind mit Messern bewaffnet und mit Schwertern, und sie schlafen kaum noch. Der Tod in Missnana hat einen leichten Schlaf.
Juliete, die Schwester des Pastors, erinnert sich an die vielen Vormittage, die sie montags, dienstags und mittwochs in einem Erdloch im Wald von Tanger verbrachte. "Ich hatte immer die Bibel bei mir, hockte stundenlang da und las und war voller Angst." Sie erinnert sich daran, wie sie das erste Mal versuchte, über die Straße von Gibraltar zu kommen, und wie sie der marokkanischen Polizei mitten auf See ins Netz ging. Und als sie sich an Oujda erinnert und die Rückkehr nach Missnana, klingt erstaunlicherweise so etwas an wie Wehmut. Damals fühlte sie sich noch privilegiert, anders als andere Frauen oder alle Männer hatte sie einen "Vertrag". Sie musste an keiner der "Stationen" je lange warten (mit Ausnahme der acht Monate in Missnana), das zum Überwinden der einzelnen Teilstrekken notwendige Geld gelangte immer in ihre Hände. Während andere starben oder in Oujda oder an einer "Station" mitten in Mali vergessen wurden, wurde sie immer im letzten Augenblick von der "Organisation" gerettet. Sie fühlte sich beschützt.
Nun ist Juliete seit vier Monaten in Europa, und das Gefühl, mit Leib und Seele einer schützenden Institution anzugehören, ist geblieben, trotz des Schocks, den ihr die neue Wirklichkeit versetzt hat. Sie ist über einen seltsamen, wenn auch unmissverständlichen Pakt an diese Institution gebunden.
Juliete hatte zusammen mit ihrer Mutter und einer Tante das Büro eines Anwalts in Benin City aufgesucht. Sie war nervös gewesen und zugleich voll freudiger Erwartung, bald würden sich ihr die Tore einer neuen Welt auftun. Der Anwalt hatte den "Vertrag" bereits fertig vorliegen, einen mehrere Seiten umfassenden Vordruck mit dem Stempel der Organisation - der Task force. Das Durchlesen erübrigte sich. Schließlich kannten alle den Inhalt der fragwürdigen Vereinbarung: Die Task force verpflichtete sich, Juliete in ein europäisches Land zu bringen und ihr dort Arbeit zu beschaffen. Dafür verpflichtete wiederum Juliete sich, ihren Arbeitslohn, abzüglich dessen, was sie zum Überleben braucht, so lange in wöchentlichen Raten an die Organisation abzuführen, bis ihre Schuld von 40 000 Dollar getilgt ist. Bis dahin ist sie Eigentum der Task force, die über ihr Leben verfügt, mittels einer "Dame", der sie das Geld abliefert und die ihre gesamten Aktivitäten überwacht. Allerdings beschreibt der "Vertrag" diese Aktivitäten nicht näher. Juliete wurde lediglich gesagt, sie hätte Männer zu begleiten, und alle, bis auf sie, wussten, was das heißt.
Mit verlogen legalistischem Winkelzug wurde ferner festgesetzt, dass die Task force der jungen Frau und ihrer Familie in jeder Hinsicht Schutz gewährt, allerdings umgehend davon absieht, sofern die Vertragspartnerin den genannten Verpflichtungen nicht nachkommt. Im Klartext: Wenn die Sklavin nicht pünktlich zahlt, hat ihre Familie in Benin City unverzüglich mit drastischen Vergeltungsmaßnahmen zu rechnen.
Rechtmäßig unterzeichnet und nicht selten zusätzlich durch ein Voodoo-Ritual besiegelt, wird der "Vertrag" zu einem Bündnis, das keine junge Frau den Mut hat zu lösen.
Grace zum Beispiel, die einen solchen Vertrag eingegangen war und in Missnana darauf wartete, an Bord eines zodiacs gehen zu können, wurde während einer der üblichen Polizeirazzien am Bein verletzt. Als man sie Wochen später endlich ins Krankenhaus bringen konnte, erfuhr sie, dass eine Amputation lebensnotwendig war. Sie geriet in Panik, nicht aus Angst um sich, sondern aus Angst, die "Chefs" könnten schlecht von ihr denken. Man setzte sich mit der Task force in Verbindung, die eine Amputation klar ablehnte. Ob Graçe starb, war unerheblich - eine Frau ohne Fuß ist wertlos.
Dank des Einsatzes eines NGO-Vertreters erklärte sich die "Organisation" schließlich bereit, den Vertrag außer Kraft zu setzen. Grace konnte gerettet werden, zeigte sich aber wenig dankbar. Deprimiert, dass sie ihren "Vertrag" nicht hat erfüllen können, lebt sie heute abgeschieden im Ordenshaus der Mutter Theresa in Tanger.
Die Task force, eine der beiden großen Mafia- Organisationen, die den Handel mit Prostituierten in Nigeria kontrollieren, hat überall in Europa Vertreter, an die sich die jungen Frauen, sobald sie in Algeciras sind, telefonisch wenden müssen. Sie verteilen sie über die verschiedenen Länder und machen sie mit den entsprechenden "Damen" bekannt, ihrerseits ehemalige Prostituierte, die inzwischen für die "Organisation" arbeiten. Sie treten als elegante Geschäftsfrauen auf und sind ständig auf Reisen.
"Meine ‘Mutter’ ist jetzt hier", sagt Juliete. So schwer es uns auch fällt, wir müssen zugeben, dass in ihrem Gesicht bei diesen Worten Stolz und trotzige Zuneigung zum Ausdruck kommen. "Meine ‘Mutter’ ist jetzt hier." Als müsste man sich nur seinem Schicksal, so unwürdig es auch sei, stellen, um Würde zu erlangen.
"Haltet euer Leben fest", rief Julietes Bruder, Pastor Isaias, im Sonntagsgottesdienst, bei dem sie nie fehlte, in Missnana. Isaias hob seine Hände wie Krallen, und Hunderte von singenden Menschen taten es ihm gleich.
"Die Bibel sagt, wer glaubt, ist unverwundbar. Wir können es mit jeder Herausforderung aufnehmen. Wir sind unbesiegbar. Haltet euer Leben fest!"
Ein ängstliches Flackern wird in Julietes Augen sichtbar, eine Eifersucht, wie sie nur die eines jungen Menschen sein kann, dem das Leben davonläuft. Halt es fest!
Fortsetzung folgt
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Re: "Internierungslager am Rande der Sahara"
#49342
05/10/04 12:29 AM
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haskamp
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diese berichterstattung ist noch schlimmer als bild!!! missnana/oujda in der ueberschrift und dann dauern im wald vor tanger. oujda - tanger = 6 0 0 km was soll denn das werden???
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Re: "Internierungslager am Rande der Sahara"
#49343
05/10/04 01:38 AM
05/10/04 01:38 AM
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Elvire
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Guten Abend, @ haskamp, unter dem Link findest Du Angaben zu Paulo Moura http://www.lettre-ulysses-award.org/authors04/moura.html Paulo Moura, portug. Schriftsteller, beobachtet die Strategien afrik. Flüchtlinge auf ihrem Weg in den "reichen" Norden, ihre Stationen, ihre Überlebensbedingungen u. ihr viel-fältiges Scheitern an der "Festung Europa". Da Du vor Ort bist, wäre es interessant zu lesen, ob de facto Deine Beobachtungen mit den Recherchen des Journalisten übereinstimmen. Lettre Ulysses Award for The Art of Reportage - Partner des Goethe Instituts Die aus zehn Sprachkreisen stammenden Juroren der Jury des Lettre Ulysses Award for the Art of Reportage haben Ende August in Paris über die nominierten sieben Finalisten entschieden. Die Autoren der diesjährigen Shortlist berichten aus Afrika, aus den USA, aus China, Marokko, Spanien und Haiti. Sie entwerfen ein plastisches und tiefgründiges Bild von Alltag, Gesellschaft und Politik in verschiedenartigen Ländern und Kulturen. Diese „literarischen Reporter“, deren Leidenschaft der Wirklichkeit gilt, erkundeten bei ihren Reisen und Recherchen auch entlegene und selten beachtete, jedoch bedeutende Themen. Die Kulturzeitschrift "Lettre International" ist Initiator dieses ersten Weltpreises für literarische Reportage.
