Eine nordafrikanische Reise durch die Welt von Paris.
Der dumpfe und zugleich klangvolle Ruf der Guimbri ertönt, jenes marokkanische Saiteninstrument, das melodische als auch perkussive Qualitäten vereint und als Symbol für die Musik des Maghreb steht. Doch ehe wir uns so recht orientieren können, setzt ein ganzer Komplex euro-afro-amerikanischer Klänge ein. Willkommen in Paris, willkommen
im multikulturellen Ambiente der Musik des Perkussionisten Karim Ziad.
Der 34jährige Karim Ziad blickt auf eine Jugend in Algier zurück, einer Stadt, die im Gegensatz zu ihrem heutigen Ruf vor gar nicht vielen Jahren ein multikulturelles Flair verströmte. Hier sammelte Ziad seine
ersten musikalischen Erfahrungen. "Als ich jung war", so Ziad, "hörte ich nicht nur Musik aus Marokko oder Algerien. Algier war immer ein kultureller Schmelztiegel. Wir hatten Radio und Fernsehen, und Europa
lag um die Ecke. Anderthalb Stunden im Flugzeug, und du bist da. Ich muss über meine Musik nicht nachdenken, denn in ihr kommen einfach die Elemente all dessen zusammen, was ich selbst immer gehört habe." Als Perkussionist in Hochzeitsbands erhielt Karim Ziad seinen ersten Schliff, denn von ihm wurde verlangt, im maghrebinischen Repertoire
genauso zuhause zu sein, wie im französischen Song, im Funk, in der Berber-Musik, in anderen afrikanischen und orientalischen
Musiktraditionen.
Als Zwanzigjähriger kam Karim Ziad in Paris an. Hier fand er ein multiethnisches Klima vor, das keine Grenzen oder Barrieren kennt.
Schnell erlangte er Kontakt zu anderen Musikern, spielte in der Band von
Cheb Mami und bei Joe Zawinul. Er pumpte sich mit musikalischen Erfahrungen voll wie ein Schwamm und suchte nach der optimalen
musikalischen Verbindung all der Elemente und Tendenzen, die seinen Alltag ausmachten. Doch nirgendwo stieß er auf das Elexier, das ihn
befriedigen konnte. Erst in Nguyên Lê´s Projekt Maghreb & Friends (ACT 9261-2) gelangte er ein entscheidendes Stück weiter. "Von Nguyen habe
ich viel über den Umgang mit Sound gelernt. Allerdings nähere ich mich der Musik anders an als er. Er ist sehr intellektuell. Ich hingegen vertraue allein meinem Herzen und meinen Ohren. Meine Musik ist wesentlich
traditioneller als die von Nguyen."
Ein weiterer wesentlicher Unterschied: Karim Ziad nutzt das klassische Song-Format. Er singt Lieder. Doch die
Geistesverwandtschaft zwischen den Freunden Nguyên Lê und Karim Ziad liegt viel tiefer, als dass sie sich allein über den traditionellen oder
modernen Gehalt ihrer Klangkomplexe und die Formate ihrer Stücke definieren ließe. Beiden gelingt es, eine Weltmusik zu schaffen, die
Elemente verschiedenster Kulturen mixt, ohne an der Unmittelbarkeit jedes einzelnen musikalischen Ausdrucks zu rütteln. Wie den Alben Nguyên Lê´s, kann man sich auch der Musik Karim Ziads von ganz unterschiedlichen Perspektiven aus nähern. Man kann sie als Musik des Maghreb hören, die sich in Richtung Jazz und Pop öffnet, man kann sie
als Spielart des von amerikanischen Mustern emanzipierten Eurojazz betrachten.
"Meine Haupttendenz ist die Musik des Maghreb. Nordafrikanische Musik. Ich habe diese Musik mit okzidentalen Sounds und Harmonien gemischt, mit Gitarre, Piano, Schlagzeug und Bass. Paris ist der geeignete Ort, um diese Melange in die Wirklichkeit umzusetzen. Wir könnten in Deutschland oder England nicht dieselbe Musik machen,
obwohl es dort adäquate Studios gibt. Aber dort hast du eben nicht diese Kultur des Maghreb." Der Sound und die Harmonien der Produktion stehen für Europa. Aber die mannigfachen Rhythmen und der Gesang
repräsentieren Afrika. Karim Ziad will sich auf möglichst breiter Ebene mitteilen. "Wenn man Maghreb-Musik für Europäer spielt, muss man sie verändern, um dieses Publikum wirklich zu erreichen. Viele Europäer
mögen die Musik des Maghreb, aber sie können nicht nachvollziehen, was darin wirklich passiert. Wenn du diese Musik aber mit europäischen oder amerikanischen Klängen mixt, wird sie sofort viel sanfter und
weicher. Schließlich willst du die Menschen erreichen, sie berühren.
