Geschichte der Masiren
(Teil 3: Die Vertreibung der Muslime aus Spanien, “Reconquista”)
unveröffentlicht (Vorschau auf Taziri 3)


An der Nordgrenze des maurischen Reiches marschierten derweil christliche Heere auf. Die Christen sahen die Chance gekommen, den Mauren Spanien Stück für Stück zu entreißen. Zu jener Zeit begann die "Reconquista" - die "Rückeroberung" Spaniens durch katholische Fürsten. Im Jahr 1085 rückte Alfons VI. in Toledo ein. Der Schock für die Mauren war ungeheuerlich. Toledo, das blühende Zentrum des Islam in Mittelspanien, war an die Christen verloren!
Kuriere eilten zwischen den Residenzen der maurischen Fürsten hin und her, aber die Emire konnten sich nicht einigen. Da trafen sich führende Korangelehrte aus ganz Spanien in Cordoba und schlugen vor: Die Mauren müßten sich nach Marokko um Hilfe wenden, dort regiere ein mächtiger und glaubenstreuer Herrscher, er solle ihnen mit einem Heer zu Hilfe eilen. Dieser Herrscher aber war ein Masire. Er hatte vor Jahren im Süden Marokkos eine Dynastie gegründet, war mit seinem Heer nach Norden vorgedrungen und hatte sich nach siegreichen Kämpfen gegen Stammesfürsten zum Ziel gesetzt, das ganze westliche Nordafrika unter seine Herrschaft zu zwingen. Nun waren die Masiren im Jahre 1086 allein dazu aufgerufen nicht nur über den "Maghreb" zu herrschen, sondern auch "Al Andalus" für den Islam zu retten. Ein Masire wurde somit der einzig würdige Nachfolger der Kalifen von Cordaba sein. Damit mußte die arabische Vorherrschaft endgültig der von Masiren weichen.
Ein gewaltiges Heer folgte dem Hilferuf der Emire und näherte sich der nordafrikanischen Küste zwischen den Städten Tanger und Ceuta. In seinen Reihen ritten hellhäutige Masiren des Hohen Atlas in weiten Kapuzenmänteln, Masiren aus den Großstämmen der Zennata und Masmuda, aber sie waren nur die Hilfstruppen, von einem mächtigen Herrn zur Gefolgschaft gezwungen. Im Kern der Truppen zogen Kamelreiter in weiten Umhängen und großgewickelten Turbanen und schwarzen Gesichtsschleiern. Ihre Haut war dunkler als die der Masiren des Atlasgebirges und der Küstenebenen, sie waren Nomaden aus dem Herzen der Sahara, den Tuareg verwandt. Anders als die Stämme des Nordens benutzten sie für ihre Angriffe nicht Pferde, sondern Rennkamele. Ihr Stamm nannte sich "Lamtuna", die "Verschleierten". Sie gehörten zum Großstamm der Sanhadja-Masiren. Knapp drei Jahrzehnte war es her, daß sich ihre Stammesführer dem Feldherrn der "Verschleierten" gebeugt hatten, und dann war die Völkerlawine aus dem äußersten Süden der Sahara hervorgebrochen, hatte Marokko überschwemmt, hatte Stämme der Zennata und Masmuda unterworfen und auch diese zu Gefolgstruppen gemacht.
Ihr überragender Führer war seit dem Jahr 1061 Yusuf Ibn Tashufin, eine düstere, hoheitsvolle Gestalt, mit herrisch blitzenden Augen hinter seinem schwarzen Gesichtsschleier. Er hatte in der Mitte Marokkos eine Stadt gegründet, zum Zeichen, daß er nicht zu kurzfristigen Raubzügen aus der Wüste aufgebrochen sei, sondern auf Dauer im eroberten Land zu bleiben gedenke. Seine Residenz nannte er masirisch schlicht und einfach "Mraksch", "die Stadt", woraus später "Marrakesch" wurde. Von Marrakesch aus zog er mit seinen Kamelreitertrupps nach Norden und rückte bis Algerien vor. Im Mai des Jahres 1086 sein Heer nahe der nordmarokkanischen Hafenstadt Ceuta, die Reiter blickten erwartungsvoll hinüber zur spanischen Küste.