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Re: "Internierungslager am Rande der Sahara"
#49344
05/10/04 01:47 AM
05/10/04 01:47 AM
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Hallo Thomas, Auch mir fällt auf, daß die Marokkaner die in die Ferien aus Europa kommen, mit auffallend teuren Autos herum flanieren.....
stimmt, in Agadir auch ganz augenfällig, wobei es sich aber nicht um Familienväter im traditionellen Sinne handelt, sondern um Singles, schwerpunktmässig mit franz. u. belg. Kennzeichen, die dann "prolomässig" mit lautstarkem Gedröhne aus dem Autoradio zum zigsten Male den Boulevard auf- und abfahren und - mit grossem Erfolg - marok. Mädchen anbaggern!
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Re: "Internierungslager am Rande der Sahara"
#49347
05/10/04 10:42 PM
05/10/04 10:42 PM
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Guten Abend,
Im Wald von Missnana Ein Lager afrikanischer Flüchtlinge vor der Festung Europa von Paulo Moura, portug. Journalist
Fortsetzung (3)
Isaias ist Einzelgänger. Gefangen in einer Vision. Eine junge Frau kommt zu seiner zanga und setzt sich. "Ich habe Kopfweh, Herr Pastor." Isaias kramt in seinen Taschen, gibt ihr eine Tablette. Andere kommen mit Durchfall oder Lungenentzündung. Oder schleppen sich den Berg hoch, um in seinen Armen zu sterben. Oder um geboren zu werden. Viele Frauen bringen ihre Kinder im Wald zur Welt. Ohne Hilfe, ohne Medikamente, ohne Hygiene. Nach Missnana kommen keine Ärzte, keine NGOs und keine Ordensschwestern. "Zu gefährlich." Also ruft Isaias eine camarade, die vielleicht Erfahrung als Krankenschwester hat. Und ein weiterer Illegaler wird geboren. Oder stirbt.
Isaias ist dreißig und, obgleich Pastor, der einzige camarade, der keine Bibel besitzt. Die Marokkaner haben sie ihm im Durcheinander einer ihrer Razzien, wie er sagt, weggenommen und verbrannt. Was nicht weiter schlimm ist, da er das Heilige Buch auswendig kennt.
Auf den ersten Blick unterscheidet sich seine zanga kaum von den anderen. Auf dem Boden liegt eine Decke, und ein Geflecht aus Ästen bildet das Dach. Aber er lebt hier allein, und das ist der Unterschied. Und dass es noch eine Art "Neben-zanga" gibt, in der eine junge Frau für ihn kocht. "Ich kann nicht arbeiten oder mich mit materiellen Dingen beschäftigen, ich muss meiner Gemeinde jederzeit mit geistigem Beistand zu Verfügung stehen können."
Er war bereits in Nigeria Pastor, wo er schon sehr früh Mitglied der Pfingstgemeinde wurde. Er hatte jahrelang Leute betreut, die illegal auswandern wollten. Bis er sich selbst dazu entschied.
Er durchlief die verschiedenen "Stationen" dieser Reise in beiden Richtungen. Zwei Monate in Niger, drei an der Grenze zu Mali, wo ihn Beduinen überfielen, vier an der algerischen Grenze, im Gebiet von Oujda, zwei an einem Ort nahe Rabat.
"camarades findest du überall. Zu Tausenden, auf der ganzen Strecke durch Afrika. An manchen Orten sind die Lebensbedingungen unvorstellbar. Die Leute haben dringend einen Pastor gebraucht."
Isaias brachte ihnen die Bibel näher, predigte ihnen Moral und sittliches Handeln, erzählte ihnen von Europa und dem modernen Leben, klärte sie über Recht und Gesetz auf, unterrichtete sie in Überlebensstrategien und hielt an allen Stationen des Santiagoweges durch Afrika Gottesdienste ab. Er trägt sich mit der Absicht, seine Missionsarbeit in Europa unter den Einwanderern fortzusetzen. Zwischen Benin City und Missnana, wo er vor acht Monaten ankam wie alle anderen auch, gibt es keinen camarade, der ihn nicht kennt. Er ist nicht nur ihr Priester, sondern auch ihr Medizinmann.
Mohammed steigt aus seinem Wagen und geht zu Fuß auf der Privatstraße des Königspalastes weiter. "Guten Tag!" Die bewaffneten Wächter begrüßen den fünfzigjährigen, zahnlosen Marokkaner mit dem dicken Bauch, der uns an der Steilküste entlang zum Strand führt, wie einen alten Bekannten. Wir passieren zwei weitere Wächter und gelangen an ein kleines Stück Strand. Wenige Meter vor uns ragt ein spitzer Fels aus dem Wasser.
"Von hier", sagt Mohammed, "fährt der Zodiac ab." Bei dem Fels stehen zwei junge Frauen in Nachthemden bis zu den Knien im Meer. Ein dünner, ernster Mann gießt ihnen aus Eimern Wasser über den Kopf. 99 Eimer mit Wasser vom Schönen Fels, und ein Ehemann ist garantiert, der Legende nach.
Mohammeds Zodiac ist ein neun Meter langes, mit Holz verstärktes Schlauchboot mit einem achtzig PS starken Motor. Es nimmt 35 Personen auf. "Wir kommen hier nachts mit den Illegalen her. In zehn Minuten haben wir sie alle an Bord."
Mohammed grüßt den Mann mit dem Eimer. Es ist sein Vetter. Von jedem Mädchen verlangt er je fünfzig Dirham, und es fehlt ihm nicht an Kunden. Das Geschäft mit Utopien ist ein Familienunternehmen.
Livingstone hat bereits die Hälfte für die Überfahrt mit dem zodiac bezahlt, aber der entscheidende Telefonanruf des camarade, der als Verbindungsmann zur marokkanischen Mafia fungiert, lässt auf sich warten. "Ich frage mich allmählich, ob mein Geld überhaupt an den Richtigen gekommen ist", sagt er.
In Missnana gibt es ein weitverzweigtes, undurchsichtiges Netzwerk von Gewährsleuten, das einer gewissen Grausamkeit nicht entbehrt. Die einen stellen den Kontakt zur marokkanischen Gibraltar-Mafia her, die anderen stehen mit der nigerianischen Mafia in Afrika und Europa in Verbindung, wieder andere nehmen das fällige Geld in Empfang oder kümmern sich um die Überweisungen, die für die camarades bei der Western Union eintreffen, sichern die Verpflegung, sind Polizeiinformanten oder sorgen für Ordnung im Wald. Und es gibt eine Hierarchie. Leute, die Macht haben, und solche, die keine haben. "Wir gehen nicht gerade zimperlich miteinander um", sagt Benjamin, der nur selten spricht.
Mohammed lässt seine Zodiacs von unterschiedlichen Stellen ablegen. Immer in der Nähe eines königlichen Palastes oder eines anderen gut bewachten Platzes. "Mir ist das lieber, ich besteche die Wächter, und wir sind geschützt. Es ist sicherer so. Manchmal helfen die Polizisten selbst den Illegalen ins Boot."
