Solche "Fälle" gibt es genug. Auch ich kenne da etliche Geschichten wo Kinder komplett unterschiedliche Bahnen einschlagen. Meine beste Freundin hatte einen Bruder, sie war immer brav, machte keine Scherereien, machte eine Ausbildung etc. Der Bruder wurde drogenabhängig, arbeitete nie, machte nur Probleme und starb leider dann auch in jungen Jahren an Drogen. Beide hatten die selbe Erziehung genossen. Ein Mensch wird doch nicht nur zum dem Menschen der er ist, aufgrund seiner Eltern.
Natürlich werden in der Kindheit wichtige Grundsteine gelegt, etwa das Urvertrauen/Urmisstrauen, das Bindungsverhalten etc, sowie auch Neurosen in der frühen kindlichen Entwicklung meist ihren Ursprung haben. Aber ab einem gewissen Alter, so um die Pubertät, spielen zunehmend äußere Einflussfaktoren eine Rolle und in der Phase der Pubertät werden weitere wichtige Grundsteine für die Identität gelegt.Hinzu kommen dann die gleichartigen Peergroups die den jungen Menschen in dieser Zeit mehr beeinflussen als das Elternhaus. Ein Mensch wird nicht nur aufgrund der Erziehung zu dem Menschen der ist, sondern durch die Sozialisation und sozialisiert werden wir auch von den anderen Menschen, von der Schule, von verschiedenen Insitutionen, Erfahrungen und Mechanismen.
Wenn also ein Mensch beispielsweise in eine Familie mit Migrationshintergrund hinheingeboren wurde, die Familie ein sehr stabiles Umfeld ist und sich Eltern sehr gut um die Kinder kümmern und viel Wert auf eine gute Erziehung legen, viel Liebe, Fürsorge etc den Kind entgegenbringen, dann ist das mal ein guter Grundstein.
Das Kind verlässt aber spätesten wenn es in die Schule kommt dieses Umfeld tagtäglich und verbringt viel Zeit ausserhalb. In dieser Zeit ist ein Kind noch sehr formbar und prägbar. In der Schule macht es vielleicht schlechte Erfahrungen, wird etwa von Mitschülern und Lehrern diskriminiert, abgelehnt und in eine (Aussenseiter-)Rolle grdrängt. In der Folge zeigt es Verhaltensauffälligkeiten und wird wiederum in die Rolle des schwierigen (Ausländer-)Kindes gedrängt. Tagtäglich kommt es mit Schulfrust nachhause gegen den die Eltern, auch trotz guten Zuredens, nichts unternehmen können. Die Schulleistungen verschlechtern sich, das Kind sucht Kontakte zu seines gleichen, also Kinder mit den selben Schwierigkeiten, hängt mit denen auch in der Freizeit herum. Diese Kinder machen in der Gesellschaft schlechte Erfahrungen, werden diskriminiert, stigmatisiert und ausgeschlossen, der Frust wird größer und sie brauchen Ventile.. Sie tun sich in Gruppen zusammen und Kinder und Jugendliche suchen sich dann Gruppen in denen sie Anerkennung erfahren können, seien es auch Anerkennungen dafür, dass sie Mist bauen. Gerade in der Phase Pubertät, welche eine Phase der Identitätsfindung ist, kann es dann vorkommen, dass sich Jugendliche eine negative Identität suchen weil die positive und wünschenswerte Rolle eh unerreichbar/unerfüllbar scheint und die Jugendlichen wählen dann eine „negative Identität“. Damit ist gemeint, dass sie sich eine Identität suchen, die den Rollen und Identifikationen entspricht, die ihnen in früheren Entwicklungsphasen als gefährlich und nicht wünschenswert aufgezeigt wurden. Ungefähr nach dem Motto "wenn ich schon nicht die von mir erwartete Rolle erfülle, dann erfülle ich wenigstens die von mir gewählte Rolle richtig, das ist das einzige was ich richtig kann".Die Annahme einer negativen Identität ist oftmals auch eine Flucht des Jugendlichen vor den übertrieben hohen Erwartungen der Gesellschaft an die Kinder.
Die Jugendlichen können sich dann oft besser identifizieren mit Rollen, die vom Umfeld nicht erwünscht oder nicht erwartet werden, als mit Rollen die vom Umfeld anerkannt werden aber für sie nicht erreichbar sind. Mit der Annahme einer negativen Identität ist für den Jugendlichen eine Erleichterung verbunden. Deshalb ziehen es manche Jugendliche vor, schlecht, ein Nichtsnutz, oder sogar ein Krimineller zu sein, anstatt unter dem Gefühl der Diffusion zu leiden.
So können dann Jugendliche leicht in die Kriminaliät hinheinrutschen, vor allem wenn sie hierfür von ihren Peergroups Anerkennung finden, die sie sonst nirgendwo finden. Das Elternhaus kann da nicht mehr viel bewirken und hat nur wenig bis gar keinen Einfluss. Die Jugend ist die letzte Phase in denen wichtige Grundsteine für das Erwachsenenleben gelegt werden, einmal in kriminelle Kreise hinheingerutscht führen sie dann auch oft das kriminelle Leben weiter, häufig sind ja etwas Bildung, Ausbildung etc schon verloren gegangen und das kriminelle Leben ist zur Normaliät geworden.
Es ist viel zu vereinfacht, wenn man nur das Elternhaus für alles verantwortlich macht, man muss auch die gesellschaftlichen und institutionellen Mechanismen und Einflussfaktoren beachten wenn man darüber redet, wie es sein kann, dass Jugendliche falsche oder kriminelle Wege einschlagen. Sozialisation ist doch vielmehr als die Erziehung durch die Primärfamilie.
Natürlich beschränken sich meine Ausführungen nicht nur auf Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund, sondern treffen genauso auf Kinder und Jugendliche ohne Migrationshintergrund zu, das Beispiel mit dem Migrationshintergrund habe ich gebracht weil die Diskussion ursprünglich aus dem Thread stammt,wo es darum geht ob "Araber überdurchschnittlich kriminell" seien.