Begonnen hatte der kometenhafte Aufstieg der Sanhadja-Masiren südlich der Sahara, wo die Savannenlandschaft Schwarzafrikas begann. Dort endete die Herrschaft des Islam an den stets unruhigen Weidegebieten heidnischer Nomadenstämme, und dort waren eine Reihe stark befestigter Grenzburgen entstanden, sogenannte "Ribats", "Glaubensburgen". In den Ribats wohnten eine Reihe auserwählter Glaubenskriege, die ihr Leben dem "Heiligen Krieg" und der Religion geweiht hatten; meist lebten sie streng asketisch und kannten neben den täglichen Kampfübungen nur die Versammlung zum Gebet und der Koranlesung. Ein marokkanischer Einsiedler namens Abdallah Ibn Yasin errichtete mit seinen Gefolgsleuten ein Ribat auf einer Insel des Miger im Senegal. Er muß ein Mann von einer bemerkenswerten Ausstrahlung gewesen sein, denn er konnte innerhalb kurzer Zeit die verschiedensten Kaids ("Führer") der Sanhadja-Masiren auf sich aufmerksam machen. Ein Kaid nach dem anderen besuchte ihn in seinem spröden, spartanisch wirkenden Ribat und lauschte fasziniert den Predigten dieses Eiferers. Abdallah Ibn Yasin predigte den "Heiligen Krieg". Religion sei dazu da, um mit dem Schwert den "Ungläubigen" gebracht zu werden. Und als "ungläubig" galten auch die Muslime, die nicht streng genug die Gebote des Korans befolgten. Fanatisch führten die Kaids Krieg gegen heidnische Nomaden im Süden wie gegen muslimische Stämme im Norden. Ihr Heer hatte ständigen Zulauf immer neuer Anhänger. Dem Kaid der Lamtuna-Masiren gelang es schließlich, all diese Glaubenskrieger unter seiner Führung zu einigen. Er begründete den Orden der "Al Murabitun", "Männer der Glaubensburg". Ihr geistiger Führer wurde der Einsiedler Abdallah Ibn Yasin, ihr Feldherr aber der Kaid Ibn Tashufin. Später haben die Spanier aus dieser Bezeichnung "Almoravides" gemacht - und dies sollte der Name der ersten überragenden masirischen Dynastie werden.
Es war nicht einfach, zum engsten Kreis des Ordens zu gehören. Jeder, der in den Orden eintreten wollte, hatte sich auf seine Härte und seine Glaubensstärke prüfen zu lassen. Er mußte 100 Peitschenhiebe auf seinen nackten, bewegungslos hingehaltenen Rücken niederprasseln lassen und bekam so einen Vorgeschmack von der spartanischen Disziplin, die ihn erwartete. Schmerzen ertragen bis zum äußersten und gehorchen - dies waren die obersten Tugenden der "Al Murabitun".
Die Mauren sahen dem nahenden Heereszug der Masiren mit gemischten Gefühlen entgegen. Die Korangelehrten hatten lange überlegt, ob sie wirklich diese "Barbaren" aus der Sahara gegen die Christen zu Hilfe rufen sollten. Unter den arabischen Emiren wurden sogar Stimmen laut, die dem Leben unter einem christlichen König den Vorzug gaben. Am 30. Juni 1086 schließlich landeten die Masiren in Algeciras. Yusuf Ibn Tashufin übernahm das Kommano auch über die maurischen Truppen und rückte dem anrückenden Heer der Christen entgegen. Bei Sagrajas, nahe Badajoz, kam es zur Schlacht. 80.000 Reiter und 20.000 Fußsoldaten der Christen sollen in dieser Schlacht getötet worden sein. Yusuf Ibn Tashufin verfolgte den fliehenden König jedoch nicht, sondern kehrte nach Marokko zurück. Ihm genügte es vorerst, daß die maurischen Fürsten ihm und nicht mehr den Christen Tribut zahlten.