Sein bevorzugter Platz aber ist ein Strand in der Nähe des Hauses seiner Schwester. Ein Minibus holt die camarades bei Einbruch der Dunkelheit in Missnana ab. Er hält vor einer offiziellen Residenz des Königs. Die camarades nehmen eine Abkürzung zum Garten der Schwester, der auf einer Klippe liegt. Sie warten, bis der Befehl zum Abstieg kommt. Wenn sie den Strand erreichen, ist der zodiac abfahrbereit. Sie zahlen die noch fehlende Hälfte ihres "Fahrscheins" und steigen einer nach dem anderen ein. Männer, Frauen, Kinder. "Marokkaner nehme ich für tausend Dollar mit, Schwarze für zweitausend, weil sie ein größeres Risiko sind. Als erstes müssen die Marokkaner ihnen die Hände zusammenbinden, damit sie nicht auf die Idee kommen, dem Bootsführer eins überzubraten und mit dem Geld und dem Boot abzuhauen. Und dann nichts wie los. Wenn alles gutgeht, sind sie in drei Stunden in Spanien. Sieben Meter vom Strand entfernt müssen alle Mann über Bord. Auf eigene Gefahr." Es geht nicht immer gut aus. Oft kommen sie erst am nächsten Tag an, manchmal auch nie. Viele der Leichen im Leichenschauhaus von Tanger werden mit zusammengebundenen Händen eingeliefert.
Livingstone und Benjamin wünschen sich nichts sehnlicher, als mit einem Zodiac auf und davonfahren zu können, die Willkürherrschaft der Bosse von Missnana ist für kaum mehr zu ertragen. "Sie schlagen uns, wenn wir uns verlaufen oder beim Wasserholen verspäten …" Die "Bosse" sind diejenigen, die am längsten in Missnana sind oder die besten Beziehungen zur nigerianischen oder marokkanischen Mafia haben. Sie verlangen Geld für Essen, Kleidung, Schutz, Telefonate und den Zugang zu den Taxis, die sie kontrollieren. Jedem "Busch" steht ein Boss vor, der sich mit "Vater" anreden lässt. Sie haben ihre eigene Rangordnung, und hin und wieder gibt es Streit. Das Motiv sind Geld oder Frauen, die anderen wegnehmen zu können einige glauben, die sich als deren Männer oder als Mitunterzeichner eines "Vertrages" betrachten. In Missnana werden Schlachten ausgetragen, die weit blutiger sind als die Polizeirazzien.
Mohammed hatte nie eine richtige Arbeit. Er hat es zwar als Klempner versucht, aber das war nicht seine Sache. Bis er dann vor vier Jahren mit seinem Bruder die erste patera baute, ein primitives Holzboot. Es war die Hochzeit der heimlichen Emigration, da Spanien damals keine Visa mehr ausstellte. Mohammed organisierte rund 15 Überfahrten pro Jahr. Jetzt sind es noch fünf. "Wir benutzen keine Holzboote mehr. Inzwischen haben sich alle 'Unternehmer' Schlauchboote zugelegt." Rund zwanzig in der Umgebung von Tanger, und alle unabhängig. Keine organisierte Mafia. Niemand hat mehr als zwei Zodiacs.
Mohammed rechnet uns offen vor: Jede Überfahrt mit den Illegalen bringt ihm durchschnittlich 50 000 Euro ein. Davon gehen 7 000 an den Bootsführer und noch einmal soviel an den Polizisten, der für die Sicherheit sorgt. Der Fahrer des Minibusses sowie weitere Aufpasser und Kontaktleute bekommen insgesamt tausend Euro. Zieht man die 2 000 Euro Amortisationskosten ab - der Zodiac ist 12 000 wert -, bleibt ein Reingewinn von 33 000 Euro pro Trip oder, genauer: 165 000 Euro pro Jahr. Nicht eingerechnet das Geld, das die Drogen abwerfen, die immer mit an Bord sind.
"Aber es fallen ständig irgendwelche Extrakosten an, schließlich ist das Ganze ein Risikounternehmen. Vergangenes Jahr ist ein Zodiac untergegangen. Dabei sind einige ertrunken, auch der Bootsführer. Die Polizei hat ihn zusammen mit seinen Papieren gefunden und ist zu mir gekommen. Um fünf Uhr morgens standen sie vor der Tür und haben mich verhaftet. Der Anwalt hat mich 500 Euro gekostet und der Richter 2 000. Ich wurde zwar verurteilt, bin aber freigekommen. So ist das in diesem Land mit der Demokratie. Sie ist käuflich. Ganze 2 500 Euro und dann noch die 12 000 von dem Boot …"
Mit dem Gehabe eines Patriarchen sitzt Mohammed in dem Haus, von dem aus er die Illegalen in das Schlauchboot bringt; er stellt uns seine Schwester und seine 13 Kinder vor. Alle verheiratet, mit Ausnahme dreier lächelnder Mädchen. "Sie haben sich europäische Männer in den Kopf gesetzt", sagt die Mutter. Die Familie lebt in bescheidenen Verhältnissen, Mohammed bringt das ganze Geld durch. Seine Frau, eine fettleibige Dreiundvierzigjährige, die verschämt lächelt, zuckt die Achseln, als wir sie fragen, ob sie Angst hat. "Ich hab’ vor nichts mehr Angst", sagt sie und senkt ihre Stimme. Sie ist Fatalistin geworden.
Tief im Wald von Missnana haben sich Benjamin und Livingstone gewaschen und ihre besten Kleider angezogen. Es ist Sonntag. Sie sind bereit für den Gottesdienst.
Eine Lichtung, die ansteigt wie ein natürliches Amphitheater. Die Pastoren treffen als erste ein. Nicht Isaias, aber Emmanuel, Jonathan und vier weitere Prediger, sie alle erteilen vor dem eigentlichen Gottesdienst in kleinen Gruppen Bibelunterricht.
Anfangs sind es nur einige Dutzend camarades, die sich für die theoretischen Gespräche interessieren. Am späten Morgen aber geschieht Erstaunliches. Sie strömen aus allen Richtungen herbei, Männer und junge Frauen, einige mit Säuglingen auf dem Arm, alle sauber herausgeputzt und in ihren besten Kleidern, um an dem großen Wochenereignis teilzunehmen. Die Pastoren beginnen mit dem Gottesdienst, und die camarades suchen sich einen Stehplatz im Amphitheater. Es werden immer mehr, sie kommen in ganzen Pulks, schwatzend, frisch und in festlicher Stimmung, die camarades, Menschen, die seit Jahren im Wald leben, unter freiem Himmel schlafen, sich verstecken müssen, verfolgt werden, krank sind und verzweifelt. Jetzt sind es über 300, und sie wiederholen im Chor die Worte des Pastors: "Lasst uns vergeben. Wenn wir unserem Nächsten vergeben, wird auch der Herr uns vergeben. Please Master Jesus!" Rhythmisches Klatschen begleitet die Worte. "Please Master Jesus! Hallelujah! Hallelujah!" Und es werden immer mehr, es sind jetzt Hunderte. Plötzlich erhebt der Pastor die Stimme: "Wenn ich sage 'Singt!', dann singt und tanzt ihr alle. Ich möchte, dass ihr eure Körper gebraucht, um mit dem Herrn zu sprechen. Singt!" Und wie ein Orkan bricht es los. Sie schmettern, mehrstimmig, wie ein perfekter Chor, improvisieren, entwickeln eigene Rhythmen. Eine junge Frau springt nach vorn und ruft immer wieder: "Praise the Lord!" Der Satz wird von allen aufgenommen und unter rhythmischem Klatschen wiederholt. Lauter und lauter, in unterschiedlichen Stimmen, in Solos, in Duetten und komplizierten, spontanen Arrangements. Dann tritt Isaias auf. Jetzt geht es erst richtig los. Er brüllt: "Alle hoch mit den Armen!" "Augen zu und Arme hoch!" Eine Frau stimmt eine Melodie an. Isaias brüllt: "Jesus is love!" Die camarades wiegen sich hin und her und wiederholen: "Jesus is love!" Ein frenetischer, wahnhafter Wechselgesang beginnt. Wird schneller. "Jesus Christ is love! He is love!" Da setzt Isaias unvermittelt zu einer Moralpredigt an, ergeht sich über die kommenden Zeiten, die Gefahren und Herausforderungen, die auf die camarades im Wald, während der "Deportation", auf der Überfahrt und in Spanien warten. Eine immer glühendere Rede, ermunternd, aufwiegelnd, einem Ritual folgend, stürmisch, von Zurufen unterbrochen, Klatschen und Musik. "Sagt mir, was euch zerstört? Sagt mir, wer euch verfolgt, wer euch Böses will, euch das Brot nimmt und die Freiheit? Nichts und niemand! Nur ihr selbst zählt! Ihr und Gott! Ihr und Europa! You and the espanol!" Isaias rennt auf und ab, zetert, schneidet Grimassen, erzählt Geschichten, verkörpert andere Menschen; er ist ein Schauspieler, ein überspannter Pantomime. Sein Handy klingelt, der Sirenenton eines Krankenwagens, er wirft es auf den Boden, tritt nach ihm. "Sie schimpfen uns Neger. Gangster. Aber die Bibel sagt, dass nichts uns aufhalten kann. Wir sind unbesiegbar." Er ruft nach irgendeinem camarade aus der Menge und bittet ihn, ein Lied zu singen. Der Mann, groß und mager, in zerlumpter Kleidung und mit zwei verschiedenen Schuhen an den Füßen, stimmt einen eintönigen Singsang voll falscher Töne an. "Da seht ihr selbst!" sagt der Pastor. "Wir haben fantastische Leute! Mit unserem Talent, unserem Lächeln besiegen wir den Spanier!" Isaias gerät völlig aus dem Häuschen, fällt in Trance, und mit ihm alle camarades. "Haltet eure Hände vors Gesicht und seht sie fest an. Bittet den Herrn, sie zu segnen. Sprecht, sprecht mit dem Herrn! Nehmt euer Leben in die Hand, haltet es fest!"
