Wie drückt sich diese Ernüchterung aus?
Die Islamisten zum Beispiel, die in Marokko, Tunesien und Ägypten die großen Wahlsieger sind, reiben sich die Hände. Sie haben es geschafft, aus dem arabischen einen islamischen Frühling zu machen. Aber alle anderen - die Liberalen, die Demokraten, die Künstler, die Frauenorganisationen - sind weitaus pessimistischer, zumal sie mit zunehmender Intoleranz der Islamisten zu kämpfen haben.
Dabei handelt es es sich nicht um kleine, radikale Randgruppen?
Es gibt noch keine soziologischen Erhebungen, aber man erkennt, dass es nicht nur Randgruppen sind und dass sie alle über enorm viel Geld verfügen, das aus Katar, aus Saudi-Arabien stammt. Damit finanzieren sie ihre Apparate, ihre propagandistische Arbeit. Es gibt inzwischen etliche Prediger aus den genannten Ländern, die in Nordafrika herumreisen und zum Beispiel zur Beschneidung der Frauen aufruft. Für sie gilt der Maghreb als fruchtbares Missionsland. Es gibt viele, einzelne Ereignisse, die da zusammenkommen und zeigen, wohin es geht oder gehen soll. So stellten Jugendliche vor Kurzem im tunesischen Kairouan einen Dieb, dem sie die Hand abschlugen und dann sagten: Wir nehmen nur die Anwendung der Scharia voraus. Die Salafisten sind mit ihren Milizen zudem weitaus brutaler als die feinsinnigen, gebildeten Universitätslehrer, Künstler, Studenten, die den Gegenpol dazu bilden sollten.
Wer sind die Hauptverlierer der Umbrüche?
Vor allem die Frauen, deren Rechte unterminiert werden. Auch die Künstler. Zum Beispiel haben vor Ostern Salafisten das Theater im Zentrum von Tunis gestürmt, weil dort angeblich unislamische Stücke aufgeführt würden. Dann werden alle Minderheiten zu den Verlierern gehören, ob ethnische oder religiöse, die Kopten in Ägypten, die Christen oder die Juden in Tunis, die bereits mit dem Tode bedroht und auf deren Friedhöfen Gräber geschändet werden.
Das marokkanische Regierungsprogramm zum Beispiel sagt eindeutig, dass die Schaffung von Arbeitsplätzen und Wohnraum neben einer Bildungs- und Gesundheitsreform Priorität hat. Die Bedeutung der sozialen Frage und vor allem von Jugendarbeitslosigkeit ist allen klar, auch in Tunesien und Ägypten. Aber die Dimension des Problems ist so ungeheuer groß, dass jeder - ob Sozialdemokrat, Liberaler oder Islamist - damit zu kämpfen haben wird, Erfolge zu erzielen. Das ist denn auch die Hoffnung der Säkularen, dass die Islamisten an dieser Aufgabe scheitern und sie von den Bürgern bei den nächsten Parlamentswahlen dann nicht wieder gewählt werden. Nur: Lassen sich die Islamisten dann wirklich einfach so abwählen und nach Hause schicken?
Quelle
borgward