Die Geschichte der Masiren
(Teil 2: Die Ankunft der Araber)
Taziri 1/97, S. 27-34


Über Nordafrika im Mittelalter ist viel geschrieben worden. Die meisten Geschichtsschreiber haben allerdings die Volksgruppe der Araber in den Mittelpunkt ihrer Chroniken gestellt; die Masiren - für sich gesehen - finden allenfalls als Randerscheinung Erwähnung.
Im nachfolgenden wird diese Betrachtungsweise umgekehrt. Das heißt, daß speziell die Rolle der Masiren in jener Zeit dargestellt und entsprechend gewürdigt werden soll. Insbesondere gilt es klarzustellen, daß das goldene Zeitalter des Islams in Marokko und Spanien keineswegs alleine das Werk von Arabern war, sondern gerade die Masiren dabei eine herausragende Rolle gespielt haben.

1. UQBA IBN NAFI
2. Kusayla
3. Dihia
4. Die Kharidschiten
5. Die Berghawata
6. Eroberung Spaniens
7. Verrat am Islam
8. Aufbegehren der Masiren
9. Andalusien - Zentrum der Welt
10. Ende der Omaiyaden in Spanien
11.Die Beni Hilal und Beni Sulaym

Die Ankunft der Araber unter UQBA IBN NAFI
Im Jahre 647 unternahmen die Araber einen Feldzug nach dem Westen und besiegten die Byzantiner, die sich bis dahin an der Küste Nordafrikas festgesetzt hatten. Die Gründung der Stadt Qayrawan in Zentraltunesien unter ihrem Feldherrn OUQBA IBN NAFIO im Jahre 670 sicherte den Arabern eine dauernde Operationsbasis in Nordafrika. Von dort aus trieb OUQBA seine Krieger im Namen des Islams quer durch den Maghreb; er erreichte Tanger und stieß bis Zentral-Marokko vor, nach dem Wad Sus, wo er sich mit den dort ansässigen Masiren heftige Gefechte lieferte.
Entgegen der Legende hatte OUQBA bei dieser Unternehmung den Maghreb nicht mit einem Mal unterworfen, sondern sich auf Expeditionen beschränkt, die mehr den Charakter ausgedehnter Streifzüge behielten als den einer systematischen Eroberung.
Zur Zeit der Ankunft der Araber unterschied man bei den Masiren zwei Hauptgruppen: die Zenata und die Sanhadja. Jede dieser Gruppen bestand aus vielen selbständigen, voneinander unabhängigen Stämmen und Unterteilungen.
Die Zenata waren vor allem Nomaden. Sie züchteten Kamele und lebten in Zelten. Einzelne Gruppen von ihnen bevölkerten die Steppen, Oasen und Halbwüsten im südlichen Maghreb von Tripolitanien im heutigen Libyen bis nach Marokko.
Die Sanhadja unterschieden sich von den Zenata sowohl durch ihre Sprache als auch durch ihre Lebensweise. Die meisten von ihnen waren seßhaft und beschäftigten sich mit Ackerbau. Am bekanntesten waren von ihnen drei Gruppen: die Masmuda, die im heutigen Marokko lebten, die Ketama in Kleinkabylien (Algerien) und die eigentlichen Sanhadja in der Marokkanischen Sahara.
In kultureller Beziehung nahmen die Masmuda eine Sonderstellung ein. Sie perfektionierten den Anbau von Obst-, Nuß- und Mandelbäumen sowie des Arganbaums, aus dessen Früchten sie Öl gewannen. Für ihre Juwelier- und Schmiedekunst waren sie berühmt weit über die Grenzen der Tamezgha hinaus. Zurück

KUSAYLA
Während bei Auseinandersetzungen in asiatischen Ländern oft eine Entscheidungsschlacht den Ausschlag gab, wogte in der Tamezgha der Kampf über mehr als ein Jahrhundert hin und her.
Zum Zentrum des Widerstandes gegen die Araber wurden zunächst die Berge des Aurès, wo die Zenata-Stämme der Awraba und der Gerawa wohnten. Der Führer dieser Stämme war KUSAYLA. Sein Machtbereich reichte bis weit hinter Tlemcen im heutigen Westalgerien.
Im Jahre 674 waren die Awraba von den Arabern besiegt worden und daraufhin zum Islam übergetreten. Der Statthalter in Ägypten, dem zu dieser Zeit ganz Nordafrika unterstand, hatte UQBA zwischenzeitlich durch den freigelassenen Sklaven DINAR abgelöst. Dieser warf den bisher so erfolgreichen Heerführer UQBA in Fesseln.
...
682 setzte der Kalif DINAR ab und UQBA wieder ein; ... UQBA behielt den einflußreichen Masirenkönig in seinem Lager in Gewahrsam. KUSAYLA ertrug die Erniedrigungen nicht und sann auf Rache.
Nachdem UQBA im Jahre 682 den Versuch unternahm, Marokko und Algerien endgültig niederzuwerfen, beging er auf dem Rückmarsch von seinem Feldzug den Fehler, seine Armee zu teilen. KUSAYLA, der UQBA wie eine Trophäe begleitete, verständigte sich mit seinen Stammesbrüdern und führte in der Nähe von Biskra einen Überfall an, bei dem fast alle Araber, darunter UQBA, umkamen. KUSAYLA erstürmte daraufhin Qayrawan und gründete um diese Stadt ein unabhängiges Königreich. Die Araber mußten nahezu alle eroberten Gebiete bis auf die Cyrenaika (Ost-Libyen) aufgeben. ...
Doch KUSAYLA leitete nur einen lockeren Bund der Stämme, unter denen manche Gruppen aus Feindschaft gegen die Awraba bereits den Arabern zuneigten. In Karthago und dem umliegenden Land waren zudem die Byzantiner zurückgekehrt und bemühten sich, die Macht KUSAYLAS zu untergraben.
