Hallo Ihr,

Marie hat recht. Steine wurden hin und wieder auch schon vor dem Krieg geworfen! Meine schlimmsten Marokko-Erlebnisse in Form von Kindern, die versuchten die Fenster unseres Autos zu zerschlagen und uns mit Steinen bewarfen etc waren alle vor dem Krieg und alle auch vor dem 11. September. Die erste und einzige Platzwunde meines Lebens (am Hinterkopf) bekam ich von Kindern, die Steine warfen und zwar vor 6 Jahren. In Tinghir. Heute lebe ich hier.

Es gibt Regionen, da fallen Touristen negativ auf, da haben Europäer gelernt, dass man seine Ruhe sich durch Stylos erkaufen kann oder ein paar Dirhämmer. Dort sind es Kinder gewöhnt, etwas zu bekommen und wenn dies nicht der Fall ist, dann werden sie eben sauer. Nicht, dass ich dies gut heissen würde, mehr noch, ich verurteile beide Seiten, die europäische, die durch vielleicht z.T. sogar gut gemeinte Taten das Bild aufwirft, Europäer seien dazu da, die marokkanischen Kinder zu beschenken, oder Touristen, die in Kolonnen durch das Land fahren und sich gar nicht mit den Menschen beschäftigen, sondern nur die Sonne suchen..., ich ärgere mich aber auch über die marokkanischen Lehrer und Eltern, die den Kindern nicht beibringen, Respekt vor anderen Menschen zu haben: Steine werfen ist immer etwas sehr Erniedrigendes, egal wer sie wirft, egal wen sie treffen. Aber es ist kein marokkanisches Phänomen. In sozialen Brennpunkten Deutschlands werden Menschen auch ohne offensichtlichen Gründen verprügelt oder Autos zerstört, in den USA werden Menschen auf offener Strasse ganz ohne Krieg erschossen (siehe den oskar-gekrönte Film Bowling for Columbine). Das ist ein bisschen mehr als Steine werfen und ist das etwa auf den Golf-Krieg zurück zu führen??? Nein, es ist einfach die soziale Situation, die in einem Land herrscht, die Menschen zu dem werden lässt, was sie machen.
Ich hatte vor kurzem so ein Schlüsselerlebnis in Aegypten. Ein Amerikaner, der dort reiste, sagte mir: "Weisst du, wir in den USA lernen, dass all diese Staaten Schurkenstaaten seien, dass diese Länder von Terroristen bevölkert sind. Und nun bin ich hier in Aegypten und kann nachts ohne Angst, völlig sicher über die Strasse gehen: Die Leute rufen: Welcome, sie gruessen, wollen einen Tee mit mir trinken. Daheim, in den USA habe ich Angst vor Heckenschützen, habe Angst, nachts mit dem Messer oder einer Pistole bedroht zu werden. Und hier, wo alles so ruhig ist und die Menschen so friedlich, sollen Terroristen leben? Wir sollten das Wort Terrorist neu definieren!!!"

Nun, keine Angst also, ich bin jetzt da und spüre keine Feindschaft. Ich werde zwar viel angesprochen. Aber freundlich. Die Menschen sind interessiert und neugierig, was ich, eine Europäerin zu all dem zu sagen habe.

Liebe Grüsse aus Tinghir,

Muriel