Salam El Berr!

(1. EINIGE ERSTE ASPEKTE/ GEDANKENSPLITTER ZUM Profil des 'EUROPAMÜDEN' TOURISTEN)

Ich muss von den Strapazen meiner langen Anreise verschnaufen, ehe ich in den (virtuellen) Dialog mit Dir eintrete!

Als erstes lass' mich feststellen: Wir sind auf dem Jemaa el-Fna!!!
Und das kurz vor Sonnenaufgang!!!
Bald beginnt das quirlige Leben, das mich als deutschen Stadtplaner früher schon begeeister hat. Der Platz ist für mich ein fremdartiger, sprudelnder Jungbrunnen, nach dem ich 'giere', und den ich auch heute wieder zu sehen erwarte, zu erfahren trachte, mit allen Sinnen geniessen möchte!!!
Es ist für mich der geschichtsträchtige 'Platz der Geköpften', der literarische Tummelplatz des genialen Elias Canetti, der Platz des romantischen Hubert Fichte ... letztlich Ort und Raum, in dem viele Suchende und Glücksritter nach 'Gold gegraben' haben! Wolfgang Geerdt - habe ich gehört - malt hier seit geraumer Zeit seine von 'Verlustangst' geprägten Bilder, und Sadikki, der begabte Theaterregisseur, hat auf diesem Platz erst kürzlich ein 'multikulturelles Spontan-Spektakel' inszeniert: zusammen mit Franzosen und Amerikanern!
Eine kleine, beiseitegesprochene Abweichung vom Thema sei mir gestattet: Hab' ich gelacht, als ein Reiseführer im vorigen Jahr in Beni-Mellal scherzhaft von 'Krankzosen' und 'Kaugummikanern' gesprochen hat! Dafür haben ihm die Mitglieder der Reisegruppe dann auch kein 'Trinkgeld' gegeben - aber ich doch nicht! ich hab' ihm dafür das Doppelte gegeben, man muss ja schliesslich als reicher Europäer etwas gegen die Armut im Lande tun! Das beruhigt das Gewissen! Wer weiss, wieviel 'Mäuler der zuhause zu stopfen hat'! bei den vielen Frauen, die die Marokkaner haben können! Aber damit will ich nichts gegen die Moslems gesagt haben!!!

Warum hat bloss Sadikki uns Deutsche nicht mit in dieses multikulturelle Spektakel geholt? Wir hätten kräftig 'mitgemischt', hätten das Ganze bestimmt noch viel 'spassiger' gemacht, sind wir doch mittlerweile die Apologeten einer sich in Europa entwickelnden Spassgesellscheft!

Es geht durchaus aufwärts mit uns!

Gerade heute habe ich in einer grossen Berliner Tageszeitung gelesen, dass man Berliner Familien über Annonce aufgefordert hat, auf dem 'Boxhagener Platz' (liebevoll 'Boxi' genannt)ihre Kochkünste zu demonstrieren! Es gibt dafür reservierte Zeiten an zwei reservierten Wochentagen, zugewiesene und reservierte Kochstellen auf dem Platz, und der Platz befindet sich in einem etwas schmuddligeren Arbeiterviertel Berlins aus der Gründerzeit, wo man das noch machen kann. Allerdings müssen Hunde neuerdings Maulkörbe tragen - zumindest die, hinter denen die Polizei 'Kampfhunde' vermutet - und so bleiben den Hunden so manche Leckerbissen auf dem Erdboden verweigert. Dafür müssen sie dann doppelt heftig an ihren künstlichen Knochen nagen, wenn nicht 'Herrchen' ihnen denn doch noch ein saftiges Steak frisch vom Fleischer spendiert.
Und es wird beim Kochen Sieger geben, die ausgezeichnet werden! Ich ahne und vermute: Zum Akt des Kochens wird sicher auch der spontane Austausch von Rezepten hinzukommen, wer weiss, gewiss kommt eines Tages ein Feuerschlucker auf den Platz?!

Vielleicht schon ein kleiner deutscher Jemaa el-Fna in Sicht? ein kleiner europäischer Bruder seines berühmteren marrokanischen? Der 'Potsdamer Platz', das weiss ich, ist es jedenfalls nicht.
Ja, es tut sich sehr viel an Ideen und Einfällen bei uns, vor allem, seit Clinton und Schröder in einer Berliner Eckkneipe getafelt haben. Diese Eckkneipe (sie hat den spassigen Namen 'Guglhof') ist mittlerweile ein Wallfahrtsort für Einheimische und Touristen: jeder will mal auf einem der Stühle gesessen haben, auf denen soviel staatsmännische Weisheit gethront hat.
Ich vergleiche das schon mal mit dem Turm der Koutoubia-Moschee, der ist doch auch so etwas wie ein Wahrzeichen für Marrakesch und Marokko?

Nun genug von solcherart belastenden 'europäisch-kleinkarierten' Gedanken! Ich will mich schliesslich erholen, Urlaub machen! fremde 'Kultur' auftanken, vor Ort!! Kurz und gut: Mit dem 'Einatmen' fremder Kultur meine eigene 'Europamüdigkeit' therapieren - und vielleicht neue Ideen für die Arbeit gewinnen.

Lass' mich dennoch aber als zweites kurz erzählen, wie ich nach Marrakesch gekommen bin!

Nun, mit meiner High-Tech-Yacht hatte ich vorige Woche die langweiligen, quasi-europäischen 'Kanaren' verlassen, und jetzt liege ich in Al Dakhla vor Anker.
'Für den Ritt durch die Wüste - immer brav entlang der Küste' (reimt sich doch toll??? oder? und ist ein schöner Witz???) habe ich zu unserem Treffen hier in Marrakesch aber meinen eigenen 'Cherokee' genommen und nicht so ein altersschwaches Taxi, wie man sie bei Euch allenthalben sieht.
Station habe ich übrigens in Tiznit gemacht. Der Jeep ist geschnurrt und geschnurrt; einmal habe ich sogar zwei Polizeikräder 'abgehängt', aber wer weiss schon, dass ich den 'Chirokee' auf 280 PS aufgerüstet habe!? In Tiznit konnte ich endlich das Silbergeschmeide für meine derzeitige Freundin kaufen. Die ist auf der luxuriösen Yacht geblieben, sie hat Angst, dass ich sie wieder in den Gerbereihof 'schleppe', wie schon voriges mal zum Photo-Shooting - der Geruch hatte sie anschliessend für zwei Tage 'ausser Gefecht' gesetzt.
Aber gefeilscht habe ich in Tiznit wie ein echter Marokkaner! Und dass die Tresors du Sud für ihr Echtheitszertifikat einstehen, weiss ja mittlerweile jeder.

Bevor wir endlich mit unserem Dialog beginnen, möchte ich - drittens und letztens - an ein denkwürdiges Datum erinnern: Heute, genau vor einem Jahr, ist Euer König Hassan II. gestorben!
Ich möchte Dir - nachträglich, aber nicht minder aufrichtig - meine Kondolenz erweisen.
Du hast ihn einmal als 'Genie' apostrophiert, Ignacio Ramonet hat einen zwiespältigen Aufsatz über ihn geschrieben, der den Titel trägt "Der Jongleur ist tot", und etliche Leute bei uns haben gesgt: 'Der König ist tot. Es lebe der König'.

Doch nun beginnt der Platz aufzuwachen - ein organisiertes Chaos?

Mit vielen Grüssen
(Gratulation!:ausgerechnet nach Essaouira!)
Peter.