689 waren die Araber erneut in der Lage, mit bewaffneter Macht in der Tamezgha zu erscheinen. Sie boten eine überlegene Armee gegen Qayrawan auf, das von KUSAYLA kampflos geräumt wurde. Er verschanzte sich in Mimmisch, ca. 50 km westlich von Qayrawan. Nur die Aufgebote der seßhaften Masiren aus dem Westaurès hielten noch zu ihm. Die halbnomadischen und nomadischen Masiren aus dem Ostaurès waren zuvor abgefallen und hatten sich zum Teil sogar den Arabern angeschlossen. In der Schlacht fiel KUSAYLA; seine Krieger mußten in das Gebirge fliehen. Zurück

DIHIA
In Arabien war derweil ein Bürgerkrieg ausgebrochen, so daß die Westarmee zurückgerufen werden mußte. Nachdem der Bürgerkrieg entschieden war, wurde der Syrer HASSAN IBN NUMAN AL GHASSANI Gouverneur von Ifriqiya, wie das heutige Tunesien damals hieß. HASSAN drang mit seinen Truppen nach Westen vor und traf auf heftige Gegenwehr; wieder waren es Masiren aus dem Aurès, die den Arabern entgegentraten.
Dieses Mal wurden die Masiren ... von einer Frau angeführt. Über den richtigen Namen dieser Frau wird heute noch gerätselt. Einmal wird sie als "DAMIA" erwähnt, einmal als "DIHIA" und ein anderes Mal als "DIMIA".
Bei den Masiren im Rif ist die sagenumwobene "LALLA BUYA" wahrscheinlich mit ihr identisch. Der in den meisten Volksliedern des Rifs immer wiederkehrende Refrain "A yara n Lalla Buya - oh ihr Kinder unserer Herrin Buya" soll dieser Frau und ihren Söhnen gewidmet sein.
DIHIA wurden hellseherische Fähigkeiten nachgesagt. Von den Arabern wurde sie deshalb "KAHINA" (Zauberin) genannt. Unter ihrer Herrschaft erreichte der masirische Widerstand seinen Höhepunkt. Sie mußte eine begabte und mitreißende Rednerin gewesen sein, denn sie vermochte es, nach der Niederlage KUSAYLAS Trümmer seiner Armee an sich zu ziehen und ihrerseits einen Stammesverband aufzubauen, mit dessen Aufgeboten sie der Armee des HASSAN entgegentrat. Am Fluß Nini bei Meskiana nördlich des Aurès hatten die Angreifer ein Lager angelegt, das von den Masiren erstürmt wurde. Dann ging DIHIA dazu über, das Land selbst zu verwüsten, um mit dieser Strategie der "verbrannten Erde" den Arabern jede Lust zu nehmen, Nordafrika in Besitz zu nehmen. Dadurch aber entfremdete sie sich jene Masiren, die nicht Nomaden waren. Als im Jahre 699 HASSAN mit frischen Truppen heranzog, nahmen ihn viele Bauern und Städter als Befreier auf.
Mit militärischen Mitteln alleine schienen die Masiren jedoch unbezwingbar. Sie sollten vielmehr einer Kriegslist zum Opfer fallen: DIHIA hatte einen arabischen Gefangenen namens KHALID als Sohn angenommen. Dieser KHALID fügte sich nur zum Schein in die Familie der DIHIA ein. Heimlich empfing er Kundschafter des arabischen Heeres. Ihnen teilte er genau mit, auf welchen Schleichwegen sie zum Hauptquartier der Königin vordringen und jedem Hinterhalt ausweichen konnten. Jetzt erst wagten die Araber den Angriff. Ohne die Unterstützung der Bauern und Städter und durch die proarabischen Stämme des Südens von einem Zuzug Gleichgesinnter abgeschnitten, wurde DIHIA in der Schlacht bei Tabarqa im Jahre 700 besiegt und mußte in den Aurès flüchten. An dem "Bir al-Kahina" genannten Ort wurde die Königin tot mit einem Schwert in der Hand gefunden.
Als der Sieger HASSAN im Jahre 703 nach Syrien zurückkehrte, war der Maghreb endlich zur Gänze islamisch geworden. Von nun an sollten sich die Rebellionen der Masiren wie auch ihre Zerschlagung nur noch im Namen des Islams vollziehen. Zurück

Die Häresie der Kharidschiten
Die Tamezgha war nunmehr ein Teil des Kalifats, einem theokratischen Feudalstaat, der sich von Marokko bis nach Mittelasien erstreckte und dessen Hauptstadt zuerst Damaskus und später Bagdad war. Die Führer dieses Riesenreiches waren die Kalifen.
In der Tamezgha jedoch reizten die Statthalter der Kalifen das Volk durch Willkürakte und schwere Steuern. In den Jahren 739/40 gingen die Stämme der Miknasa, Ghomara und Berghwata schließlich in den offenen Aufstand über. Die Nomaden, bei denen sich die militärische Stammesorganisation noch erhalten hatte, waren die Hauptkampfkraft des Aufstandes. Ihre Ideologie war hauptsächlich eine islamische "Häresie": der Kharidschismus.
Die Kharidschiten predigten die Vermögens- und Klassengleichheit und riefen zu einem einfachen, strengen, asketischen Leben.
Im 8. Jahrhundert ergriff die Bewegung die Stämme des Ost-Maghrebs, hauptsächlich die Zenata, aber auch die Bergbauern des Westens. Sie lieferten den Regierungstruppen schwere Kämpfe, vernichteten mehrere Armeen und konnten erst 742 vor den Mauern Qayrawans zerschlagen werden.
