Hallo Blandina,

sicherlich hast du damit recht, dass all zu oft und zu schnell extreme rassistische Angriffe in Vergessenheit geraten und oft auch nicht genug Aufmerksamkeit bekommen. Was aber noch weniger Aufmerksamkeit bekommt, ja gar unsichtbar häufig bleibt, ist ein Rassismus, der von den meisten nicht einmal wahrgenommen wird und eben alle möglichen Bereiche durchzieht, von Alltag über Schule bis hin zur Arbeit etc. Das Gefährliche, wenn man "nur" von den extremen rassistischen Auswüchsen spricht, ist, dass all die anderen Formen unsichtbar bleiben. Rassistische Ausgrenzungen und Diskriminierungen geschehen ja auch oft subtil, unbewusst und nicht unbedingt immer böswillig. Das Beispiel, das Merlina gebracht hat, zeigt gut, wo Rassismus schon beginnt. Warum wird die Farbe der Haut explizit benannt, wenn doch jeder weiß, um welchen Mann es sich handelt? Oder warum muss man hinzufügen, dass der unfreundliche Kunde in einem Geschäft ein Türke war, während ja auch von Deutschen nicht das Deutsch-Sein erwähnt wird? Das sind alles ausgrenzende Praktiken, die häufig gar nicht intentional erfolgen. Wichtig ist, eben nicht nur den Blick auf die extremen, offensichtlichen Formen von Rassismus zu lenken, sondern auch auf die, die uns gar nicht so bewusst sind, wozu auch gehört, sich selbst hinsichtlich rassistischer Blindflecken zu hinterfragen.

Du sagst, dass deine Tochter selbst diskriminiert, weil sie mit einem türkischen Mädchen nichts zu tun habe möchte, da diese nicht so gut deutsch spricht und appelierst an einen Förderunterricht, um solche "Defizite", wie die dieses türkischen Mädchens zu beheben. Meiner Meinung nach wäre an der Stelle eher angebracht, zu hinterfragen, warum überhaupt schon Kinder damit beginnen, andere auszugrenzen aufgrund deren Andersartigkeit? Förderunterricht ist m.E. kein Mittel, um Diskriminierung und Ausgrenzung von Kindern mit Migrationshintergrund zu beseitigen. Im Gegenteil, der extra Förderunterricht an und für sich kann schon eine ausgrenzende Praxis darstellen. Diskriminierungen in den Schulen geschehen strukturell und werden nicht nur von Lehrpersonen und Mitschülern direkt ausgeübt sondern sind auch in heimlichen Lehrplänen versteckt. Da werden dann zum Beispiel Kinder mit Migrationshintergrund nicht an weiterführende Schulen vermittelt, obwohl sie super Noten haben, weil es heisst, dass das Deutsch mangelhaft wäre, während ein deutscher Schüler ebenfalls seine Probleme haben kann in dem Fach Deutsch, aber darin kein Hindernis gesehen wird, um eine weiterführende Schule zu besuchen. Häufig werden Kinder sogar überhaupt in Sonderschulen gesteckt, weil sie Probleme mit der deutschen Sprache haben! Das ist der absolute Wahnsinn: Kinder werden als lernbehindert eingestuft, nur weil sie Probleme mit der deutschen Grammatik und Rechtschreibung haben! Da stellt sich schon die Frage, warum überhaupt das Deutsche solch eine Hegemonialität erhebt!? Wobei ein großer Unterschied besteht, ob eine Brite, Franzose oder Italiener oder eine Türke, Araber oder Bosnier einen ausländischen Akzent hat bzw. gewisse sprachliche Fehler macht: bei den einen wird es eher akzeptiert als bei den anderen. Auch in den Schulen wird das eine eher als Vorteil betrachtet, während das andere als Defizit und als störend betrachtet wird.

Rassistisches Denken ist tief verwurzelt in der europäischen Gesellschaft und durchzieht alle möglichen Lebensbereiche. Extreme rassistische Gewalttaten sind nur die Spitze dieser rassistischen Gesellschaft, der Blick muss aber auch auf alle anderen Formen von rassistischer Diskriminierung und Ausgrenzung gerichtet werden, auch auf diese, die gar nicht so offensichtlich und oft unbeabsichtigt sind. Wenn andauernd "nur" über extreme Auswüchse geredet wird, verschwinden alle anderen Formen dahinter.

LG, Jasmin