Teil 2:

Hallo Holger,

„Mit EU-Geldern?“-

Ich seh das so: Die EU-Gelder sollen bewirken, dass das, was „aber wie planlos, wie dilettantisch!“ geschah u. daher nicht im Sinne der EU war u. ist, systematisch u. effizient getan werden soll. Richtige, solide EU-Lager, damit die armen Illegalen nicht in irgendwelchen Erdhöhlen hausen müssen, die werden sich sicher freuen... Da den Illegalen aber bewusst ist, dass sie illegal sind, und zwar deshalb, weil sie keine legale Möglichkeit der Einreise nach Europa gefunden haben, aber unbedingt nach Europa wollen, könnte es durchaus sein, dass mit EU-Geldern Lager in die nordafrikanische Landschaft gestellt werden, die eher dem Typus des Hochsicherheitstrakts als dem des Flüchtlingslagers entsprechen, und wo einige Immigrationswillige einige Zeit lang sitzen, bevor sie in den allermeisten Fällen abgeschoben werden und es in vielen Fällen erneut versuchen, und, gewitzt durch Erfahrung, sich dann eine besonders versteckt gelegene Erdhöhle suchen, um so die Gefahr möglichst gering zu halten, aufgegriffen u. in ein Lager gebracht zu werden. Ob die Zurückgeschickten daheim Gelegenheit haben, Informationen an andere Auswanderungswillige weiterzugeben über die Lager u. die äußerst geringen Chancen, von dort nach Europa zu gelangen, u. den Kollegen Tipps zu geben, wie es sich am ehesten vermeiden ließe, dorthin zu geraten, entzieht sich meiner Kenntnis; ebenso, ob die zur Verbringung in die Lager in Ermangelung diesbezüglicher Kooperationsbereitschaft der Illegalen erforderlichen Polizeiaktionen ebenfalls mit EU-Mitteln finanziert werden sollen. Weiters entzieht sich meiner Kenntnis, ob daran gedacht ist, im Verlauf solcher Aktionen gegebenfalls zu beklagende Verletzte oder Tote auf EU-Kosten zu behandeln oder zu bestatten. Ich weiß leider auch nicht, ob Pläne bestehen, als ergänzende Maßnahme zumindest eine verstärkte Unterstützung der Transitländer (wenn schon nicht der Ursprungsländer) bei der Bekämpfung von Schleppern und Menschenhändlern durchzuführen, u. zwar mit EU-Geldern.

Ich seh schon, ich werd heut keine Ruh geben können, bevor ich das, was Du in Deinen Zeilen kurz ansprichst, hier formatfüllend breitgewalzt haben werde, und deshalb:

Hi Lobozen,

willkommen zurück!

Ich hab ein wenig den Überblick über die vielen Beiträge hier verloren – hat denn irgendjemand die EU-Politik als „faschistisch“ bezeichnet? Müssen wir sie gegen diesen Vorwurf verteidigen? Wo es doch ganz andere Vorwürfe gibt, die man ihr im Zusammenhang mit dieser Internierungslageridee machen kann, ohne dabei auf den Begriff „faschistisch“ zurückgreifen zu müssen...

Vorbemerkung: Die Lektüre des „Zeit“-Artikels, aus dem ich weiter oben Auszüge zitiert habe, führt mich u.a. zu folgenden Schlussfolgerungen: Die, die sich im Streben nach „Sicherheit“ (ich vermute, da ist nicht nur die materielle Sicherheit gemeint, also ein höheres Einkommen, sondern auch das Mehr an Sicherheit in den politischen, sozialen, rechtlichen Rahmenbedingungen, das Europa im Vergleich mit anderen Regionen zu bieten hat) erst einmal auf den Weg nach Europa gemacht haben, u. deren Weg sich als alles andere denn „ kurz und sicher“ erwiesen hat, u . die dann zurückgeschickt wurden, haben viele Gründe, es dennoch immer wieder zu versuchen: Die Schulden, die es abzuzahlen bzw. abzuarbeiten gilt, bei Verwandten... oder bei Menschenhändlern; der Bruder, Onkel usw., der´s ja trotz allem auch geschafft hat; die Mutter, die Familie, die Freunde, denen gegenüber es das Gesicht zu wahren gilt; die bereits investierten Energien u. erduldeten Qualen, die physischen u. psychischen Opfer, die doch nicht einfach total umsonst gewesen sein können, u. je schlimmer es ist, je schwerer fällt es, sich damit abzufinden, dass all die Strapazen sinnlos u. für´n Hugo gewesen sein könnten... (Je mehr Energie bereits zur Erreichung eines Ziels aufgewendet wurde, je schwieriger wird es, dieses Ziel grundsätzlich in Frage zu stellen.)