Im Dschebel Nefusa im heutigen lybisch-tunesischen Grenzgebiet sammelte der Führer der Ibaditen, eines Zweiges der Kharidschiten, ABU AL KHATTAB, eine Armee und eroberte Tripolitanien und Südtunesien. Im erstürmten Qayrawan wurde 758 als ihr Gouverneur der Perser ABD AR RAHMAN IBN RUSTAM eingesetzt. Zwei aus Ägypten heranziehende Armeen wurden vernichtet. Erst 761 konnte eine überlegene Regierungsstreitmacht die Masiren in die Berge vertreiben. IBN RUSTAM entkam und organisierte in Tahert bei Tiaret ein eigenes Imamat der Ibaditen (776-778).
Im Gebiet von Tlemcen entstand unter dem Masiren ABU QORRA ein kampfkräftiger Kharidschitenstaat, dessen Scharen 771 erneut Qayrawan einnahmen. Im darauffolgenden Jahr aber erlagen sie in Tripolitanien der Übermacht der Regierungstruppen.
Das Imamat von Tahert jedoch konnte seine Unabhängigkeit wahren. Seine Hauptstadt war ein Zentrum für Handel und Handwerk sowie ein Zentrum der Islamisierung der Zenata-Masiren. Der Staat hatte eine theokratische Verfassung, die sich ausschließlich auf den Koran berief. Ihre gewählten Führer, die Imame, lebten wie Asketen und regierten zugleich mit harter Hand.
Die rigorosen Forderungen kharidschitischer Moral beherrschten das Leben der Gemeinde. Reichtum war verpönt, jeder hatte bescheiden zu leben und mußte eine hohe Steuer für die Armen bezahlen. Im Unterschied zu den anderen Kharidschiten predigten die Ibaditen aber keinen "Heiligen Krieg" gegen die weniger gläubigen Muslime, ja sie verabscheuten überhaupt die Gewalt und griffen nur im äußersten Notfall zu den Waffen.
Der 757 in der Oasengruppe des Tafilalet in Zentralmarokko gegründete reiche Kaufmannsstaat der Kharidschiten mit dem Zentrum Sidjilmasa (heute Rissani), der sich auf die Miknasa-Masiren stützte, konnte sich bis ins 14. Jahrhundert gegen alle Eroberer wehren.
Ein weiterer kharidschitischer Staat hatte sich im jetzigen Tunesien und Ostalgerien unter den Aghlabiden gebildet. Die Aghlabiden unterwarfen auch Sizilien und hatten in ihrem Stammland die Landwirtschaft durch umfangreiche Bewässerung, hauptsächlich auf den Ruinen alter römischer Anlagen gefördert. Unter ihnen scheint die Arabisierung weit vorangeschritten, andererseits aber auch mancher Einfluß aus den anderen mediterranen Kulturen nach Nordafrika zurückgekehrt zu sein. Der Aghlabiden-Staat endete im Jahr 909.
Im selben Jahr vertrieben die schiitischen Fatimiden, die sich auf die Ketama-Masiren stützten, die friedfertigen Frommen aus Tahert. Das neue Reich der Fatimiden, wieder mit arabischer Führungsschicht, aber masirischer Bevölkerung, umfaßte nun nicht nur den ehemaligen Aghlabidenstaat, sondern auch die Fürstentümer von Taher und Sidjilmasa.
Unter Strapazen erreichten die Flüchtlinge aus Tahert die Oase Ouargla in Zentralalgerien. Inmitten der Einöde gruben sie Brunnen und trotzten der unbarmherzigen Wüste eine blühende Landschaft ab. Etwa 150 Jahre später eroberten sunnitische Muslime die Hauptstadt Sedrata, zerstörten sie, fällten die Palmen, schütteten die Brunnen zu und verjagten die Bewohner. Dieses Mal zogen die flüchtenden Familien in die karge Steppen- und Wüstenlandschaft des Mzab.
Dort lebte der Nomadenstamm der Ayt Mzab. Abermals gelang es den Flüchtlingen, inmitten von ausgedörrter, steinharter Erde und kahlen Hügeln eine Gartenlandschaft hevorzuzaubern. Fünf Städte entstanden am Rand der Felder und Palmenhaine. Dort blieben die Kharidschiten endlich unbehelligt. Sie, die sich bald nach der sie umgebenden Landschaft "Mozabiten" nannten, begannen ihre Siedlungen zu bauen, die bis heute unzerstört erhalten sind und in denen sich das Leben seit Jahrhunderten kaum verändert hat.
Überall, wo heute Mozabite¥ leben, fallen sie durch ihren Arbeitseifer auf. Arbeit erscheint ihnen als das ideale Mittel, um Körper und Geist von sündhaften Gedanken abzulenken. Für die Mozabiten ist es undenkbar, eine sunnitische oder schiitische Frau zu heiraten. Mozabiten möchten "rein" bleiben, so wie sie es verstehen. Es könnte daher immer noch gelten, was der bedeutende Historiker IBN KHALDUN im 14. Jahrhundert festgestellt hat: daß die Mozabiten reine Zenata-Masiren sind, die unbeirrt an ihrer Sprache, dem Tamzabit, festhalten. Zurück

Die Häresie der Berghwata
Unter den Berghwata-Masiren im westlichen Marokko entwickelte sich um 744 eine seltsame Version des Islams. Ein Fürst namens YUNUS lehrte eine Religion, die angeblich schon von seinem Großvater SALIH BEN TARIF her stammte. SALIH BEN TARIF verfaßte einen "Koran" in masirischer Sprache mit 80 "Suren" gegenüber den 144 des echten Korans.
Diebe, die ihre Untat eingestanden hatten oder durch Zeugen überführt waren, erhielten die Todesstrafe. Unzucht wurde mit Steinigung bestraft. Verleumder wurden des Landes verwiesen. Auf Mord stand ein Blutgeld von 100 Stück Vieh. Es war verboten, Köpfe von Tieren zu essen, ebenso Fische, soweit sie nicht rituell geschlachtet waren, sowie Eier. Der Genuß von Hahnenfleisch war verboten, weil dieses Tier zum Gebet rief.
