"Die Wut und der Stolz"
#20038
04/11/02 01:59 PM
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Yacin
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Mit der Zensur ist es so eine Sache. Eine Grundregel der Demokratie ist, neben der eigenen Meinung auch andere zuzulassen. Was aber macht der überzeugte Demokrat mit einem Buch, das er spontan am liebsten auf den Index setzen würde, weil darin übelste Vorurteile über eine ganze Volksgruppe stehen? Oriana Fallaci hat ein solches Buch geschrieben. Wenige Tage nach den Attentaten vom 11. September hatte sich die in New York lebende italienische Journalistin an die Schreibmaschine gesetzt und ihre Gedanken zum Islam für den Mailänder "Corriere della Sera" niedergeschrieben.
Sie habe ihr Schweigen brechen müssen, schreibt Fallaci in dem fast fünfzigseitigen Vorwort der deutschen Buchausgabe, die jetzt der Münchner List-Verlag herausgegeben hat. Sie sei ihrer "Bürgerpflicht" nachgekommen und habe die "moralische Herausforderung" angenommen. Wie "frisches Quellwasser" seien die Dinge "aufs Papier geflossen, wie ein unaufhaltsames Weinen". Das liest sich wie eine Rechtfertigung.
Fallacis Quelle hat ein lupenreines Pamphlet aufs Papier gesprudelt. "Die Wut und der Stolz" ist eine Polemik, wie sie in den wenigsten Bücherregalen zu finden ist. Die bekennende Atheistin reiht ein Vorurteil ans andere – über Muslime, den Islam und diejenigen, die sich damit differenziert auseinander setzen. An drastischen Bildern lässt sie es nicht fehlen. Kostprobe gefällig? Die "Söhne Allahs" hätten nichts anderes zur Verbesserung der Menschheit beigetragen, "als mit den Hintern in der Luft fünfmal am Tag zu beten". Des Weiteren vermehrten sie sich "wie die Ratten". Ja, unter der muslimischen Gürtellinie will Fallaci sich auskennen. "Donnerwetter! Sie haben einen starken Strahl, diese Söhne Allahs!" schreibt sie über somalische Flüchtlinge in Florenz.
Wer ihr widerspricht und zudem Frau ist, dem oder besser der unterstellt sie, sich in die "großen Torquemada-Augen und die dicken Lippen des faszinierenden Osama bin Laden vergafft zu haben" und in das, "was er unter seinem schmutzigen Rock hat". Fallaci kotzt sich aus, ganz nach dem Motto "Was ich der Menschheit schon immer sagen wollte".
Wen wundert's da, dass Fallaci ihr Buch als "Predigt" an die verweichlichten Intellektuellen im Westen verstanden wissen will. Diese kapierten nicht, "dass in Zukunft anstelle der Kirchenglocken der Muezzin ruft, dass wir anstelle der Miniröcke den Tschador oder vielmehr die Burka tragen und dass wir anstelle eines kleinen Cognacs Kamelmilch trinken". Dabei sei der Islam dem Abendland unterlegen, habe er doch nur "Bartträger in Rock und Turban" hervorgebracht.
Dass Oriana Fallaci beim Thema Islam einzig in der Schmuddelkiste der Vorurteile wühlt, verwundert. In den sechziger und siebziger Jahren hat sie mit ihren Kriegsreportagen und Interviews (auch aus der arabischen Welt) international Anerkennung gefunden. Nun scheint die 72-Jährige jeglichen seriösen Journalismus über Bord geworfen zu haben. Von ihren Emotionen geleitet, spuckt sie ihren Hass gegen eine männerdominierte Welt aufs Papier. Einen alten Mann aus Nairobi, für den bin Laden ein Held ist, lässt sie stellvertretend für alle Muslime sprechen. Kritische Stimmen aus der arabischen Welt zum 11. September will sie nicht hören.
"Die Wut und der Stolz" kommt nicht als unschuldiges Feigenblatt auf den deutschen Buchmarkt. Bereits der Artikel im "Corriere della Sera" hatte die Leser in zwei Lager geteilt. Die einen stimmten Fallaci zu, andere warfen ihr Rassismus vor. Ende des vergangenen Jahres erschien ihr Artikel in Buchform in Italien – und wurde zum Kassenschlager. Ebenso erfolgreich war die französische Ausgabe, deren erste Auflage schnell vergriffen war. Antirassistische Gruppen versuchen aber nun, das Buch zu verbieten. Ende Oktober soll ein Pariser Gericht entscheiden.
Jetzt gibt es "Die Wut und der Stolz" auch auf Deutsch. Der List-Verlag war sich nicht zu schade, die 195 Seiten in ehrwürdiges Gesangbuchrot zu packen und mit goldener Schrift zu adeln. Der wackere Demokrat jedenfalls hat nun zwei Möglichkeiten. Er kann sich über die Klischees und die vulgäre Sprache aufregen. Er kann aber auch einfach nur lachend den Kopf schütteln. Denn ernst nehmen kann man Fallacis "Predigt" nicht. quelle stuttgarter zeitung
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