Salma zusammen,

ich habe diesen Artikel gefunden, der vielleicht zu ein wenig Aufklärung beiträgt!

Berber und Araber

Marokko - oder zumindest die politische Führung des Landes - versteht sich als Bestandteil der »Arabischen Nation». Das Land ist Mitglied der Arabischen Liga und arabischer Kooperationsräte. Alleinige Amtssprache ist Arabisch. Auf der anderen Seite hören wir von Berberburgen, Berberschmuck, berberischen Sitten und Gebräuchen und nicht zuletzt von Berbersprachen, die noch heute vor allem in den Gebirgszügen des Atlas von der Mehrheit der Bevölkerung gesprochen werden. Es ist eine historische Tatsache, dass berberisch sprechende Stämme zur Zeit der islamischen Eroberungen Marokkos, also im frühen 8. Jahrhundert, die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung darstellten. Als Idris I. Ende des 8. Jahrhunderts sein »arabisches» Fürstentum begründete, herrschte er zunächst nur über wenige Araber. Im Laufe der folgenden Jahrhunderte zogen dann arabische Nomadengruppen nach Marokko, und das Land wurde zunehmend «arabisiert», aber die Araber blieben immer in der Minderheit.

Arabisierung bedeutete zum einen, dass es bald zum guten Ruf einer wichtigen Familie gehörte, sich auf einen berühmten Gefährten des Propheten als Ahnherrn zu berufen. Zumeist waren diese Stammbäume jedoch schlichtweg erfunden. Durch Heirat zwischen Berbern und Arabern kam es zu höchst zweifelhaften «Araberwerdungen». Zum anderen bedeutete die Arabisierung die Übernahme von Sitten und Gebräuchen, wie sie besonders durch die Annahme der Religion des Islam gefördert wurden-Regelung der Eheschliessung, der Scheidung, von Erbschaftsfragen usw. - und der arabischen Schrift quasi als Monopolschrift. Das marokkanische «Arabertum» hat also schwache Wurzeln. Gerade in der Gegenwart, wo die Zugehörigkeit zu Volksgruppen wieder ernster genommen wird, streiten sich die Gelehrten wer nun in Marokko Araber und wer Berber sei und vor allem, wie stark diese und wie stark jene Gruppe vertreten ist.

Vorsichtige Schätzungen gehen davon aus, dass rund 40 Prozent aller Marokkaner berber-sprachig sind, also bis auf die Übernahme des Islam niemals starken arabischen Einflüssen ausgesetzt waren. Weitere 40 Prozent der Bevölkerung sollen arabisierte Berber sein, und nur rund 20 Prozent könnten mit mehr oder weniger Recht auf einen arabischen Stammbaum verweisen. Solche Einstufungen sind aber eher akademische Spielereien, denn in der Praxis lässt sich «der» Araber nur schwer von «dem» Berber unterscheiden.

Die Frage der Volksgruppenzugehörigkeit wäre völlig unproblematisch - schliesslich fühlen sich Araber und Berber gleichermassen als Marokkaner - würden nicht politische Gesichtspunkte berührt. Auch in früheren Jahrhunderten gab es gelegentlich Abgrenzungen der Berber von den Arabern. Zur Zeit der Alaouiten fühlten sich die freien Berber keineswegs ohne weiteres als Untertanen der arabischen Sultane. Sie erkannten diese erst nach unter Druck jeweils neu zu verhandelnden Verträgen als ihre Oberherren an. Gegen äussere Feinde hielt das Vertragswerk zwischen Arabern und Berbern jedoch vorzüglich, und wenn es Probleme gab, dann waren es keine zwischen Angehörigen verschiedener Volksgruppen, sondern zwischen den Gefolgsleuten der Sultane und den freien Bergstämmen.

Gegensätze zwischen «Arabern» und «Berbern», die zu deutlichen Abgrenzungen, ja sogar zu Anfeindungen geführt haben, treten erstmals als Ergebnis der französischen Kolonialpolitk auf. 1930 wurden die berbersprachigen Stämme Marokkos durch den sogenannten Berber-Dahir (Dahir = Verordnung des Sultans) weitgehend dem Einfluss des Sultans entzogen. Die Kolonialregierung erhoffte sich hierdurch eine Spaltung des Landes und seiner Bevölkerung, um, gestützt auf die berberische Seite, leichter den Rest des Landes unter Kontrolle halten zu können. Ein Ergebnis dieser Politik ist das Emporkommen der Glaoua, der «Fürsten von Marrakech», die sogar als Gegengewicht zum Sultan aufgebaut wurden. Erreicht haben die Kolonialherrn damit letztlich wenig, denn die Unabhängigkeitsbewegung gegen Frankreich in den 40er und frühen 50er Jahren wurde von allen Bevölkerungsgruppen gemeinsam getragen.

Jedoch wurde durch diese Politik der Spaltung der marokkanischen Bevölkerung ein gewisses Misstrauen bei der arabischen politischen Elite gegenüber den berbersprachigen Landsleuten geweckt. Deren Sprache wird bis heute so gut wie gar nicht gefördert, und Bestrebungen einer berberischen Identitätssuche werden argwöhnisch beobachtet. Wurde während der Kolonialzeit der Unterschied betont, so wird jetzt die Einheit quasi verordnet. Dabei wird allerdings übersehen, dass die Berberstämme der Ait Atta, der Ait Haddidou, der Ait Ourir und Dutzende andere neben ihrer Sprache eigene kulturelle Traditionen haben: z.B. das Gewohnheitsrecht, urf, in dem vor Vergeltung Wiedergutmachung steht. Oder eine für islamische Volksgruppen sehr liberale Beziehung zwischen den Geschlechtern sowie demokratische Selbstverwaltungsinstitutionen für Landwirtschaft und Bewässerung.

Da durch die kulturelle Vielfalt die nationale Einheit Marokkos keineswegs geschwächt werden muss, fordern viele Berber, dass ihre Kinder (und ihre arabischen Freunde) in der Schule neben der arabischen Sprache auch wieder ihre eigene lernen können.

«Die Arabische Nation»?

Kein Politiker Nordafrikas und des Vorderen Orients von Nasser über Gaddafi bis Hassan II. von Marokko vergisst in seinen Reden die Beschwörung einer Einheit aller arabischen Länder, der «Arabischen Nation». Immer wieder erfahren wir aus der Presse von Länderzusammenschlüssen (zuletzt der «Vereinigung» von Libyen mit dem Sudan), die aber ebensooft wieder gelöst werden. Schliesslich gibt es auch die Liga der Arabischen Staaten, die den historisch und kulturell begründeten Selbstanspruch so verschiedener Mitgliedsländer wie SaudiArabien und des Sudan auf Einheit der arabischen Welt dokumentiert.

Vorsichtige Zweifler führen dagegen an, dass es bis auf wenige Jahrzehnte im 7. Jahrhundert niemals ein vereinigtes arabisches Herrschaftsgebiet gegeben habe. Der Islam, nicht aber das Arabertum, sei die einigende Klammer z.B. der nordafrikanischen Staaten. Die »Arabische Nation» sei in der Gegenwart auch deswegen ein Wunschtraum, weil jedes Land bei seiner Wirtschaftsund Aussenpolitik zunächst an sich denke, selbst wenn dies zu Lasten der (arabischen) Nachbarn gehe.

Gernot Rotter
Quelle: Marokko verstehen - Sympathie Magazin Nr.14
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Immer, wenn man die Meinung der Mehrheit teilt, ist es Zeit, sich zu besinnen.
(Mark Twain)