Bei den Häretikern aus Westmarokko haben wohl Elemente des Heidentums eine Rolle gespielt, zum Beispiel bestimmte Speisegebote (Eier, Hähne), Hochschätzung des Speichels als Arznei (wie bei algerischen Marabuts), die Rolle von Frauen, das Verbot, Kusinen bis zum dritten Grad zu ehelichen usw.
Die häretischen Berghwata hielten sich immerhin rund 300 Jahre in ihren abgeschlossenen Bergnestern, bis sie in der Mitte des 12. Jahrhunderts von einer anderen masirischen Macht ausgelöscht wurden. Was sich von den Ursprüngen des Islams derart weit entfernt hatte, konnte nicht von Bestand sein. Hinzu kommt, daß es sich bei der berghwatischen Religion um eine höchst puritanische Richtung gehandelt hat, die auf die Dauer ziemlich unbequem gewesen sein muß. Zurück

Ein Masire erobert Spanien für den Islam
Im Jahr 710 setzten erstmals muslimische Krieger nach Spanien über, plünderten die Hafenstadt Julia Traducta und verschwanden mit der Beute wieder; sie waren gekommen, um die Lage zu erkunden. Der Anführer des verwegenen Kundschaftertrupps hieß TARIF IBN MALLUK und hat der später hier gegründeten Stadt ihren Namen "Tarifa" gegeben. Dieser Muslimführer auf spanischem Boden war ein Masire.
Ein Jahr später landete vor Gibraltar der Feldherr TARIQ IBN ZIYAD IBN ABDALLAH, um von hier aus Spanien dem Islam zu unterwerfen. Er gab der Felseninsel ihren Namen: "Djebel TARIQ" ("Berg des TARIQ"), woraus im Laufe der Jahrhunderte "Gibraltar" wurde. TARIQ war ebenfalls ein Masire. Er stammte aus dem Nafza-Stamm der Zenata-Gruppe. Die Eroberung Spaniens bleibt also unlösbar mit den Masiren verknüpft.
TARIQ war ursprünglich nur ein Diener des Emirs MUSA IBN NUSAYR gewesen, er hatte in der Armee der Masirenkönigin DIHIA als junger Unterführer gedient und war nach ihrer Niederlage in Gefangenschaft gekommen. Im Heerlager von Qayrawan war er dann zum Islam übergetreten und hatte als Waffensklave Reitertrupps seines Stammes gegen aufständische Bergvölker geführt. MUSA hatte ihn schließlich auf seine Eroberungszüge nach Algerien und Marokko mitgenommen, und von dort war TARIQ als freier Mann und General zurückgekehrt. Zuletzt hatte ihn der Emir sogar zum Gouverneur von Tingis (Tanger) ernannt.
Im April des Jahres 711 sammelte TARIQ seine Truppen an der nordafrikanischen Küste zwischen den stark befestigten Städten Tanger und Ceuta. Der christliche Statthalter der Stadt Ceuta Graf YULIAN war schon seit langem mit dem spanischen König zerstritten und hatte sich den Glaubenskriegern als Bundesgenosse angeboten. Die Masiren bestiegen seine Schiffe und landeten bald in der Bucht von Algeciras; er zog sich über die schmale Landenge auf die Halbinsel von Gibraltar zurück und wartete auf Verstärkung. Die Schiffe des Grafen YULIAN kehrten mehrmals wieder und luden immer neue Truppen an Land. Nach heutigen Schätzungen müssen es etwa 20.000 Mann gewesen ein, überwiegend Masiren.
Anfang Mai brach der kilometerlange Heereszug ins Landesinnere auf. Am 29. Juli trafen die Heere in der Ebene von Jerez de la Frontera aufeinander. Die Westgoten, die bis dahin die iberische Halbinsel beherrschten, hatten 40.000 Mann zur Verfügung. Damit übertrafen sie die Masiren immer noch um das Doppelte an Kriegern. König RODERICH, der Führer der Westgoten, im Purpurmantel auf einem erhöhten Streitwagen stehend und für alle weithin sichtbar, mochte beim Anblick der herannahenden Masiren keinesfalls an seinem Sieg gezweifelt haben. Gar zu verwundbar sahen die Angreifer aus, die in den Händen nichts als den Bogen trugen, an der Seite einen gefüllten Köcher hatten und auf dem Rücken den Krummsäbel, den sie erst zückten, nachdem sie auf den Gegner einen Hagel von Pfeilen hatten losprasseln lassen. Die Goten trugen eiserne Panzer, eiserne Helme, schwere Schwerter und zur Abwehr der Pfeile große Schilde. Doch sie mußten mit Schrecken erkennen, daß sie mit ihren massiven Schutzpanzern den leichtbekleideten Kriegern aus Nordafrika unterlegen waren. Die Invasoren fegten wie ein Wirbelwind in die starre Phalanx der eisengepanzerten Krieger und teilten in einer Wendigkeit ihre Krummsäbelhiebe aus, die unheimlich anmutete. Mochten auch die ersten unter den wuchtigen Schwerthieben der Goten niederstürzen, so folgten ihnen doch neue Angreifer, sie konnten rascher ausweichen, zustoßen, zurückweichen und wieder zustoßen; vor allem ermüdeten sie nicht so rasch.
Nicht zuletzt war es der religiöse Eifer, der die Angreifer mit Todesverachtung vorwärts stürmen ließ. "Allahu Akbar!" "Gott ist am größten!" Die Glaubenskämpfer hörten nicht auf, den erschrockenen Verteidigern diesen Ruf entgegenzubrüllen, es war ein Orkan von 20.000 Stimmen, denen an Begeisterung und Fanatismus die 40.000 Goten nichts entgegenzusetzen hatten. Am Abend war die Schlacht entschieden. Massenhaft preschten gotische Krieger davon, nicht wenige wurden von ihren Verfolgern eingeholt und erschlagen; RODERICH selbst fiel in dieser denkwürdigen Schlacht. Wieder hatten islamische Glaubenskämpfer eine Schlacht von welthistorischer Bedeutung gewonnen - diesmal aber waren die Sieger nicht Araber, sondern Masiren.
