Hallo Bernd,
eigentlich kann man ja auf diese Frage nicht so recht in kurzer Form antworten, zumindest wenn man differenziert. Im Wesentlichen möchte ich sowohl Marie als auch Rainer recht geben. Wenn man sich entlang der Atlantik-Küste in den Großstädten bewegt, hat man zumindest auf den ersten Eindruck das Gefühl Marokko ist modernener als man zuhause erwartet hat. Es gibt eine gut funktionierende Telekommunikation, Internetcafés, zuverlässige Bahn- und meist auch Busverbindungen, die Straßen sind gut, Restaurants und Cafés, Geschäfte etc. gibt es auch ausreichend. Alles Kriterien für einen modernen Staat. Im Vergleich zu den anderen nordafrikanischen Ländern erscheint Marokko manchmal moderner als diese. Von Tunesien vielleicht abgesehen. Jedoch ist das Bruttosozialprodukt niedriger. Das hängt aber auch damit zusammen, dass die anderen Länder Öl haben. Wirtschaftlich gesehen hat Marokko nicht besonders viel zu bieten. Phosphat und Fische, Textilindustrie, Landwirtschaft die stark von den Regenfällen abhängt. Jedoch nichts woraus sich wirklich Geld machen ließe. Die Schere zwischen arm und reich ist unendlich groß und die vielen Kinder und Jugendlichen sind ohne Perspektive auf eine Job bei 25 % Arbeitslosigkeit. Die Analphabetenquote ist seit fast 50 Jahren so gut wie unverändert. Die größere Wirtschaftsfreiheit und die Teilkonvertibilität des Dirham sollten zwar Investoren anlocken aber trotz niedriger Lohnkosten ist das Land für die meisten Investoren zu unsicher und zu bürokratisch und die Mitarbeiter sind nicht gut genug ausgebildet. Das Schulwesen ist schlecht und die Unis haben auch keinen besonders guten Ruf. Auf dem Land ist alles noch viel schlechter. Hier kann man froh sein, wenn es einen Kramerladen, eine öffentliche Wasserstelle und Strom sowie eine Teerstraßenverbindung gibt. Viele Dörfer sind im Winter so gut wie von der Außenwelt abgeschnitten und im Sommer nur mit dem Geländewagen oder Esel bzw. Lkw erreichbar.
Hier leben die Menschen noch genauso wie vor zweihundert Jahren und abgesehen von ein paar modernen Errungenschaften wie gelegentlichen Lkw-Verkehr und Auto-Batteriebetriebene Fernseher, ist alles noch genauso wie früher.
Solche Dörfer gibt es noch weitaus mehr als man in Agadir und Umgebung gemeinhin denkt und die Aussicht, dass sich etwas ändert ist gering. Wo soll das Geld auch herkommen. Geld aus Saudi-Arabien und en Emiraten kommt zwar aber meist zur Unterstützung von islamischen Bruderschaften, Fundamentalisten und zum Moscheebau. Durch die sozialen Maßnahmen der Fundamentalisten wiederum finden diese viele Anhänger. Ein Zeitbombe tickt also. Jedoch auch in Tunesien und Ägypten die sich nur durch undemokratische Maßnahmen gegen die Islamisten wehren können. In Algerien ist die Bombe schon vor Jahren explodiert. Die Frage ist wann ist es in Marokko so weit. Glücklicherweise gibt es einige moderne und auch reiche Regionen in Marokko, deren Bevölkerung den westlichen Komfort und Moderne schätzen und deshalb vorerst die Islamistenanhänger im Zaum halten können. Auf dem Land sind viele Menschen unpolitisch und Anhänger des Königs. Sollte sich die Ausbildung der Kinder und der Arbeitsmarkt und die daraus resultierende Landflucht jedoch nicht bald bessern, dürfte die Situation zu Gunsten der Islamisten ausschlagen. Das dürfte die Entwicklung zu einem modernen Staat erheblich bremsen. Im Spiegel las ich kürzlich einen Ausspruch den ich gut fand (ich weiß nicht mehr von wem er stammt)" Die Islamisten haben die Halbmoderne gewählt: sie wollen sich der modernen technischen Errungenschaften bedienen, jedoch im Denken wollen sie nicht modern sein".
So ähnlich würde ich das bei Marokko auch sein. Die traditionelle Orientierung ist sehr stark und in den Köpfen ändert sich wenig. Auch in bezug auf Frauenrechte oder dem überall praktizierten Aberglauben. Zu dem Thema könnte man viele Bücher empfehlen: Jedoch vor allem sind in dieser Hinsicht die Bücher von Fatima Mernissi interessant. Damit sollst du Dich mal auseinandersetzen.
viel Glück :rolleyes: