Hallo Zig,
ich gebe Dir ja recht, dass es unter den Touristen manchmal genz schöne Idioten gibt und mir graust vor meinen eigenen Landsleuten wenn ich sie in Agadir rumlaufen sehe. Aber es liegt auch am Tourismusministerium welchen Tourismus man sich ins Land holt. Wenn man in erster Linie an den Billigtourismus denkt und nach Tunesien schielt wie man ähnlich viele Touristen zu Niedrigpreisen ins Land holt, dann denke ich mir immer, das ist Perlen vor die Säue werfen, denn Maroko hat mehr zu bieten als nur Strände. Einen qualifizierten aber hochpreisigen Tourismus wie z.B. auf den Seychellen, wäre sinnvoll. Für Agadir ist hier der Zug schon abgelaufen aber für die anderen Regionen nicht. Man sieht es an Essaouira wo der Individualtourismus und nicht der Massentourismus Fuß gefasst hat. Viele (zu viele) kleine Geschäfte, Restaurants, Hotels, Riads und nicht gerade billig. Hier bekommen viele, auch nicht so große Unternehmen was ab. Der Nachteil ist, dass hauptsächlich Ausländer investieren und Marokkaner die Geld haben immer nur an Investitionen in Groß-Hotels denken und selten neue Ideen entwickeln. Essaouira war jetzt im Oktober im Gegensatz zu anderen Städten so gut wie ausgebucht. Auch in Tinerhir war war es voll. Der Tourismus ist nicht so ein labiles Geschäft wie du denkst, so lange man nicht in Großprojekte investiert. Sicher bleiben in Krisenzeiten Touristen aus und v.a. da, wo es sich um Massentourismus handelt. Aber die Situation beruhigt sich auch wieder schnell. Das bedarf zwar einer Image-Werbung, aber diese könnte das Ministerium auch machen. Das wäre sogar dringend notwendig, die Hochglanzanzeigen so zu gestalten, dass rüberkommt, dass Marokko nach wie vor dasselbe gastfreundliche Land ist wie zuvor. Zu deiner Bemerkung ob ich was von Ironie gehört habe: Die kenne ich ganz gut, denn mein Mann ist dafür Spezialist, aber so wie du es verpackt hattest, war die Ironie nicht zu spüren.
Was nun die 1000e von Enduro- und Jeepfahrer betrifft, so übertreibst Du etwas. Wir trafen abgesehen von einer Gruppe Spanier in Erfoud, fast niemand. Ralleys hasse ich auch aber das wird nun wiederum vom Tourismusministerium gefördert. Hier sollte man etwas kritischer mit der Erteilung der Genehmigung durch belebte Gebiete sein.
Was nun den Umkehrschluss betrifft, so gibt es das Buch Achtung Touristen, das in unserer Reihe Reise Know-how erschienen ist:
Hier stürmen zwei als Papuas verkleidete Tourismusforscher durch Oberbayern und führen sich auf wie Touristen übelster Sorte: fotografieren z.B. in der Kirche während der Messe und während der Fronleichnamsfeier; wollen einer Landfamilie den Fernseher abhandeln, marschieren einfach ins Wohnzimmer einer Bauernfamilie usw. Das ist recht witzig und zeigt ide umgekehrte Seite. Hier sind die Touristen auch nicht immer beliebt.Mein Sohn ging in Neubeuern, das einmal als schönstes Dorf Deutschland pämiert wurde zur Schule und dort waren die Touristen sicher nicht immer gern gesehen. Aber wir hier in Oberbayern oder im Nachbarland Tirol (Österreich) haben eine ähnlich Entwicklung durchgemacht: Von der armen Bauernregion zum Tourismusziel. Bayern war mal eine der ärmsten Regionen Deutschlands. In Tirol wurden noch zu anfang des letzten Jahrhunderts die Kinder nach Deutschland zum Arbeiten verkauft. Hätte Tirol den Tourismus nicht gehabt, wäre es jetzt nicht so viel reicher. Ein ursprüngliches Bergbauerndorf in Oberbayern oder Tirol mit Holzbauernhöfen aus dem 