Im Jahr 1090 kehrte er nach Spanien zurück. Korangelehrte waren in sein Heerlager gekommen und hatten bittere Klagen gegen die Emire geführt: Diese Emire seien keine echten Muslime mehr, denn sie forderten von den Gläubigen überhöhte Steuern und lebten in unvorstellbarem Luxus. Tashufin erklärte voll Zorn den "Heiligen Krieg" gegen die Glaubensbrüder. Er besetzte Granda, Malaga und zog in Sevilla einl Dort ließ er die prachtvollen Paläste anzünden, die Basare plündern und die Beute auf hochbepackten Lastkamelen davontragen. Die Reiterscharen der Almoraviden drangen unentwegt in den Norden Spaniens vor, und bald hätten sie noch Toledo erreicht und zurückerobert. Da aber trat ihnen der spanische Adelige Rodrigo Diaz de Vivar entgegen und bot ihnen mit seinem starken Heer Widerstand. Er verschanzte sich nach siegreichen Schlachten in Valencia und machte die Stadt zu uneinnehmbaren Festung. Masiren und Araber nannten den Grafen wegen seiner unbeugsamen Tapferkeit anerkennend "El Seyid", "der Herr", woraus im Spanischen "El Cid" wurde. Spätere Generation von christlichen Spaniern haben diesen El Cid zu ihrem Nationalhelden gemacht.
Tashufin hatte sein Ziel trotz allem erreicht: Andalusien war für den Islam gerettet. Ibn Tashufin und seine Nachfolger verabscheuten den Luxus der früheren Emire und lebten streng spartanisch wie einfache Krieger. Sie schafften die hohen Steuern ab, die die Bürger bislang für die aufwendigen Palastbauten hatten aufbringen müssen, und verlangten nur noch den im Koran vorgeschriebenen Zehnten für die Armen.
Stolz und unnahbar ritten die Sanhadja-Krieger durch die Gassen der andalusischen Städte. Deutlich fühlten sie sich den "verweichlichten" Städtern überlegen. Ganz selbstverständlich gaben sie ihre Befehle in der Sprache des Sanhadja-Stammes. Tashufin sprach kein Arabisch, erst seine Nachfolger gingen dazu über, die Sprache der gebildeten Muslime zu lernen.
Doch die rauhen Nomaden taten sich schwer, Verständnis für die Bibliotheken, die wissenschaftlichen Institute und die verfeinerten Sitten aufzubringen. Ihnen erschien alles das verdächtig, was das Reich von Cordoba einst zum modernsten Kulturstaat der Welt gemacht hatte. Der Koran galt ihnen als das einzig lesenswerte Buch. Den einfachen Kriegern aus der Wüste mußte unverständlich bleiben, daß die Gelehrten einen Koranvers verschieden auslegen konnten. War im "heiligen Buch" nicht alles eindeutig gesagt? Wozu also Diskussionen über Wahrheiten, an denen es nichts zu rütteln gab? Die Emire aus dem Stamm der Sanhadja erließen bald strenge Gesetze, um den Islam vor "Irrlehren" zu bewahren. Auf den Marktplätzen der Städte flammten Scheiterhaufen auf. Stumm mußten die Korangelehrten mitansehen, wie ihnen wichtige Bücher zu Asche verbrannt. Jene Mauren fühlten sich traurig bestätigt, die stets vor den Männern aus der Wüste gewarnt hatten.
Aber schon standen die Männer bereit, das Maurenreich zu neuer Blüte zu führen. Wieder waren es Masiren, und dieses Mal kamen sie aus dem Atlasgebirge. Sie begründeten die zweite bedeutende masirische Dynastie und nannten sich "Al Muhawidun", "Bekenner der Göttlichen Einheit". Im Spanischen wurde daraus "Almohades". Der Begründer dieser Dynastie hieß Mohammed Ibn Tumert. Er hatte mehr von der Welt gesehen als Yusuf Ibn Tashufin. Er, einer der Kaids aus dem Großstamm der Masmuda-Masiren, hatte eine Pilgerreise nach Mekka angetreten und dabei die damals wichtigsten Städte des Vorderen Orients kennengelernt: Kairo, Damaskus, Bagdad. Ibn Tumert sprach fließend arabisch und konnte so mühelos mit den gebildeten Muslimen in den Städten diskutieren. Jahrelang blieb er in diesen glanzvollen Metropolen, denen das christliche Europa jener Zeit nichts Vergleichbares entgegenzusetzen hatte. Er hörte an den Universitäten die bedeutendsten Theologen des Islam sprechen.
Erfüllt von neuen Ideen kehrte er um 1107 in die marokkanische Heimat zurück und fing unter den Masiren seines Großstammes zu predigen an. Leidenschaftlich verdammte er die Almoraviden in ihrer geistigen Enge, ja er beschuldigte sie, keine echten Muslime zu sein. Ibn Tumert gelang es, etlichen Kaids der rauhen Masmuda-Masiren das verfeinerte Denken islamischer Großstadtkoranschulen nahezubringen.
Die Stammburg der Almohaden stand in Tinmal, einem stark befestigten Wehrdorf des westlichen Hohen Atlas. Während die primitiven Wandernomaden der Sanhadja aus der Wüste kamen, waren die Masmuda seßhafte Bauern. Solche Gegensätze ließen sich nicht überbrücken. Nie hatten die Stämme friedlich miteinander leben können.
Ibn Tumert starb 1130. Sein Nachfolger wurde Abd al-Mumin. Er organisierte das Heer und erklärte den Mauren den Krieg. Im Jahr 1145 hatte Abd al-Mumin mit seinem Masirenheer ganz Marokko erobert, rückte nach Algerien vor und schlug bei Tlemcen die Armee der Almoraviden vernichtend. Wenig später landeten die Reitertruppen aus dem Atlasgebirge bei Gibraltar. Zuerst lernten die Mauren einen Heerführer mit dem Namen Al-Mansur "der Sieger" kennen, der mit seinen Truppen plündernd tief nach Andalusien eindrang und dann Gouverneur von Cordoba wurde. Jener Al-Mansur unterschied sich im Gebaren kaum von den Almoraviden bei ihrer Ankunft in Spanien. Herrisch und abweisend ritt er durch die Gassen seiner Residenz; sein Gesicht zeigte stets eine demonstrative Verachtung für die Stadt und ihre Bewohner. Ihm war dies alles zu luxuriös, zu verweichlicht, zu verdorben. Die Emire der Almoraviden hatten längst Gefallen gefunden an den Palästen mit ihren luxuriösen Kissenlagern, feinen Stoffen und den üppigen Mahlzeiten, die von hübschen Sklavinnen serviert wurden. Die einfachen Krieger hatten begonnen zu murren, sobald sie ihre Führer plötzlich in prunkvollen Gewändern vorbeireiten sahen und arabisch sprechen hörten. In ihren Augen waren die Kaids bereits zu halben "Mauren" geworden, die auch schon anfingen, den ungebildeten Masiren zu verachten. Damit erlitten die Almoraviden das Schicksal vieler einfacher Nomadenkrieger, die sich in einer hochentwickelten Kultur festgesetzt hatten: Sie verfielen den äußeren Reizen dieser Kultur und verloren die kriegerische Schärfe.