Hartnäckig verfolgte TARIQ die versprengten Einheiten der geschlagenen Armee und rückte so rasch in Richtung Cordoba vor, das damals schon eine der berühmtesten Städte Spaniens war. Es dauerte nicht lange, bis das Land erobert war und die grüne Fahne des Propheten (a. s. s.) über den Kirchen wehte.
In Spanien hatten die christlichen Fürsten das einfache Volk durch erbarmungslose Steuerforderungen immer ärmer gemacht, während sie selbst im Luxus praßten. Die Bischöfe gaben zu dem Gebaren der Adeligen ihren Segen und schöpften ihrerseits einen Teil der Steuern ab; die Kirche verfolgte mit grausamer Härte alle Andersgläubigen, auch Sektierer in den eigenen Reihen, und ließ sie hinrichten. TARIQ dagegen versprach den Besiegten Gerechtigkeit; er hatte verkünden lassen, der Islam bringe endlich den langersehnten Frieden für alle, für hoch und niedrig, für reich und arm. Dieser Aufruf eilte den Eroberern voraus und machte rasch die Runde auf den Marktplätzen, in den Handelskontoren und Handwerksstuben.
MUSA, der einst halb Algerien und Marokko erobert hatte, war in erster Linie ehrgeizig. Er selbst wollte als der Bezwinger Spaniens gelten. Nun aber sollte sein ehemaliger Diener in die Geschichte eingehen.
TARIQ befand sich mit seinen Truppen schon unmittelbar vor Cordoba, als ihm ein Bote des Emirs den Befehl überbrachte: den Vormarsch stoppen und auf weitere Truppenverstärkungen warten! TARIQ war ratlos, denn er begriff, was das praktisch bedeutete. Der Emir würde in Nordafrika ein eigenes Heer aufstellen. Kostbare Zeit würde verstreichen, währenddessen die geschlagenen Goten wieder eine neue Armee in dem noch unbesiegten Norden ausgerüstet hätten. TARIQ befand sich in einem schrecklichen Zwiespalt: Folgte er dem Befehl seines Herrn, dann würde Spanien noch Jahrzehnte ein heißumkämpftes Kriegsgebiet sein: widersetzte er sich, dann beschwor er die Rache des Emirs herauf.
TARIQ entschied sich nach langen Beratungen mit seinen Getreuen für den Weitermarsch und damit für die rasche Eroberung Spaniens. Wochen später stürmten die Masiren Cordoba. Monate später lagerte TARIQ mit seinem Heer bereits vor den Mauern von Toledo, der Hauptstadt des Westgotenreichs im Herzen Spaniens. Einheimische Bauern strömten massenweise den Eroberern zu. Im Oktober des Jahres 711 konnte TARIQ in Toledo einziehen. Jetzt waren die wichtigsten Städte Spaniens erobert; die zersprengte Gotenarmee würde sich nicht mehr erholen können.
Mit einem Heer von 8.000 Fußsoldaten und 10.000 Reitern landete MUSA daraufhin in Südspanien. TARIQ, der bereits mit seinen Truppen weiter nach Norden hatte ziehen wollen, verzichtete auf seinen Abmarsch und erwartete seinen Herrn in Toledo. Nicht die Angst vor der verletzten Eitelkeit eines Emirs bewog ihn, in Toledo zu bleiben, sondern Vorsicht. Falls es zum offenen Kampf mit seinen Rivalen kommen sollte, dann konnte er sich hinter den schützenden Mauern der hoch auf einem Felshügel liegenden Stadt besser verteidigen.
MUSA war entschlossen, nur dann vor seinen ehemaligen Diener zu treten, wenn eine der berühmtesten Städte Spaniens erobert war: Sevilla. In Eilmärschen zog er mit seinem Heer vor die stark befestigten Mauern. Aber wider Erwarten leistete der gotische Stadtkommandant heftigen Widerstand, so daß sich die Belagerung über Wochen hinzog. Der Emir schäumte vor Wut; die Chance war dahin, in einem ebenso raschen Siegeszug durch Spanien zu jagen wie sein Rivale.
Westlich von Toledo traten sich MUSA und TARIQ gegenüber. Aber unterwürfig zeigte sich TARIQ nicht, auch nicht schuldbewußt, im Gegenteil, er erfüllte nur die nötigsten Höflichkeitsformen und gab sich im übrigen als selbstbewußter Sieger. MUSA hatte Mühe, seinen Groll auf den ehemaligen Sklaven zu verbergen, der ihn so frei von Angst begrüßte. Doch wagte es der Emir nicht, seine Wut zu zeigen, denn das Treffen fand vor dem waffenstarrenden Spalier tausender Soldaten statt. Keinesfalls durfte ein gewöhnlicher Soldat merken, daß sich seine Führer nicht einig waren. Außerdem hatte der Erfolg TARIQS recht gegeben, so daß es lächerlich gewesen wäre, ihm Ungehorsam vorzuwerfen. Seite an Seite ritten die Feldherren scheinbar einträchtig in Toledo ein.
Die trügerische Eintracht hielt kaum einen Tag, dann folgte die Explosion in bestürzender Heftigkeit. In seiner maßlosen Eifersucht entzog der Emir TARIQ den Oberbefehl über dessen Truppen und warf ihn ins Gefängnis. Die Folgen waren verheerend. Mit einem Mal standen sich das Masiren- und das Araberheer feindselig gegenüber.