Zu den Lagern: Mag sein, dass Lager tatsächlich eine brauchbare Lösung für irgendwelche Probleme darstellen. Vielleicht für die der europäischen Politiker gegenüber den europäischen Wählern. Aber vielleicht auch nur so lange, wie Holger schon andeutete, bis europäische Massenmedien kritische Berichte veröffentlichen über das, was in u. um diese Lager herum aller Voraussicht nach geschehen wird, wenn wir von der Prämisse ausgehen, dass kein Illegaler ein Interesse daran haben kann, sich freiwillig in ein solches Lager zu begeben, wenn das seine Chancen, nach Europa zu gelangen, nicht erheblich verbessert (was wiederum nicht im Sinne der EU ist), Illegale also mit Zwang u. Gewalt dorthin gebracht u. festgehalten werden müssen.

Mit EU-Mitteln finanzierte Internierungslager ausserhalb Europas könnten aber auch eine (Teil-)Lösung für das Problem der EU darstellen, die Verantwortung für unerfreuliche und mit den Menschrechtsstandards innerhalb der EU nicht zu vereinbarende Maßnahmen selbst übernehmen zu müssen. Da träfe es sich doch günstig, wenn sich diese Verantwortung an jene Länder delegieren ließe, die ohnehin schon keine besonders gute Presse haben (Libyen – wär doch ideal! Gaddafis Leute sind sicher die Richtigen für diesen Job.)

Wie komm ich auf solche Gedanken? Bei der Lektüre dieses Artikel auf euobserver.com:
http://www.euobserver.com/?sid=9&aid=17437
U.a. dort zu lesen:
Jonathan Faull, the head of the Commission's Justice and Home Affairs service, told journalists that earlier proposals to set up EU asylum centres in North Africa were "very different from the ones we are talking about now"[…]
The Commission said that its announcement last week to support the five north African countries was purely assistance to build capacity and was in conjunction with the United Nations High Commissioner for Refugees.


Also: Keine zweckgebundenen Mittel für die Errichtung von Lagern, keine offiziellen Direktiven der EU, was mit den Geldern zu geschehen hat, die nordafrikanischen Staaten dürfen selber entscheiden u. die Entscheidungen verantworten, und „capacity building“ ist ein weites Feld, da kann alles Mögliche drunter fallen, von der Ausbildung von Betreuern oder spezieller Polizeikräfte bis zum Ausbau der Infrastruktur, z.B. Internierungslager...

Lobozen, Du kennst den Unterschied zwischen Sarkasmus und Zynismus, nicht wahr?

„Faschistisch“ muss eine EU-Politik gar nicht erst sein, um mich zu Kritik zu veranlassen. „Inhuman“ u. zusätzlich noch „Symptome statt Ursachen bekämpfend“, eventuell auch noch „heuchlerisch“, das reicht mir für´n Anfang schon mal...

Dass es anderswo noch viel inhumanere gibt, ist eine traurige Tatsache, nur diskutieren wir in diesem thread über eine Entscheidung, die die EU zu verantworten hat - oder soll ich sagen: hätte? - u. nicht über Entscheidungen, die diese anderen Regierungen zu verantworten haben, die gegen ihre eigenen Staatsbürger schon sehr viel Gewalt in verschiedensten Formen einsetzen, von illegalen Migranten ganz zu schweigen... Und wenn die EU mit Kritik an Menschenrechtsverletzungen in anderen Staaten Erfolg haben will, tut sie gut daran, sich diesbezüglich ein Minimum an Glaubwürdigkeit zu bewahren.

Sosehr ich davon überzeugt bin, dass kein Land der Welt gezwungen werden sollte, s ä m t l i c h e Einwanderungswilligen aufzunehmen, sosehr hoffe ich, dass wir Europäer bessere (und auch: ehrlichere) Lösungen finden werden, uns die Unerwünschten - wobei ich persönlich das Unerwünschtsein einerseits nicht an bestimmten Personengruppen oder Herkunftsländern festmachen möchte, und mir andererseits nicht vorstellen kann, wie es möglich wäre, ohne zahlenmäßige Beschränkung auszukommen – uns diese Unerwünschten also vom Leibe zu halten, als Internierungslager in mehr (Libyen) oder weniger (Marokko) undemokratischen Drittstaaten.

(ECHTE Flüchtlinge gibt´s übrigends auch in Nigeria, u. in einigen Fällen hätte ich auch heute noch Verständnis für Marokkaner, die in Europa um politisches Asyl ansuchen, wobei die Zahl solcher Fälle in den letzten Jahren glücklicherweise stark gesunken ist.)