Die Soldaten von Al-Mansur hatten den Befehl, alle Musikinstrumente und kostbaren Möbel zu zerschlagen. Sie erschienen dem Eiferer überflüssig. Die Weinkrüge ließ er zu Hunderten auf der Straße auskippen, er selbst preschte mit seiner Leibgarde durch die Weinfelder und ritt die Reben nieder. Seine Glaubensmaxime hieß: Nur der sei gottgefällig, der so einfach und bedürfnislos lebe wie ein Bergbauer oder ein Nomade. Und wie Tashufin stand er der Gelehrsamkeit der Islamtheologen argwöhnisch gegenüber. Er ließ ganze Wagenladungen von wertvollen und teils unersetzlichen Büchern und Schriftrollen verbrennen. Damit war für die bedeutendste Bibliothek von Cordoba, die selbst den Sturm der Almoraviden überstanden hatte, auf einen Schlag dem Einfer eines einfältigen Barbaren zum Opfer gefallen. Daran zeigte sich, daß viele Masmuda-Masiren von den Predigten des Ibn Tumert nur oberflächlich berührt waren. Im Innersten waren sie einfache Stammeskrieger geblieben. Manche hervorragende Gelehrte resignierten und wanderten nach Kairo, Damaskus oder Bagdad aus.
Abd al-Mumin zeigte sich entsetzt über das Gebaren seiner Gouverneure. Er war vom Geiste Ibn Tumerts geprägt, er hatte eine tiefe Achtung vor den städtischen Bildungszentren und Universitäten, er wollte die Traditionen der glorreichen maurischen Kultur wiederbeleben. Doch Abd al-Mumin blieb nicht die Zeit, um selbst diesen Plan zu überwachen. Er mußte ständig Krieg führen - gegen die christlichen Könige im Norden Spaniens führen, gegen die letzten versprengten Heere der Almoraviden, gegen rebellische Fürsten der Mauren, gegen aufständische Masiren. 1147 endlich eroberte er Sevilla. 10 Jahre später unterwarf er die rebellischen Fürstentümer Granada und Almeria, 2 Jahre später rückte er siegreich über Algerien bis Tunesien vor. Er, der Masire, hatte im äußersten Westen der islamischen Welt ein Großreich errichtet wie noch kein Muslim vor ihm. Selbstbewußt ernannte er sich 1162, 3 Jahre vor seinem Tod, zum Kalifen.
Die Nachfolger Abd al-Mumins machten aus Sevilla ein Kulturzentrum, wie es seit den Omaijaden nicht mehr bestanden hatte. Die Regale der Bibliotheken füllten sich wieder, Gelehrte konnten wieder öffentlich über den Islam diskutieren. Bald ging es bei diesen Diskussionen annähernd so weltoffen zu wie einst an den Kalifenhöfen von Damaskus, Cordoba und gegenwärtig noch in Bagdad - nur daß dieses Mal ein masirischer Fürstüberzeugend die Kultur förderte.
Die Almohaden regierten von Sevilla aus. Die Stadt bedeutete für die damalige Zeit Stadtkultur in Vollendung und besaß deshalb für die Muslime in Spanien und Nordafrika magische Anziehungskraft. Auch aus dem benachbarten Frankenreich, in Italien und dem Deutschen Reich strömten Kaufleute, Gelehrte und Studenten in das maurische Spanien, und jetzt begannen die Christen staunend zu lernen.
Überall, wo die Almohaden herrschten, entstanden Moscheen, Koranschulen, Basare, Stadttore und öffentliche Bäder - nicht nur in Spanien, sondern auch in den Gebieten des heutigen Algerien, Tunesien und Marokko. Unter der masirischen Herrschaft der Almohaden erwachte Marokko endgültig aus seinem kulturellen Dämmerschlaf.
Die Almohaden hatten das mächtigste Masirenreich der Geschichte errichtet, politisch und kulturell eigenständig. Ihre Kalifen brauchten sich nicht mehr den arabischen Lehrmeistern unterlegen zu fühlen, im Gegenteil: Sie durften sich selbst als Lehrmeister empfinden.