In Windeseile verbreitete sich die Nachricht von TARIQS Demütigung. Die besiegten Goten faßten neuen Mut, und schon flammten in einigen eroberten Städten Aufstände auf, besonders schlimm in Sevilla, wo die Goten die arabische Besetzung innerhalb eines einzigen Tages erschlugen. Der Emir mußte entdecken, daß sein Heer zu schwach war, gegen die Rebellion vorzugehen, denn die Masiren verweigerten mit einem Mal dem arabischen Oberbefehlshaber die Gefolgschaft. Der Emir hatte keine andere Wahl, als TARIQ aus dem Gefängnis zu holen. Während der folgenden Wochen rückten die Muslime vereint gegen die aufständischen Städte vor, die Rebellionen wurden niedergeschlagen. Dann war es mit der Gemeinschaft schon wieder vorbei; jeder der Rivalen ging getrennte Wege. Nachdem die Winterregen des Jahres 714 nachgelassen hatten, brach MUSA mit einem Heer nach Nordosten auf, TARIQ nach Norden. Feindschaft und Haß waren zwischen ihnen kaum geringer geworden, jetzt aber verbrauchten sie die zerstörerischen Energien im gemeinsamen Kampf gegen die letzten versprengten gotischen Truppen . Die Verbreitung des Islams mußte absoluten Vorrang vor ihren persönlichen Spannungen haben. Schon sieben oder acht Jahre nach der Landung in Spanien überschritten Masiren und Araber die Pyrenäen und setzten ihren Vormarsch nordwärts fort. Erst genau ein Jahrhundert nach dem Tode des Propheten (a. s. s.) fand dieses weite Ausgreifen bei Tours und Poitiers im Herzen Frankreichs ein Ende.
TARIQ und MUSA reisten nach Damaskus, um den Kalifen als Schiedsrichter anzurufen. Kalif WALID I. hatte schon die längste Zeit seinen Statthalter in Qayrawan mit Mißtrauen beobachtet; er fand ihn zu machtgierig und ehrgeizig. Der Kalif belohnte den Masiren TARIQ mit kostbaren Geschenken, den arabischen Rivalen aber schickte er in Verbannung. MUSA starb ein Jahr nach dieser Demütigung. TARIQ reiste eilig aus Damaskus ab und verschwand für immer. Keine Chronik berichtet über sein Ende und niemand weiß, wohin er sich begeben hat. Zurück

Verrat an den Idealen des Islams
In den folgenden Jahrhunderten sollte es immer wieder zu Konflikten zwischen Masiren und Arabern kommen, und nicht selten stand am Ende ein blutiger Bürgerkrieg mit Tausenden von Toten. Schlimmer noch: Das islamische Spanien sollte durch diese Rivalität schließlich so geschwächt werden, daß es eine leichte Beute für fremde Eroberer wurde.
Der Islam bestimmt, daß kein Muslim wegen seiner Herkunft oder seiner Rasse bevorzugt oder benachteiligt werden darf. Diese Moral ließ gerade die Masiren den Arabern zujubeln, ließ sie zu den eifrigsten Vorkämpfern des Islam werden. Dann mußten sie mit wachsender Verbitterung feststellen, daß es die Araber selber mit ihren egalitären Ideen nicht wörtlich nahmen. Zwar wurden glaubenseifrige Nichtaraber gerne in das arabische Heer aufgenommen. Soldaten wurden dringend benötigt. Selten aber stieg ein Nichtaraber in die Offiziersränge auf. Hier erwies sich, daß die Araber, obwohl sie plötzlich im Rampenlicht der Weltgeschichte standen, nicht gelernt hatten, politisch in großem Format zu denken, sondern ganz im Gegenteil ihren überkommenen Beduinentraditionen treublieben. Der Islam konnte hier nur an der Oberfläche das eingewurzelte Denken kratzen können. Es gelang ihm nicht, die sippenstolzen Beduinen in eine gleichberechtigte "Familie aller Gläubigen" einzuordnen. Zurück

Masiren begehren auf
Im Jahr 740 gab es den ersten Aufstand der Masiren. Unter den Masiren hatte es schon geraume Zeit gegärt, seit Steuereintreiber mit schwerbewaffneten Polizeitruppen die Dörfer heimgesucht hatten. In ihrer Wut erschlugen sie die Steuereintreiber und Gesandte des Statthalters, rotteten sich zusammen und zogen zum Kampf gegen die anrückenden Regierungstruppen. Die Masiren waren schlecht gerüstet, aber wild entschlossen, sich nie wieder zu unterwerfen. In der Ebene von Tanger stießen die Gegner aufeinander. Die Masiren siegten, der Statthalter mußte schwer verletzt mit Hilfe seiner Getreuen fliehen. Zwei Jahre vergingen, bis der Kalif eine imposante Streitmacht aus Syrien nach Marokko schickte. Wieder siegten die Masiren.
Dann schlossen sich sogar die masirischen Soldaten in Spanien dem Aufstand an. Einer ihrer Führer hieß MONUSA, übrigens ein echter masirischer Name. Er war zusammen mit TARIQ nach Spanien gekommen und versetzte nun den ABDULMALIK IBN KATA in Angst und Schrecken.
Erbittert hatten die Soldaten mitansehen müssen, daß arabische Offiziere und ihre Reiter die Beute fast ausschließlich unter sich aufteilten. Zudem wirkte die demütigende Bestrafung des TARIQ noch immer in der Erinnerung nach. Das islamisch bekehrte Spanien, eben erst erobert, drohte in den Wirren eines jahrelangen Bürgerkrieges zu zerbrechen. Zurück

Das islamische Andalusien ist Mittelpunkt der Welt
Da aber betrat ein Mann die Szene, der den ersehnten Frieden für Nordafrika und Spanien brachte - und darüber hinaus einen Aufschwung der Kultur, der seinesgleichen suchte. Er hieß ABD AR RAHMAN und war der einzige Überlebende aus der entmachteten Sippe der Omaiyaden.