Und schon beginnen die camarades, laut zu Gott zu sprechen. Jeder für sich und ganz persönlich, und jeder sieht dabei auf seine Hände. Einige schlagen sich gegen den Kopf, andere weinen, wieder andere schimpfen mit Gott, schreien aus voller Lunge. Die allgemeine Erregung steigert sich, erreicht ihren Höhepunkt. Erfasst den Wald wie ein Beben. Einige haben tiefe Schatten unter den Augen, andere sind mit Ausschlag übersät oder husten sich die Seele aus dem Leib. Alle sind krank oder vom Tod gezeichnet. Aber es ist, als ob sie gerade daraus Lebenskraft schöpften. Als sei jeder von ihnen nur eine Stimme, die sich laut bei Gott beschwert. "Nimm mir die Angst! Mach, dass ich nicht enttäuscht werde!" flüstert flehentlich und mit geschlossenen Augen eine junge Frau. "Lass mich an mein Ziel kommen."
Im Regen, mitten auf dem Intendenteplatz von Lissabon, wirkt Juliete wie ein verlorenes Kind. 8 000 Dollar hat sie bereits gezahlt. Jetzt fehlen nur noch 32 000. Sie glaubt, dass sie ihre Schulden bei durchschnittlich fünf Kunden pro Tag in sechs Monaten abgetragen haben wird. Dann ist sie frei.
Aus dem Portugiesischen von Ines Koebel
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Re: "Internierungslager am Rande der Sahara"
#49348
05/10/04 11:49 PM
05/10/04 11:49 PM
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Thomas Friedrich
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Liebe Elvire,
vielen Dank für diese Geschichte! Meine Erfahrungen mit diesen Leuten in Ceuta sind nicht ganz so schlimm, wie in diesem Medium beschrieben wird aber im Prinzip ähnlich. Ich wünsche mir, daß diese Realität in millionenfacher Auflange gedruckt oder gar verfilmt, in den westafrikanischen Ländern der breiten Masse zugänglich gemacht wird. In einem zweiten Teil könnte man dann vom tatsächlichen Leben in Europa berichten. Ich bin mir sicher, daß dies, wenn es dann auch tatsächlich in den Köpfen der Menschen ankommt, so manchen überlegen läßt, wo er seine Energie und sein Geld nicht besser in den Aufbau seiner Zukunft in seinem Heimatland steckt.
Beste Grüße Thomas
In Marokko ist alles möglich nur nichts schnell.
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Re: "Internierungslager am Rande der Sahara"
#49349
06/10/04 02:26 PM
06/10/04 02:26 PM
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Souliman
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Hallo Allerseits, tja, leider interessiert sich die Mehrheit der Leute nicht fuer die, die gescheitert sind, sondern fuer die die es "geschafft" haben, von denen es ja auch welche gibt. Ausserdem ist man ja sowieso immer schlauer und macht es besser, als die anderen. MfG SOULIMAN
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Re: "Internierungslager am Rande der Sahara"
#49351
07/10/04 10:47 PM
07/10/04 10:47 PM
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Hallo Holger, ich glaube nicht, dass der Journalist sich den Bericht aus den Fingern gesogen hat, denn, wenn ich das Interview mit einem marok. Anwalt aus Tanger lese, dann scheint das Schickal der Schwarzafrikaner tatsächlich ein Schweres zu sein. [>] Was passiert mit den Schwarzafrikanern, die beim illegalen Grenzübertritt erwischt werden? Anwalt: Die müssen nicht nur zahlen, sondern werden buchstäblich in die Wüste geschickt. Dorthin, von wo sie gekommen sind. An die algerische Grenze, entweder in den Süden in die Sahara oder in den Nordosten nach Oujda. Dort müssen sie sehen, wie sie weiterkommen. [>] Das liegt daran, dass die meisten illegal in Marokko sind? A: Ja, fast alle haben kein Visum, keine Aufenthaltsgenehmigung. Die meisten reisen ja auch illegal über die algerische Wüste ein. Wer legal einreist, bekommt oft nur eine Woche Aufenthaltsgenehmigung. http://no-racism.net/article/549/
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Re: "Internierungslager am Rande der Sahara"
#49352
08/10/04 09:08 AM
08/10/04 09:08 AM
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"Auch wenn ich heute morgen im TV sah das die Italiener ja auch gegen alle internationalen Rechte Flüchtlinge postwenden ohne jegliches verfahren nach Lybien zurück bringen"
"fluechtlinge", die tausende von dollars fuer ihre reise bezahlen koennen? summen, mit denen sie sich in ihren heimatlaendern oft sehr wohl eine existenz aufbauen koennten.
ich wuerde eher sagen, es sind ZUWANDERER, die illegal eu-gebiet betreten wollen und damit gegen geltendes recht verstossen.
allein letzte woche sind auf lampedusa ueber 1700 "fluechtlinge" angekommen. das dortige lager ist fuer 200 leute ausgelegt.
sicher ist es auch die schuld der bekannt faschistischen eu-politik, wie diese leute (laut bericht) in marokko behandelt werden. man koennte sie ja mit flugzeugen direkt aus den heimatlaendern nach europa fliegen und damit verhindern, dass sie sich in so unfreundlichen und gefaehrlichen laendern wie marokko aufhalten muessen.
ich nehme uebrigens an, dass die betroffenen es vorzoegen, in schily's "internierungslagern" zu leben, statt in waeldern und erdloechern. oder?