Doch auch dieses Reich konnte nicht von Dauer sein. Auch die Masmuda-Masiren verfielen in die Fehler aller bisherigen Stämme aus dem Atlasgebirge und der Sahara - sie fühlten sich nicht in erster Linie als Muslime, ja nicht einmal als Masiren, sondern eben als Masmuda. Ein Masmuda galt mehr als ein Araber, Spanier oder gar als ein anderer Masire. Ein Masmuda durfte deshalb auch besondere Vorrechte beanspruchen. Auch die Almohaden versäumten die Chance, die völkerverbindende Idee des Islam uneingeschränkt zu verwirklichen. Stets lauerten die unterdrückten Stämme darauf, im günstigsten Augenblick das Joch ihrer Sieger abzuschütteln und selbst nicht minder stolz über die bisherigen Herren zu regieren.
In Südalgerien wurden die Beni Merin aus dem Großstamm der Zennata rebellisch. Sie zogen über Marokko in Richtung Andalusien und lieferten den Masmuda erbitterten Schlachten. Natürlich war das ein "Heiliger Krieg" gegen die Herrscher, die ihre Glaubenspflichten vernachlässigten, wie das so gerne in der Sprachregelung der damaligen Zeit hieß.
Den Todesstoß aber führten die Christen Nordspaniens. Dort hatten sich die Könige von Leon, Kastillien und Navarra verbündet, um die zerstrittenen Muslime ein für allemal von der Iberischen Halbinsel zu vertreiben. Truppen aus Frankreich und dem Deutschen Reich schlossen sich ihnen an. Ein frischer Kampfgeist hatte die Christen erfaßt, seit Papst Innozenz III. im Jahre 1212 zum Kreuzzug gegen die Mauren aufgerufen hatte. Am 20. Juni 1212 brach von Toledo aus eine gewaltige Armee der vereinigten christlichen Heere nach Süden auf. Nördlich des andalusischen Dorfes Las Navas de Tolosa stießen die Truppen auf die masirische Armee des Kalifen Mohammed en-Nasir. Es war der 16. Juli 1212 - das Datum einer welthistorischen Wende. Das Ende der Almohaden kam rasch. Von den anderen Masirenstämmen durften sie keine Hilfe erwarten, im Gegenteil, nun drohte ein Krieg Muslime gegen Muslime; Masiren gegen Masiren. Die Beni Merin drangen in Marokko weiter nach Norden vor und schlug das Heer der Masmuda-Masiren im Jahre 1216 vernichtend. Unaufhaltsam löste sich das Recih der Almohaden auf.
Die siegreichen Beni Merin begründeten in Marokko eine eigene Dynastie, die der Meriniden. Zu ihrer Hauptstadt machten sie Fès und regierten mehr als zwei Jahrhunderte lang von Tanger bis tief in die Sahara hinein. Sie blieben nicht die einzigen Masiren, die auf den Trümmern des Almohadenreiches einen eigenen Staat errichteten. Die Abd el-Wadiden, Zennata-Masiren wie die Meriniden, riefen in Tlemcen ihr Reich aus und beherrschten von dort aus weite Gebiete des Atlasgebirges und der Sahara. In Tunis rissen die Hafsiden, Masmuda-Masiren wie die Almohaden, die Macht an sich. Damit war das gigantische Almohadenreich in drei selbständige Staaten zerfallen - masirische Staaten, die ständig Krieg miteinander führten. Nie wieder sollten diese zerstrittene Staaten des "Maghreb" zueinanderfinden. Damals bildeten sich ungefähr jene Grenzen heraus, die uns mit nur unwesentlichen Änderungen heute vertraut sind: Aus dem Herrschaftsgebiet der Meriniden bildete sich das Königreich Marokko, aus dem der Abd el-Wadiden Algerien, aus dem der Hafsiden Tunesien.