Musik, die für niemanden bestimmt ist, ist langweilig."
Karim Ziad ist ein Vermittler zwischen Welten. Er thematisiert die
Widersprüche zwischen Ost und West und das vielfältige Gefälle in den verschiedenen Regionen Afrikas. So ist auch der Albumtitel "Ifrikya" gemeint. "Darüber spreche ich in dem Song 'Ya Rijal'. Wenn die afrikanische Flöte startet, sage ich, egal ob wir aus Tunesien, Algerien,Marokko oder Mauretanien kommen - unser Haus ist Afrika. Und
Afrika ist unsere Mutter. Und wer es noch nicht weiß, Afrika ist die Mutter
aller Menschen. Es gibt ein großes Problem zwischen dem Osten und dem Westen, egal wo du hinschaust auf der Welt. Ich will den Westen
und den Osten einander annähern. Afrika ist Afrika. Ich will damit sagen, ich bin zwar weiß, aber ich bin Afrikaner. Ich bin Berber, und meine Weißheit kommt von Afrika, nicht von Europa."
Ziad richtet sich nicht nur an die Nordafrikaner oder die Franzosen,
er richtet sich an die ganze Welt. Seine Musik klingt wie ein Marktplatz der Emotionen, Leidenschaften, Erfahrungen, Traditionen und Visionen.
Man kann sie nicht nur hören, man kann sie schmecken, riechen, fühlen.
Dabei ist es nichts weiter als das exakte Spiegelbild jener einzigen
wirklichen Weltstadt Europas, Paris. Er brauchte nicht länger als zehn Tage, um "Ifrikya" aufzunehmen und zu mischen. Die Musik exisitierte bereits in seinem Kopf. Er musste sie nur herauslassen. Und sich nach
Partnern umzusehen, die mit ihm gemeinsam an diesem Bild der Liebe, wie er es nennt, malen würden. " Ich habe mich für die besten Musiker entschieden, die es für diese Musik gibt. Abdelkbir Merchane, der Sänger
des ersten Stückes, ist der beste Gnawa, den ich kenne. Am Bass ist Linley Marthe aus Mauritius. Der Pianist Boris Zulfikarpasic schrieb mir den Song 'Joker'. Wüsste man nicht, dass dieser Song aus Bosnien
kommt, würde man ihn für algerisch halten. Mit Bassist Michel Aliba aus Martinique habe ich schon auf 'Maghreb & Friends' zusammen gespielt. Da ist auch der blinde, jüdische, französische Keyboarder Jean-Philippe
Rykiel, der viel mit Musikern wie Youssou N'Dour und Salif Keita arbeitet.
Hinzu kommen viele Maghrebiner als Background-Vokalisten. Und natürlich Nguyên Lê. Ich selbst spiele diverse Instrumente von den Keyboards über den Bass bis zur Gitarre."
Wolf Kampmann
Die CD:
Ifrikya - Karim Ziad - ACT 9282-2 - LC 07644
Besetzung:
Karim Ziad (vocals, drums, percussion, gembri, guitar, mandola)
Abdelkbir Merchane (vocals)
Hamid Mestari (vocals, outar)
Abdenour Djemaï (banjo, mandola, vocals)
Menni Mohamed (percussion, vocals)
Khliff Miziallaoua (guitar, vocals)
Nguyên Lê (guitar)
Bojan Zulfikarpasic (piano)
Jean-Philippe Rykiel (synthesizer)
David Aubel (flute)
Ali Wague (pehl flute)
Linley Marthe (bass)
Michel Alibo (bass)
Alain Debiossat (saxophones)
Vincent Mascart (tenor saxophone)
Gaëlle Hervé & Marielle Hervé (background vocals)
Titel:
1 Aît Oumrar (trad. arr. by Karim Ziad / Abdelkbir Merchane)
2. Ya Rijal (Karim Ziad / Nguyên Lê)
3. Awra (trad. arr. by Karim Ziad / Hamid Mestari)
4. Lebnia (trad. arr. by Karim Ziad)
5. Alouhid (Karim Ziad / Takfarinas / Nguyên Lê)
6. Sandiya (trad. arr. by Karim Ziad / Abdelkbir Merchane)
7. Amaliya (trad. arr. by Karim Ziad)
8. Gwarir (Karim Ziad)
9. The Joker (Bojan Zulfikarpasic)
10. Nesrafet (Karim Ziad)