lobozen (der gerade von der burmesich-thailaendischen grenze kommt, wo man ECHTE fluechtlinge und deren leiden antrifft. menschen, die verfolgt werden und nicht exorbitante "reisekosten" finanzieren koennen)
speerspitze der aufklaerung
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Re: "Internierungslager am Rande der Sahara"
#49353
08/10/04 03:34 PM
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Souliman
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Servus Lobozen, schoen das man wieder von dir liest, hoffe dir gehts gut! Was hat dich denn an diese Grenze verschlagen? MfG SOULIMAN
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Re: "Internierungslager am Rande der Sahara"
#49354
08/10/04 07:14 PM
08/10/04 07:14 PM
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servus souli, ich musste mal ein paar wochen raus aus pattaya und weg vom pc . burma wollte ich schon lange bereisen und das politische tauwetter da ermoeglicht endlich auch einen besuch der grenzregion, ohne gleich erschossen zu werden. trotzdem habe ich mich in marokko immer und ueberall wesentlich sicherer gefuehlt . lobozen
speerspitze der aufklaerung
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Re: "Internierungslager am Rande der Sahara"
#49355
08/10/04 07:29 PM
08/10/04 07:29 PM
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Souliman
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Hi, Burma, ist das nicht Myanmar? Hab gar nicht gewusst das es dort Krieg gibt! Nehme an, nach so einem Trip fuehlt man sich zu Hause wie neu geboren! MfG SOULIMAN
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Re: "Internierungslager am Rande der Sahara"
#49357
10/10/04 05:08 PM
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Helias
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Teil 1: Bonjour Elvire, danke für den Text von Paolo Moura. Das Problem, das ich damit habe, ist weniger, dass mir das dort Geschilderte gar so übertrieben oder unrealistisch erschiene – was mir hingegen sehr schwer fällt: nachzuvollziehen, was in den Köpfen dieser Illegalen vorgeht, die um jeden, aber auch wirklich jeden Preis nach Europa zu gelangen versuchen – was angesichts dessen, was sie dafür zu erdulden bereit sind, wie eine Art Besessenheit anmutet... Reicht die diesen Menschen vielfach zugeschriebene Kombination von Blödheit, Naivität u. dem Wunsch nach einem materiell „besseren“ Leben denn aus, diesen unbedingten Willen zu erklären, nach Europa zu gelangen, koste es, was es wolle? Ich glaube: nein. Ein paar zusätzlich Erklärungen u. Motive finden wir in einem letztes Jahr in der „Zeit“ erschienenen Artikel: http://www.zeit.de/2003/45/Tanger Ein paar Auszüge: „Die Odyssee von Patricia Omorigie, 27 Jahre alt, begann im Januar 2001. Zweimal wurde sie verraten, einmal ist sie fast verdurstet, sie wurde festgenommen, sie hat sich den Fuß gebrochen. „This road is bloody“, sagt Pat, diese Route ist durchtränkt mit Blut.
Sie kennt Nigerianer, die von anderen Nigerianern gefoltert wurden, weil sie ihre Schulden nicht bezahlen konnten. Eine ihrer Freundinnen wurde vor einem halben Jahr entführt, 7000 Euro sollen ihre Eltern für sie zahlen.
Pat sagt: „Früher war ich entspannter. Freier. Früher musste ich mir nie Sorgen darüber machen, wo ich schlafe oder was ich esse. Früher haben Charles und ich uns nie gestritten. Jetzt streiten wir uns oft. Dieses Leben in Marokko ist kein Leben.“[...] „Anfangs war es eine marokkanische Mafia, die Schwarze aus ganz Afrika in wackeligen Holzbooten transportierte. Mit der Zeit übernahmen Nigerianer einen Großteil des Geschäfts, man stieg um auf riesige schwarze Schlauchboote, für 40, 50 Passagiere. Migranten aus Ghana, dem Senegal oder Kamerun sah man immer seltener in Tanger. Sie wichen aus auf andere Routen. Über Tarfaya auf die Kanarischen Inseln, von Tunis nach Lampedusa.
Dafür kamen immer mehr Nigerianer: Victor, ein Autoschlosser, dessen Werkstatt schlecht lief; Vincent, der fünf Jahre studierte, keinen Job fand und nun nach „grüneren Weiden“ sucht; Steven, der das Auto seines Vaters verkaufte, um die Reise zu bezahlen; Stanley, ein Soldat, der desertierte; Efosa, der nicht weiterkam als Kunstschnitzer; Liliane, die es zum zweiten Mal versucht, obwohl sie in Aachen ein halbes Jahr im Abschiebeknast saß; Osas, der beweisen will, dass er ein Mann ist; Matthew, der Dealer war und wieder Dealer werden will; Godfrey, der Autofahrer überfiel und floh, als die Polizei seine halbe Gang erschoss; Osatu, die von zu Hause ausgerissen ist; Derek, ein Ingenieur mit höflichen Manieren. Sie alle kommen aus Nigeria. Sie alle stammen aus der gleichen Gegend. Aus Edo-State, aus dem Süden des Landes, aus Benin City und Umgebung. Pat kommt daher, Charles auch, genau wie Bright, ihr patron.
Noch immer glauben viele, dass es vor allem Armut ist, die Menschen aus ihrer Heimat fortziehen lässt. Doch Migration hat viele Gründe, und Armut ist nicht der wichtigste. Entscheidend sind Netzwerke, Informationen, Kontakte. Kein Mensch zieht einfach los ins Blaue, es zieht ihn dorthin, wo Nachbarn, Freunde, Geschwister von ihm hingegangen sind. Migranten suchen Sicherheit. Und meist sind es die relativ Bessergestellten, die sich entschließen auszuwandern. Sicher sind Arme an Bord der Schlauchboote, aber auch viele andere: Ehrgeizige und Abenteurer, Skrupellose und Listige, junge Handwerker und arbeitslose Akademiker.
„In Benin City gibt es keine Straße, aus der nicht jemand kommt, der jetzt upstairs ist“, sagt Pat. Upstairs. Oben. In Europa.““[...]
„Im Grunde begann ihre Reise an jenem heißen Tag, an dem sie sich frühmorgens vor dem deutschen Konsulat in Lagos anstellte, die Einladung ihres Bruders in der Hand – und ihr Gesuch um ein Visum abgewiesen wurde. Bald fand ihr Bruder einen anderen Weg, sie nach Deutschland zu holen: Pat sollte mit einem gefälschten Visum von der Elfenbeinküste nach London fliegen. Am 4. Januar 2001 bestieg sie den Bus in Nigeria, ihre Mutter weinte beim Abschied, aber Pat machte sich keine Sorgen. Ihre Reise würde kurz und sicher sein.
Doch in der Elfenbeinküste angekommen, verschwand der Mann, den sie bezahlt hatte. Pat saß fest in Abidjan, ohne Geld, ohne Visum. Aber sie blieb, sie wollte weiter. So lernte sie Charles kennen. Er war vom selben Schlepper betrogen worden. Charles hat die Statur eines Boxers und ein großes Herz. Sie wurden ein Paar.
4000 Euro hatte Pat verloren. Es gab nur eine Möglichkeit – sie und Charles mussten den gefährlichen Landweg nehmen. Von Mali nach Marokko, quer durch die algerische Sahara. Zwei Jeeps, 40 Passagiere, nachts fahren, tagsüber ein Versteck suchen, vor der Sonne und den Helikoptern. Eines Morgens fuhren die Jeeps davon, als es Abend wurde, kamen sie nicht wieder. Die Reisenden saßen fest, mitten im Nichts, verloren im Erg Chech.
Zu acht sind sie dann losgelaufen, nachts, auf einen fernen Lichtschein zu. Sie fanden leere Kanister, stießen auf eine Viehtränke, trafen Reisende, die ihnen Brot gaben. 20 Nächte sind sie gewandert, Pat hatte blutige Füße, Charles stützte sie, so erreichten sie schließlich Reggane, ein Dorf im hintersten Winkel Algeriens.
Pat könnte vom Durst reden. Von ihrer harten Kehle, von ihrer geschwollenen Zunge, vom ekligen Geschmack im Mund, vom rasselnden Husten. Aber so spricht sie nicht. Sie sagt schlicht: „Das war das Schlimmste, was ich je erlebt habe. Ich dachte, ich muss sterben.“
„Eines Tages werden wir unseren Kindern erzählen, was wir alles durchgemacht haben“, sagt Charles.
Die Reise ging weiter. Die Grenze nach Marokko überquerten sie zu Fuß, bis Tanger wurden sie in Lastwagen gebracht. Pat hätte ein Schlauchboot nehmen können, aber ihr Bruder in Deutschland hatte Probleme, der Geldfluss versiegte, wieder saß Pat fest. Zu stolz, um umzukehren, vorerst ohne jede Chance, weiterzureisen.