ABD AR RAHMAN war einer der zahlreichen Söhne des Omaiyadenkalifen HISHAM. Er wuchs unbeachtet heran, denn als erwachsener Mann schien er niemals für die Nachfolge in Frage zu kommen, galt doch seine bildhübsche Mutter nicht als rechtmäßige Ehefrau des Kalifen, sondern fristete nur ein Dasein als Konkubine. Erst später sollte für den Sohn wichtig werden, daß sie die Tochter eines einflußreichen Masirenfürsten [Aloabbasiyun] in Tunesien war. In den stark befestigten Dörfern der Zenata-Masiren am Fuß des Atlas-Gebirges fand er eine sichere Zufluchtstätte. Die Abbasidensippe hatte die Macht an sich gerissen und sich geschworen, sämtliche Angehörigen der Omaiyadensippe aufzuspüren und umzubringen. ABD AR RAHMAN wollte im Westen des islamischen Großreiches einen Staat der Omaiyadendynastie errichten, und unter seiner Führung sollten Masiren und Araber zusammen eine starke Macht bilden. Tammurt w-Andalus oder Al Andalus, wie die Muslime die Iberische Halbinsel im Andenken an die Vandalen nannten, dieses vom Bürgerkrieg zerrissene Land, schien auf einen Mann mit einer starken Hand zu warten. Die Araber sahen in ihm den Nachkommen einer ehrwürdigen Dynastie, die Masiren schätzten an ihm, daß seine Mutter eine der Ihren war. Sowohl die Masiren und Araber jubelten ihm zu. Er allein schien der ideale Mann zu sein, die feindlichen Gruppen zu versöhnen. Und so reiste ABD AR RAHMAN, der inzwischen den Beinamen AD-DAKHIL erhalten hatte, bis zur Meerenge von Gibraltar, eskortiert von schwer bewaffneten Reiterbrigaden der Atlasstämme. ABD AR RAHMAN setzte über, eroberte bald Sevilla und zog in Cordoba ein. Dort ließ er sich im Jahr 756 zum Emir des Reiches von Cordoba ausrufen. Die Kalifen schickten ein Heer nach Spanien. Aber die Entfernung war zu weit, die Nachschubwege zu unsicher. ABD AR RAHMAN konnte die Eindringlinge mühelos besiegen. In den 33 Jahren seiner Regierung erreichte er schließlich, daß ihn die Araber und Masiren gleichermaßen als ihren Herrn anerkannten.
Drei Jahre vor seinem Tod ließ sich ABD AR RAHMAN von dem Ehrgeiz packen, den Kalifen der Abbasiden in Bagdad zu übertreffen. Cordoba stieg zu einer der glanzvollsten Städte der damals bekannten Welt auf. Daneben wuchsen auch die Städte Toledo, Sevilla und Granada zu Zentren des Maurenreichs heran. Alle diese Städte besaßen neben prächtigen Moscheen, Palästen, Universitäten, Krankenhäusern, öffentlichen Büchereien und Basaren ein weitgefächertes Netz von gepflasterten Straßen, die nachts mit Fackeln beleuchtet waren, unterirdische Abwässerkanäle, eine Müllabfuhr und ein Ärzteteam, das detaillierte Hygienevorschriften erließ. Jenseits der Pyrenäen hingegen konnten die Städte nur Lehmwege vorweisen, auf denen der Abfall verrottete und Tierkadaver verwesten und lediglich die Mönche in den Klöstern lesen und schreiben konnten, während die übrigen Menschen Analphabeten blieben.
In Andalusien zeigten sich die Christen von der islamischen Weltoffenheit zutiefst beeindruckt. Arabisch wurde beherrschende Sprache. Dabei hatten die Masiren Spanien erobert, waren die Araber nur in vereinzelten Reitertrupps gekommen, waren Araber oft nur hohe Offiziere und Beamte gewesen. Die Mehrzahl der Soldaten, Bauern und einfachen Leute waren Masiren - "Mauros", wie sie einst von den Römern genannt wurden. Die Spanier übernahmen diese Bezeichnung und dehnten sie auf alle Muslime aus, so erdrückend mußte ihnen das Übergewicht der Masiren erschienen sein. Aber diese Masiren siedelten sich in den Dörfern der Hochebenen und Gebirge an, weniger in den Städten, und dort meist nur in den Kasernen als Polizeitruppen. Ihnen mußte das Leben in den Städten gar zu fremd gewesen sein, deshalb zogen sie es vor, weiterhin als Krieger, Nomaden oder Bauern so zu leben, wie sie es in den nordafrikanischen Gebirgstälern und Steppen gewohnt waren. Damit rückten sie aus dem Mittelpunkt. Zurück

Das Ende des Omaiyaden-Kalifats in Spanien
In der Nähe von Ronda ca. 100 km westlich von Malaga rotteten sich unter Emir HISHAM, dem Sohn ABD AR RAHMANS, Masiren zusammen, verweigerten die Steuern und forderten höheren Sold für ihre Soldaten. HISHAM zögerte nicht lange, schickte eine schwerbewaffnete Reiterei in die Berge und ließ unter den Aufständischen ein fürchterliches Blutbad anrichten. Um die Aufstände rebellischer Masiren niederzuschlagen, schickte HISHAM die schlagkräftigste Reiterei von Zenata-Masiren los, Krieger jenes Großstammes, aus dem seine Großmutter stammte. Noch war es möglich, Masiren gegeneinander aufzuhetzen. Das Sippen- und Verwandtschaftsdenken war stärker als die Sehnsucht nach Einheit.
Knapp ein Jahrzehnt später, unter HAKAM I., brachen wieder Aufstände los. Der prunkliebende Emir hatte die Steuern erhöht, und unter seiner Herrschaft grenzte sich der arabische Adel schroffer denn je ab. Wieder schlug ein Emir mit grausamer Härte zu. Eingeschüchtert verstummten die Masiren für die nächsten Jahrzehnte. Ihnen fehlte weiterhin die Einigkeit; sie waren und blieben untereinander in feindliche Stämme gespalten; die Emire hatten mit ihnen ein leichtes Spiel. Ja, sie steigerten sogar noch ihre Macht. ABD AR RAHMAN III. nahm selbst den Titel "Kalif" an und dehnte seinen Herrschaftsbereich aus bis weit nach Nordwestafrika. Aus allen Landesteilen flossen ihm reichlich die Steuern der Unterworfenen zu. Aber mit dem Stolz der Herrscher wuchs auch das Selbstbewußtsein der Untertanen. Die Enkel und Urenkel ABD AR RAHMANS III. entpuppten sich mehr und mehr als entschlußschwache Männer, die sich allenfalls noch für Kunst oder für die Freuden ihres Harems interessierten.
