Ich kenne folgenden Sachverhalt aus dem Süden Marokkos: Dort gibt es in einer kleinen Stadt den ein oder anderen psychisch Kranken, ich denke mal das es sich weitgehend um Depressionen handelt.
Das Verfahren ist folgendermaßen: Alle drei Monate müssen die zu Behandelnden nach Agadir (oder Inzegane, ich weiß es nicht mehr) in ein Spital fahren und sich dort eine Depotspritze abholen. Diese soll den Kopf zunächst vollkommen mau machen, nach ein paar Tagen wird es aber angeblich besser.
Ein Dorfbewohner ist jedoch recht renitent und fährt nicht regelmäßig dort hin und rastet dann gerne mal aus, zerlegt z.B. das Mobiliar im Haus seiner Mutter oder jagt seine ältere Schwester schreiend durchs Dorf. In diesem Fall ist der Dorffeuerwehrmann von der Dorfgemeinschaft angewiesen worden diesen Mann einzufangen und zur Klinik zu bringen damit er dort seine Pferdespritze bekommt. Freiwillig kann man das nicht gerade nennen, jedoch sind alle sehr erleichtert (inklusive des Patienten) wenn der endlich seine Spritze bekommt, weil er wirklich Mist baut, sich und andere in Gefahr bringt.
Eine Bekannte hat ihn mal dort abgeholt nach so einer Einfangaktion und der üblichen Spritze und hat entdeckt das es im Spital einen öffentlichen Aushang mit den Namen der Patienten und der Zeit wann die sich melden müssen gibt. Und sie hat dabei erfahren das auch die Ärzte den Feuerwehrmann anrufen wenn sich die Leute nicht regelmäßig melden.
Bemerkenswert fand ich wie gelassen alle Betroffenen damit umgehen. Wenn die frisch gedopten Patienten aus dem Spital zurück kommen gibt man ihnen ein paar Tage Zeit bis sie nicht mehr so matschig rumlaufen (man kann das denen richtig ansehen!) und dann werden sie kurzerhand wieder integriert und vollkommen ernst genommen... bis zum nächsten Ausraster.
Weiterhin gibt es dort einen Mechaniker ohne Unterschenkel der (soweit ich es beurteilen kann) komplett integriert ist, und einen humpelnden Bettler mit "schlimmen Bein" der zwar arm ist, jedoch mit einer gewissen Würde vom betteln leben kann.
Grundsätzlich habe ich das Gefühl das in Dorfgemeinschaften die Integration kranker Menschen kein großes gesellschaftliches Problem oder Tabu ist. Wie es in Großstädten ist weiß ich nicht, weil ich diese eher nur zum Auffüllen von Vorräten besuche.