17.Jh. schaut natürlich schöner aus als ein mit Neobarock zugebautes Dorf wie Kirchdorf oder das mondäne Kitzbühel oder Garmisch Partenkirchen. Aber wenn die Leute hier weiter nur auf die Landwirtschaft bauen würden, dann wären sie so arm wie die Leute im Bayerischen Wald oder der Oberpfalz oder der Eifel oder gar in Mecklenburg. Sozialromantik ist auch in Marokko nicht angebracht. Es wäre schön wenn alles so ursprünglich bliebe wie früher - aber nirgendwo in der Welt geht Entwicklung ohne Einbrüche v.a. in bezug auf die Sozialordnung. Deshalb ist heutzutage nachhaltiger Tourismus gefragt - aufbauend auf die vorhandene Infrastruktur und die vorhandenen Resourcen und Tourismusförderung in Einklang mit Umwelt, Resourcen und den dort wohnenden Menschen zu verwirklichen. Dahin führt aber ein langer Weg und dieser Weg muss erst einmal konsequent beschritten werden. Natürlich darf der Tourismus nicht zur einzigen Einkommensquelle werden. Es müssen andere Resourcen erschlossen werden, auf denen aufgebaut werden kann. Bayern hat diesen Weg in punkto Hochtechnologie beschritten. Dieser Weg ist zwar damals unter unserem hoch umstrittenen Ministerpräsidenten F.J. Strauss eingeschlagen worden. Auch wenn dieser Mann sicher kein Demokrat war (auch wenn die bayrische Staatregierung das anders sieht), so war der Weg richtig. Wenn ich Agadir und Tiznit betrachte, so sehe ich hier einen ähnlichen Weg. Einerseits Tourismus, andererseits ein Boom bezüglich Firmenansiedlung und Entwicklung. Agadir ist sicher eine der reichsten Städte des Landes. Auch wenn die Touristen zum Teil ausbleiben, wegbleiben werden sie nicht zur Gänze. Die Firmenansiedlung, auch der Hafen, das Zementwerk, die Lebensmittelproduktion wie Saftfabriken, Lebensmittelabpackbetriebe usw. sind ein Weg ins 21. Jah. den Agadir, aber auch Rabat, Safi, El Jadida, Casablanca konsequent beschreiten. Marokko muss nur aufpassen dass es bei dieser Entwicklung die Armen und die Umwelt nicht vergisst. Es herrscht oft ein Neokapitalismus wie bei uns im 19. Jahrhundert. Wer Geld hat und verdient, will immer noch reicher werden - es kommt mir vor wie im Dagobert duck-Heftchen, man hat das Gefühl die $$ spiegeln sich in den Augen wieder. Das ist aber die Gier und das mangelnde Sozialbewußtsein und nicht der Tourismus. Soziale Marktwirtschaft ist gefragt, kein Staats- oder Royalkapitalismus.Als Gegenbeispiel zu Agadir will ich dir El Kisba hinstellen. Die Stadt liegt in herrlicher Umgebung, hat Wälder, Berge, Quellen, Wasserfälle und wäre für den Tourismus prädestiniert. Stattdessen ist die Gemeinde hoch verschuldet und quillt über vor Müll, die Häuser und das ehemalige Erholungsgebiet sind heruntergekommen, ein ehelamls recht nettes kleines Hotel ist jetzt Absteige und man kann schlichtweg keinem Touristen mehr empfehlen dorthinzufahren im derzeitigen Zustand. Was ist nun besser??? Ich glaube nicht das die Leute dort zufriedener sind nur weil sie keine Touristen haben.
Aber das Thema kann man ewig weiterspinnen. Ich bin für Tourismuskritik, mit einigen deutschen Tourismuskritikern bin ich seit Jahren gut bekannt und beziehe auch regelmäßig die Zeitung Tourismuswatch, aber "man muss die Kirche im Dorf lassen", wie man hier in Bayern als Sprichwort sagt- was soviel meint, wie den Bezug zu den Realitäten nicht zu verlieren und das beste aus den gegebenen Tatsachen machen und nicht die Gegebenheiten falsch sehen.
Das war das Wort zum Sonntag, bis demnächst
Erika