In Spanien konnte nichts mehr den Siegeszug der Christenarmee aufhalten. 1236 eroberte sie unter Ferdinand III. von Kastilien die Stadt Cordoba. 1248 fiel Sevilla. Die Mauren verloren ihre wichtigsten Fürstentümer in Spanien - bis auf eines: Granada. Der dortige Emir Ibn Amar war klug genug gewesen, nicht gegen die übermächtigen Kastilier Krieg zu führen, vielmehr ritt er kurz entschlossen in das Heerlager König Ferdinands und stellte sich unter seinen "Schutz". Von nun an mußte Granada hohen Tribut an Kastilien bezahlen, aber es konnte hoffen, daß nun keine christlichen Eroberer die Grenzen überschritten. Solange die Könige von Kastilien und Aragon untereinander Krieg führten, konnte sich dieses letzte maurische Fürstentum auf spanischem Boden ohnehin sicher fühlen, außerdem war es durch den Gebirgszug der Sierra Nevada und stark befestigte Burgen an den Hängen der engen Täler gegen Westen abgeriegelt. Das Reich von Granada war von beachtlicher Größe, das sich immerhin im Osten bis Almeria, im Norden bis Jaen und im Südwesten bis zur Meerenge von Gibraltar dehnte. Granada hatte sich durch eine Unzahl maurischer Flüchtlinge sprunghaft vergrößert. Fähige Männer, Handwerker, Kaufleute, Künstler und Gelehrte strömten in das Land. Schulen, öffentliche Bibliotheken, eine Universität, Thermalbäder, Basarstraßen, Paläste - all das besaß das aufstrebende Granada während des 14. und 15. Jahrhunderts; nirgends im christlichen Spanien ließ sich Vergleichbares finden. Araber, die als Besucher aus dem Osten der islamischen Welt kamen, priesen Granada als "Juwel", der mehr "funkelt" als die Residenzen von Fès, Marrakesch und Tlemcen, vergleichbar nur mit Damaskus und Kairo. Unter den Emiren Yusuf I. (1333-1353) und Mohammed V. (1353-1391) enstand dann jener Bau, der sich als unübertroffener Höhepunkt maurischer Kultur ein für allemal im Bewußtsein der Menschheit festsetzen sollte: die Alhambra. Die Bauherren dieses einzigartigen Palastes waren Emire von der Dynastie der Nasriden. Sie leiteten ihre Abstammung von einem uralten arabischen Geschlecht her. Doch was sagt das schon in einem Land, in dem es seit Jahrhunderten nur eine dünne arabische Oberschicht gegeben hatte. Die Masse des Volkes bestand seit jeher aus Masiren; Masiren stellten einen Großteil der Bauern, Krieger und Kaufleute; Masirinnen bevölkerten überwiegend die Harems arabischer Fürsten und gebaren ihnen die Prinzen. Die meisten maurischen Fürstengeschlechter wie die Omaijaden waren nur noch in ihrer Sprache "arabisch" gewesen sein, kaum aber floß mehr arabisches Blut in ihren Adern, so vehement sie das auch behaupten mochten.
1469 begann für die Muslime eine verhängnisvolle Zeit: Isabella, die Thronerbin von Aragon, und Ferdinand, der Thronerbe von Aragon, heirateten und vereinigten 1479 ihre Länder zu einem Königreich. Jetzt fühlten sich die Christen stark genug, die letzte Bastion des Islam zu erobern. Vergeblich sandte der Emir Abu Abdallah Hilferufe an die masirischen Fürsten in Nordafrika, denn jene waren in Stammeskriege untereinander verwickelt. Gegen die Übermacht der Spanier war der hilflos. Nach elf Jahren Krieg lagerten im Winter 1491 vor Granada 80.000 Mann. Am 2. Januar 1492 ergab sich die Stadt. Das war das Ende der Mauren in Spanien.
Im Jahr 1499 wurden auf dem Marktplatz von Granada Scheiterhaufen errichtet, und dann nahten Dutzende von Karren, vollbeladen mit Büchern und Schriftrollen aus maurischen Bibliotheken. Tagelang brannte das Feuer, in das spanische Soldaten unermüdlich die Werke islamischer Theologie, Philosophie, Geschichte und Naturwissenschaften von höchstem Wert kippten. Der spanische Großinquisitor Kardinal Jiménez des Cisneros hatte persönlich den Befehl dazu gegeben, denn seiner Ansicht nach war das Arabische "die Sprache einer ketzerischen und verachtenswerten Rasse".
In ohnmächtigem Zorn mußten die Muslime mitansehen, ihre Kultur "hinrichteten". Ihnen war nach dem Fall Granadas durch Vertrag zugesichert worden, sie könnten unter dem christlichen König so frei leben wie einst die Christen unter islamischen Fürsten, und nur deshalb hatten sie sich damals nach kurzem Kampf den Siegern ergeben. Und Jiménez befahl noch Schlimmeres: Jeder Muslim müsse gezwungen werden, zum Christenzum überzutreten, außerdem sei künftig das Arabische als Umgangssprache verboten. Die Mauren rebellierten, und Jiménez schlug erbarmungslos zurück. Unzählige Muslime wurden hingerichtet, Moscheen gingen in Flammen auf. Jiménez setzte den Muslimen eine Frist: Falls sie sich nicht zu Christus bekennen wollten, hätten sie binnen 10 Wochen Spanien für immer zu verlassen, ihr Eigentum falle aber der Kirche zu.
Selten hatten Muslime derart zu besiegten Christen gesprochen, galt ihnen doch Jesus als der zweitwichtigste islamische Prophet nach Mohammed. Christen kannten solche Bedenken nicht, für sie blieb Mohammed ein "finsterer Heide", ja der "Antichrist" schlechthin, also müßte ihrer Ansicht nach der fremde Glauben von der Wurzel her ausgerottet werden.
Die Mauren wollten sich dem Befehl nicht beugen. Hunderte von Männern und Frauen mit ihren Kindern verschanzten sich in der Moschee von Granada und stimmten demonstrativ immer wieder das islamische Glaubensbekenntnis an, das in aller Welt auf arabisch gesprochen wird: "La ilaha illa-llah wa Mohammmadun rasulullah", "Es gibt keinen Gott außer Allah, und Mohammed ist sein Prophet!" Die Spanier ließen an allen vier Ecken der Moschee Pulverladungen explodieren, so daß das Gotteshaus zusammenbrach und die Muslime unter sich begrub. Auf diese Weise machten die Spanier den Sprechchören ein Ende. In den nächsten Wochen verließen Hunderttausende von Muslimen Andalusien und zogen nach Nordafrika, ihnen folgten in den kommenden Jahrzehnten unzählige weitere Gläubige nach, die vorerst gehofft hatten, der Fanatismus der Christen würde sich bald wieder legen. Insgesamt wanderten bis zum Jahr 1530 etwa 3 Millionen Muslime aus dem ehemaligen Maurenreich Granada aus und ließen sich meist in Fès, Rabat, Marrakesch, Tlemcen und in Tunis nieder. Unter ihnen waren zahlreiche Gelehrte, Künstler, brillante Handwerker und Verwaltungsbeamte - Männer von einem Können, wie es sie zu dieser Zeit nirgends sonst in Spanien gab.
Für die Christen Spaniens war die Vertreibung der Mauren eine Katastrophe. Kein Christ konnte derart hervorragendes Kunsthandwerk schaffen, so präzise Bewässerungskanäle anlegen, so exakt wissenschaftliche Studien betreiben wie die vielgeschmähten Mauren. Die ehemals fruchtbaren Ackerböden Spaniens verwandelten sich unter der glutheißen Sonne Andalusiens zu trostloser Steppe, die Städte verarmten, die Universitäten verödeten. Spanien hörte damit auf, eine führende Kulturnation Europas zu sein.


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