Ein halbes Jahr war Pat in Tanger, da wurde sie verhaftet. Lange Jahre hat Marokko die Afrikaner einfach durchziehen lassen, doch auf Bitten, Drängen und Drohen der EU wirkt auch die Regierung in Rabat inzwischen mit bei der Verteidigung der Festung Europa. Aber wie planlos, wie dilettantisch! Auf Straßen, in Wäldern und Pensionen fangen die Gendarmen die Schwarzen und bringen sie zurück an die algerische Grenze, die seit Jahren geschlossen ist. Im Niemandsland zwischen Oujdah und Maghnia werden die Afrikaner dann aus dem Bus gestoßen. Run! Run!, rufen die Marokkaner und heben ihre Gewehre, lauft dahin, wo ihr hergekommen seid!
Pat ist gelaufen. Die Frauen wussten, was sie nun erwartet, sie wollten es um jeden Preis vermeiden. Sie warfen ihre künstlichen Haarteile weg, sie wälzten sich im Dreck, sie ließen sich die schäbigsten und stinkendsten Kleider von den Jungen geben und sanken stöhnend zu Boden, als die algerischen Soldaten sie in Empfang nahmen. Als wären sie krank. Denn jene Soldaten sind bekannt dafür, dass sie die schwarzen Frauen vergewaltigen, bevor sie sie nach Marokko zurückschicken.
Pat wurde nicht angerührt. Die Maskerade wirkte. 100 Dollar kostete die Fahrt zurück nach Tanger, nachts in einem geschlossenen Lastwagen. Dort angekommen, geschah bald ein weiteres Debakel. Pat brach sich den Fuß. Es passierte, als sie eines Nachts der Polizei davonlief, als sie von der Dachterrasse aufs Nachbarhaus springen wollte. Im Krankenhaus bekam sie einen Gips und zwei Krücken, aber der Bruch ist nicht richtig verheilt. Bis heute benutzt sie die Krücken. Einerseits, weil das eine perfekte Tarnung ist und sie vor weiteren Abschiebungen schützt. Andererseits, weil ihr Fuß bis heute wehtut.“[...]
„Manchmal denkt Pat, dass sie einen Fehler gemacht hat. Dass sie nicht hier sein sollte. Dann sehnt sie sich zurück nach Lagos, in ihren Laden, zu ihrer Familie, in die chaotische Ereignislosigkeit ihres Alltags.
Doch nicht lange, und sie erliegt wieder dem Sog, der von Europa ausgeht. Sie hat ein Ideal: Sie will eine gute Tochter sein. Sie will einmal für ihre Mutter sorgen. Als ein Niemand ist sie aufgebrochen, sie würde es sich nicht verzeihen, mit leeren Händen umzukehren. Sie weiß, wie viele es vor ihr geschafft haben, alle daheim wissen das. „Würde ich abgeschoben, ich würde es auf jeden Fall noch einmal versuchen“, meint Pat.“[...]
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Re: "Internierungslager am Rande der Sahara"
#49358
10/10/04 05:16 PM
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Teil 2: Hallo Holger, „Mit EU-Geldern?“- Ich seh das so: Die EU-Gelder sollen bewirken, dass das, was „aber wie planlos, wie dilettantisch!“ geschah u. daher nicht im Sinne der EU war u. ist, systematisch u. effizient getan werden soll. Richtige, solide EU-Lager, damit die armen Illegalen nicht in irgendwelchen Erdhöhlen hausen müssen, die werden sich sicher freuen... Da den Illegalen aber bewusst ist, dass sie illegal sind, und zwar deshalb, weil sie keine legale Möglichkeit der Einreise nach Europa gefunden haben, aber unbedingt nach Europa wollen, könnte es durchaus sein, dass mit EU-Geldern Lager in die nordafrikanische Landschaft gestellt werden, die eher dem Typus des Hochsicherheitstrakts als dem des Flüchtlingslagers entsprechen, und wo einige Immigrationswillige einige Zeit lang sitzen, bevor sie in den allermeisten Fällen abgeschoben werden und es in vielen Fällen erneut versuchen, und, gewitzt durch Erfahrung, sich dann eine besonders versteckt gelegene Erdhöhle suchen, um so die Gefahr möglichst gering zu halten, aufgegriffen u. in ein Lager gebracht zu werden. Ob die Zurückgeschickten daheim Gelegenheit haben, Informationen an andere Auswanderungswillige weiterzugeben über die Lager u. die äußerst geringen Chancen, von dort nach Europa zu gelangen, u. den Kollegen Tipps zu geben, wie es sich am ehesten vermeiden ließe, dorthin zu geraten, entzieht sich meiner Kenntnis; ebenso, ob die zur Verbringung in die Lager in Ermangelung diesbezüglicher Kooperationsbereitschaft der Illegalen erforderlichen Polizeiaktionen ebenfalls mit EU-Mitteln finanziert werden sollen. Weiters entzieht sich meiner Kenntnis, ob daran gedacht ist, im Verlauf solcher Aktionen gegebenfalls zu beklagende Verletzte oder Tote auf EU-Kosten zu behandeln oder zu bestatten. Ich weiß leider auch nicht, ob Pläne bestehen, als ergänzende Maßnahme zumindest eine verstärkte Unterstützung der Transitländer (wenn schon nicht der Ursprungsländer) bei der Bekämpfung von Schleppern und Menschenhändlern durchzuführen, u. zwar mit EU-Geldern. Ich seh schon, ich werd heut keine Ruh geben können, bevor ich das, was Du in Deinen Zeilen kurz ansprichst, hier formatfüllend breitgewalzt haben werde, und deshalb: Hi Lobozen, willkommen zurück! Ich hab ein wenig den Überblick über die vielen Beiträge hier verloren – hat denn irgendjemand die EU-Politik als „faschistisch“ bezeichnet? Müssen wir sie gegen diesen Vorwurf verteidigen? Wo es doch ganz andere Vorwürfe gibt, die man ihr im Zusammenhang mit dieser Internierungslageridee machen kann, ohne dabei auf den Begriff „faschistisch“ zurückgreifen zu müssen... Vorbemerkung: Die Lektüre des „Zeit“-Artikels, aus dem ich weiter oben Auszüge zitiert habe, führt mich u.a. zu folgenden Schlussfolgerungen: Die, die sich im Streben nach „Sicherheit“ (ich vermute, da ist nicht nur die materielle Sicherheit gemeint, also ein höheres Einkommen, sondern auch das Mehr an Sicherheit in den politischen, sozialen, rechtlichen Rahmenbedingungen, das Europa im Vergleich mit anderen Regionen zu bieten hat) erst einmal auf den Weg nach Europa gemacht haben, u. deren Weg sich als alles andere denn „ kurz und sicher“ erwiesen hat, u . die dann zurückgeschickt wurden, haben viele Gründe, es dennoch immer wieder zu versuchen: Die Schulden, die es abzuzahlen bzw. abzuarbeiten gilt, bei Verwandten... oder bei Menschenhändlern; der Bruder, Onkel usw., der´s ja trotz allem auch geschafft hat; die Mutter, die Familie, die Freunde, denen gegenüber es das Gesicht zu wahren gilt; die bereits investierten Energien u. erduldeten Qualen, die physischen u. psychischen Opfer, die doch nicht einfach total umsonst gewesen sein können, u. je schlimmer es ist, je schwerer fällt es, sich damit abzufinden, dass all die Strapazen sinnlos u. für´n Hugo gewesen sein könnten... (Je mehr Energie bereits zur Erreichung eines Ziels aufgewendet wurde, je schwieriger wird es, dieses Ziel grundsätzlich in Frage zu stellen.) Zu den Lagern: Mag sein, dass Lager tatsächlich eine brauchbare Lösung für irgendwelche Probleme darstellen. Vielleicht für die der europäischen Politiker gegenüber den europäischen Wählern. Aber vielleicht auch nur so lange, wie Holger schon andeutete, bis europäische Massenmedien kritische Berichte veröffentlichen über das, was in u. um diese Lager herum aller Voraussicht nach geschehen wird, wenn wir von der Prämisse ausgehen, dass kein Illegaler ein Interesse daran haben kann, sich freiwillig in ein solches Lager zu begeben, wenn das seine Chancen, nach Europa zu gelangen, nicht erheblich verbessert (was wiederum nicht im Sinne der EU ist), Illegale also mit Zwang u. Gewalt dorthin gebracht u. festgehalten werden müssen. Mit EU-Mitteln finanzierte Internierungslager ausserhalb Europas könnten aber auch eine (Teil-)Lösung für das Problem der EU darstellen, die Verantwortung für unerfreuliche und mit den Menschrechtsstandards