Masirische Truppen meuterten, weil sie ihren Sold nicht rechtzeitig bekamen, Bauern in den Dörfern verweigerten ihre hohen Steuerzahlungen. Sie brannten das Regierungsviertel von Cordoba nieder. Zwei Jahrzehnte später, im Jahr 1031, erschütterte abermals ein Aufstand Cordoba. Dann traten die Minister zusammen und erklärten den Kalifen für abgesetzt. Das Kalifat der Omaiyaden hatte aufgehört zu existieren. Nun herrschten in Spanien eine Unzahl von Fürsten über winzige Landstriche. Das einst mächtige Maurenreich drohte auseinanderzubrechen. Zurück

Der Ansturm der Beni Sulaym und Beni Hilal
Durch die Ankunft der Gefolgsleute OUQBAS änderte sich die ethnische Zusammensetzung der Bevölkerung Nordwestafrikas nicht wesentlich. Die arabische Bevölkerung bestand ausschließlich aus Beamten, islamischen Predigern und Soldaten. Die in der Tamezgha seßhaft gewordenen Araber heirateten einheimische Frauen, und ihre Nachkommenschaft vermischte sich mit der umwohnenden Bevölkerung.
Erst im Jahre 1057 nahm die Übersiedlung von Arabern erwähnenswerte Ausmaße an. In diesem Jahr war die Tamezgha der Schauplatz einer Katastrophe. Der Anlaß war dagegen relativ gering: In seiner Residenz von Tunis hatte der Masirenfürst EL MOOIZZ begonnen, von einem eigenen Reich zu träumen. Er regierte zwar ohnehin schon über ein riesiges Gebiet, das von den Ausläufern des Atlas bis in die Sahara reichte, aber noch galt er als Statthalter des Kalifen von Kairo, noch hatte er einen Teil seiner Gelder nach Ägypten abzuliefern. EL MOOIZZ zahlte immer unregelmäßiger, bis er die Abgaben schließlich vollends verweigerte. Dies kam einer Kriegserklärung gleich. EL MOOIZZ mit seiner stattlichen Armee von masirischen Reitern glaubte, er könne sich die offene Rebellion gegen den schwachen Herrscher im fernen Kairo leisten. In Ägypten gab es zu jener Zeit zwar keine schlagkräftige Armee mehr, sondern nur rebellische Nomadenstämme. EL MOOIZZ konnte nicht ahnen, daß es dem Kalifen gelingen würde, gerade diese Rebellen zu einem Raubzug in reichere Gebiete - eben in Richtung Tunis - zu bewegen.
Einem bösen Spuk gleich kamen plötzlich Kamelreiterhorden herangedonnert. Araber von den Stämmen der Beni Hilal und der Beni Sulaym "drangen wie ein Heuschreckenschwarm ein, der auf seinem Durchzug alles vernichtet", wie IBN KHALDUN berichtete. Sie sollten den abtrünnigen Statthalter bestrafen und die Gebiete wieder für Kairo zurückerobern.
In jenem unheilschwangeren Jahr 1057 zerschlugen diese Nomaden die Armee des EL MOOIZZ. Sie warfen Fackeln in erntereife Getreidefelder, zündeten zahlreiche sommertrockene Wälder und Olivenhaine an und erschlugen jeden, der sie daran hindern wollte. Gnadenlos überwalzten sie die fruchtbaren Küstenlandschaften zwischen Tripolis und Algier. Die Beni Sulaym und Beni Hilal zerstörten mit einer erschreckenden Gründlichkeit alles, was einst Masiren, Karthager, Griechen und Römer in jahrhundertelanger Mühe aufgebaut und was die islamischen Missionare sorgfältig weiter gepflegt hatten. Die Kulturlandschaft Nordafrikas hatte jene Dauerschäden erlitten, an denen sie bis heute leidet. Damals erst wurden ausgedehnte Gebiete Libyens, Tunesiens und des östlichen Algerien zu einer kargen Steppenlandschaft.
Damals erst begann die Wüste unaufhaltsam in die Nähe der Küsten vorzudringen und die Ebenen so trostlos machen, wie der Besucher von heute sie fassungslos betrachtet - Landstriche, die einst als die Kornkammer des Römischen Reichs gegolten hatten, Landstriche, die selbst noch die frommen Gefolgsleute OUQBAS als einen fruchtbaren Paradiesgarten empfunden und gepflegt hatten.
Zudem verfolgten die Beni Hilal und Beni Sulaym jeden, der nicht arabisch redete, sie erklärten alle Gesetze für ungültig, die ihren Lebensgewohnheiten widersprachen. Mit Genugtuung ließen sie es geschehen, daß die Bauern ihre zerstörten und verkarsteten Felder verließen, sich den Nomaden anschlossen, unstet von Weidegrund zu Weidegrund zogen und schließlich die Sprache der Sieger - Arabisch - annahmen. Fanatisch und engstirnig vertrieben sie die Masiren, die weiterhin Masiren bleiben wollten, sie jagten die Widerspenstigen aus den küstennahen Ebenen in die abgelegenen Bergtäler und Wüsten. Seitdem gibt es in Libyen und Tunesien nur noch wenige Stämme mit einer unverfälschten masirischen Kultur. Marokko dagegen war von den Vernichtungszügen der Beni Hilal und Beni Sulaym weitgehend verschont geblieben. Deshalb konnte sich das masirische Element in Marokko am reinsten und lebendigsten erhalten.


give peace a chance.