innerhalb der EU nicht zu vereinbarende Maßnahmen selbst übernehmen zu müssen. Da träfe es sich doch günstig, wenn sich diese Verantwortung an jene Länder delegieren ließe, die ohnehin schon keine besonders gute Presse haben (Libyen – wär doch ideal! Gaddafis Leute sind sicher die Richtigen für diesen Job.) Wie komm ich auf solche Gedanken? Bei der Lektüre dieses Artikel auf euobserver.com: http://www.euobserver.com/?sid=9&aid=17437 U.a. dort zu lesen: Jonathan Faull, the head of the Commission's Justice and Home Affairs service, told journalists that earlier proposals to set up EU asylum centres in North Africa were "very different from the ones we are talking about now"[…] The Commission said that its announcement last week to support the five north African countries was purely assistance to build capacity and was in conjunction with the United Nations High Commissioner for Refugees.Also: Keine zweckgebundenen Mittel für die Errichtung von Lagern, keine offiziellen Direktiven der EU, was mit den Geldern zu geschehen hat, die nordafrikanischen Staaten dürfen selber entscheiden u. die Entscheidungen verantworten, und „capacity building“ ist ein weites Feld, da kann alles Mögliche drunter fallen, von der Ausbildung von Betreuern oder spezieller Polizeikräfte bis zum Ausbau der Infrastruktur, z.B. Internierungslager... Lobozen, Du kennst den Unterschied zwischen Sarkasmus und Zynismus, nicht wahr? „Faschistisch“ muss eine EU-Politik gar nicht erst sein, um mich zu Kritik zu veranlassen. „Inhuman“ u. zusätzlich noch „Symptome statt Ursachen bekämpfend“, eventuell auch noch „heuchlerisch“, das reicht mir für´n Anfang schon mal... Dass es anderswo noch viel inhumanere gibt, ist eine traurige Tatsache, nur diskutieren wir in diesem thread über eine Entscheidung, die die EU zu verantworten hat - oder soll ich sagen: hätte? - u. nicht über Entscheidungen, die diese anderen Regierungen zu verantworten haben, die gegen ihre eigenen Staatsbürger schon sehr viel Gewalt in verschiedensten Formen einsetzen, von illegalen Migranten ganz zu schweigen... Und wenn die EU mit Kritik an Menschenrechtsverletzungen in anderen Staaten Erfolg haben will, tut sie gut daran, sich diesbezüglich ein Minimum an Glaubwürdigkeit zu bewahren. Sosehr ich davon überzeugt bin, dass kein Land der Welt gezwungen werden sollte, s ä m t l i c h e Einwanderungswilligen aufzunehmen, sosehr hoffe ich, dass wir Europäer bessere (und auch: ehrlichere) Lösungen finden werden, uns die Unerwünschten - wobei ich persönlich das Unerwünschtsein einerseits nicht an bestimmten Personengruppen oder Herkunftsländern festmachen möchte, und mir andererseits nicht vorstellen kann, wie es möglich wäre, ohne zahlenmäßige Beschränkung auszukommen – uns diese Unerwünschten also vom Leibe zu halten, als Internierungslager in mehr (Libyen) oder weniger (Marokko) undemokratischen Drittstaaten. (ECHTE Flüchtlinge gibt´s übrigends auch in Nigeria, u. in einigen Fällen hätte ich auch heute noch Verständnis für Marokkaner, die in Europa um politisches Asyl ansuchen, wobei die Zahl solcher Fälle in den letzten Jahren glücklicherweise stark gesunken ist.)
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Re: "Internierungslager am Rande der Sahara"
#49359
10/10/04 05:31 PM
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Teil 3: Hallo Thomas, Deiner Idee, „Aufklärungskampagnen“ in den Ursprungsländern durchzuführen, kann ich da auf Anhieb schon wesentlich mehr abgewinnen. Vor allem, weil dieser Vorschlag nicht darauf abzielt, sich bloß der Auswirkungen eines Übels zu entledigen, sondern darauf, dessen Ursachen zu bekämpfen. Aber nimm mal Nigeria: Ein von Gewalt u. Korruption auf allen Ebenen noch immer ziemlich zerfressenes Land. Die „Realität“ dort, inklusive warlords, religiösen Fanatikern (Stichwort: Amina Laval) , Demonstranten niederschießenden Regierungstruppen (s. http://hrw.org/german/docs/2004/05/17/nigeri8594.htm), Menschenrechtsverletzungen noch u. nöcher, an nahezu allen wirtschaftlichen Transaktionen beteiligten mafiaähnlichen Organisationen, familiären Racheakten etc. etc. etc.- die Situation dürfte wohl für viele Nigerianer auch einiges Abschreckende an sich haben... Mit Unterstützung der - je nach Betrachtungsweise: Aufklärungs- oder Abschreckungsaktionen von Seiten der nigerianischen Regierung ist nicht zu rechnen, noch viel weniger als in Marokko, wo zwar hin u. wieder der „brain drain“ ein bisschen bejammert wird, die Überweisungen der Auslandsmarokkaner aber einen fix eingeplanten, nicht unbeträchtlichen Posten der Zahlungsbilanz ausmachen. (Hatte Grossbritannien im 19. Jhdt. denn a) ein Interesse daran, seine angesichts von politischen u. religiösen Konflikten, Überbevölkerung u. Armut massenweise nach Nordamerika auswandernden irischen Untertanen (Bevölkerung 1840 ca. 8,5 Mio., 2003 ca. 4 Mio.!) im Lande zu behalten u. b) falls ja, wie hätten sie das denn bewerkstelligen sollen? Mit Aufklärungskampagnen über gesunkene Überseeschiffe, böse Indianer u. die schlimmen Zustände in den Goldgräbersiedlungen und in den Arbeiterslums der Industriegebiete?- Ja, nach dem EU-Beitritt hatten sie fulminante Wirtschaftswachstumsraten, die Iren, u. genau das würde ich Ländern wie Marokko oder auch Nigeria ebenfalls wünschen, aber selbst unter den allergünstigsten Bedingungen wird damit in näherer Zukunft wohl nicht zu rechnen sein... Ich versuch, es noch mal anders, weniger polemisch, zu formulieren: In dem Maß, in dem wirtschaftliche Gründe auschlaggebend sind für den Auswanderungswunsch, werden wirtschaftliche Gründe auch ausschlaggebend sein für die Entscheidung, zu bleiben, und gerade auf diesem Gebiet hätte die EU noch eine ganze Reihe derzeit nicht genutzte Möglichkeiten, die Anreize fürs Bleiben zu verstärken.) Ich bin mir sicher, daß dies, wenn es dann auch tatsächlich in den Köpfen der Menschen ankommt, so manchen überlegen läßt, wo er seine Energie und sein Geld nicht besser in den Aufbau seiner Zukunft in seinem Heimatland steckt. Ja, sofern auch die poltische Situation im Land u. die Sicherheits- u. Rechtslage einen Funken Hoffnung darauf zulassen, dass sich das mit mehr oder weniger ehrlicher Arbeit Erwirtschaftete nicht morgen schon infolge individueller oder kollektiver Gewaltakte oder des willkürlichen und korruptionsunterstützten Zugriffs von Mächtigeren in Nichts auflöst. Und diesbezüglich sind doch recht erhebliche Unterschiede etwa zw. Marokko einerseits u. manchen afrikanischen Staaten andererseits festzustellen. Aufklärungsarbeit, was die bei der Migration zu erwartenden Scherereien anlangt, halte ich für sehr wünschenswert, damit Auswanderungswillige die Risiken besser einschätzen können, aber in welchen Regionen u. welchen sozialen Schichten wie viele damit von ihrem Vorhaben abzubringen sein werden...? Ich hab den Verdacht, dass das auch nicht die Patentlösung sein wird.- Noch eine kleine Frage am Rande, Thomas: Manche nehmen´s in Kauf, sich von Eidechsen u. Heuschrecken zu ernähren u. mit den (Un-)Sitten diverser Entwicklungsländer herumzuschlagen, andere, sich als Illegale in Europa mehr schlecht als recht durchzuschlagen... Sind Letztere denn so v ö l l i g anders gestrickt als Erstere? Schönen Sonntagnachmittag noch allerseits u. sorry für die Länge des Texts, aber wenn ich schon mal in die Lage komm, nicht nur Lust zu haben, hier meinen Senf dazuzugeben, sondern auch noch Zeit dafür, dann fällt mir das Maßhalten schwer!
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Re: "Internierungslager am Rande der Sahara"
#49361
11/10/04 08:42 PM
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Korrektur: Statt des nicht funktionierenden links in meinem gestrigen Beitrag hier ein anderer zur Flüchlingssituation in Nigeria http://www.refugees.org/wrs04/country_updates/africa/nigeria.html Auch nicht aus „Bild“, sondern aus „Le Monde diplomatique“, ein Ausschnitt aus einem Artikel über europäische Asylpolitik: "Illegale Auswanderung", ein Begriff mit Zukunft
AUF dem Ratsgipfel von Thessaloniki im Juni 2003 fand der britische Vorschlag allerdings keine Zustimmung. Stattdessen wurde beschlossen, dass die EU verstärkt Rücknahmeabkommen mit den Auswanderungsländern schließen solle. UNHCR-Hochkommissar Lubbers, der abwechselnd für und gegen die Flüchtlinge Partei ergreift, ermahnte die Unionsländer im November 2003, bei der Ausarbeitung einer gemeinsamen Asylpolitik müsse man auch die Menschenrechtsgarantien einhalten - und zwar auch die in den "sichere Drittländern". Trotz dieser löblichen Erklärung scheint sich das UNHCR zunehmend von seiner eigentlichen Aufgabe, dem Schutz der Flüchtlinge, zu entfernen und sich der europäischen Auslagerungspolitik unterzuordnen.(16) Wer die Flüchtlinge loswerden will, muss Sonderauffanglager gründen wollen. Die Rede von "sicheren Drittländern", "Rücknahmeabkommen" und "Transitzentren" bedeutet immer schon die Kasernierung unerwünschter Personengruppen. Dabei hatte die Genfer Konvention von 1951 den Asylanspruch auf alle Personen ausgeweitet, die "begründete Furcht" haben, wegen einer Gruppenzugehörigkeit verfolgt zu werden.(17) Die neue EU-Politik hingegen, die auch beim UNHCR Zustimmung findet, geht umgekehrt davon aus, dass bestimmte Personen gerade aufgrund ihrer Zugehörigkeit keinen Asylanspruch bei uns geltend machen können. Ein ideologisches Manöver, das aufgrund seines selbstreferenziellen Charakters Anlass zu schlimmsten Befürchtungen gibt: Man sortiert die Menschen nach ihrer Herkunft und rechtfertigt allein damit schon das Auswahlkriterium. Diese Politik führt automatisch zu einem flüchtlingsfeindlichen Rassismus, der sich gegen bestimmte nationale oder ethnische Gruppen richtet, wie er in Italien gegenüber den Albanern und in Frankreich gegenüber den rumänischen Roma bereits heute zu beobachten ist. Die anvisierte Auslagerung der Flüchtlingsproblematik muss auch die internationalen Beziehungen beeinträchtigen. Denn diese Politik führt nicht etwa dazu, den Imperialismus zu überwinden, sondern führt geradewegs in imperialistische Beziehungen zurück. Schon die Verhandlungen zur EU-Osterweiterung boten ein wenig erquickliches Schauspiel, denn die Beitrittskandidaten mussten ihre "Eintrittskarte" durch willfährige Hilfe bei der Eindämmung der Migrationsströme erkaufen. Mit Polen zum Beispiel unterzeichnete die "Schengen-Gruppe" bereits 1990 ein Rücknahmeabkommen. Derzeit zeichnet sich auf diesem Feld eine neue internationale Arbeitsteilung ab. Rücknahmeabkommen und Auffanglanger für Asylbewerber werden immer mehr zum Gegenstand zweifelhafter Kungeleien. Verschuldete Drittweltländer müssen damit rechnen, dass die EU weitere Entwicklungshilfe von ihrer Bereitschaft abhängig macht, die Migration "an der Quelle" zu bekämpfen. Dies unterstützt nicht nur die ohnehin korrupten Staatsführer, die nur zu häufig die alleinigen Nutznießer der so genannten Entwicklungshilfe sind, es festigt auch die aus Kolonialzeiten stammenden Seilschaften. Auf der Strecke bleibt der Flüchtling, der nun von beiden Seiten als Feind wahrgenommen wird. Symptomatisch ist in diesem Zusammenhang, dass es neuerdings Länder gibt, die als "Länder mit illegaler Auswanderung" bezeichnet werden. Das bedeutet aber eindeutig eine Verhöhnung der Allgemeinen Menschenrechtserklärung, wonach jedes Individuum das Recht hat, sein Land zu verlassen.Der Artikel ist nachzulesen unter: http://monde-diplomatique.de/pm/2004/03/12/a0007.text Derzeit distanziert sich das Hochkommissariat für Flüchtlingswesen von den Vorschlägen europäischer Politiker: „Klarstellung zum EU/Nordafrika-Asylprojekt
Vor dem Hintergrund irreführender Berichte zum heutigen informellen Treffen der EU-Innen- und Justizminister im niederländischen Scheveningen stellt das UN-Flüchtlingskommissariat (UNHCR) klar: Meldungen sind unzutreffend, nach denen UNHCR an einem von der EU-Kommission finanzierten Projekt zum Aufbau von fünf Aufnahmeeinrichtungen in Marokko, Algerien, Tunesien, Libyen und Mauretanien beteiligt ist. Die Konferenz der Innen- und Justizminister bezieht sich auf einen Vorschlag, den UNHCR der Europäischen Kommission bereits vor langer Zeit unterbreitet hatte. Dieser bezog sich auf den Aufbau oder die Stärkung von Asylsystemen in Nordafrika, das heißt zum Beispiel Gesetzgebung, Fortbildung von Beamten für die Durchführung von Flüchtlingsanerkennungsverfahren, Unterstützung von Nichtregierungsorganisationen beim Aufbau ihrer Kapazitäten. Von Aufnahmezentren war in diesem Vorschlag nie die Rede. Die irreführenden Berichte beruhen anscheinend auf einer Verwechslung zwischen diesem bereits länger bestehenden Projektvorschlag, der im Rahmen der UNHCR-Initiative „Konvention Plus“ entstanden war, und hiervon klar zu trennenden Vorschlägen, die eine Reihe von europäischen Ministern während der vergangenen Wochen machte. Veröffentlicht am: Freitag, 01. Oktober 2004“ http://www.unhcr.de/index.php/cat/27/aid/1116 Ich kann mir auch nicht gut vorstellen, dass das von mir skizzierte worst-case-Szenario, von dem ich hoffe, dass es zu verhindern sein wird, die Zustimmung des UNHCR finden könnte. (Leider weiß ich aber, dass z.B. die von der UNO schärfstens kritisierte österreichische Asylpolitik dennoch stattfindet – mit Folgen, die die Frage aufwerfen, ob Menschenrechte in A, einem der reichsten Länder der Welt, überhaupt noch einen Pfifferling wert sind... Aber das gehört nicht hierher.) Hallo haskamp, ich glaub, ich hab´s verstanden: "Bild" ist, was Dir nicht ins Bild passt. Marokko ist ein sehr schönes u. faszinierendes Land, aber leider nicht immer u. überall, u. die Illegalen, die bekommen hauptsächlich die andere Seite zu sehen...
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