Also ich kenne nur die Fälle, wo das "unehelich" - wie schon geschildert - mit allen Kräften verhindert worden ist: auch wenn die Kinder in die Schule gehen dürfen, so wird es doch mit dem Heiraten später schwierig. Deshalb gilt auch ein uneheliches Kind als der schlimmste anzunehmende Unfall in einer nicht prekären marokkanischen Familie und löst die schon beschriebenen Schutz- und Korrekturmechanismen für die Mutter und das Kind aus. Ein uneheliches Kind ohne Papiere darf nur ein uneheliches Kind ebenfalls ohne Papiere später heiraten. Egal was in den nächsten 20 Jahren im Gesetz stehen wird, das ist das Gesetz in den Familien und wird es auch auf lange Zeit noch bleiben. Du lebst doch in einer marokkanischen Familie: wie wird denn dort darüber geredet?

Das Problem von unehelichen Kindern ist zuallererst ein wirtschaftliches Problem und dann eines der Clansicherung: ein Kind aus zwei Familiensträngen erbt von zwei Seiten, bekommt Unterstützung von zwei Seiten, wird akzeptiert und geliebt von zwei Familien. Es ist zu spät, um meinen Rechtswälzer wieder hervorzukramen, jedenfalls sind drei/vier Kapitel ausschließlich dem Problem der unehelichen Kinder (von der frühen Neuzeit bis heute) gewidmet - nirgendwo waren sie gerne gesehen, oft sind die Mütter mit den Kinder bestraft worden (es gibt dort einen Stich aus dem 18. Jahrhundert, wo die Mutter mit dem Kind ausgepeitscht worden ist in England), die Kinder waren "zur linken Hand", nicht standesgemäß, ein Bastard oder Bankert - "von den Zigeunern vor der Türe abgelegt" etc. Ein tiefsitzender Makel und ohne Legitimität was Erbberechtigung, Namensführung etc. angeht.

Die heutige Lage ist keineswegs für ledige Mütter (sie heißen heute "alleinerziehend") komfortabler, was die Stigmantisierung angeht: wie bei der körperlichen Züchtigung, denen Kinder nicht mehr ausgeliefert sein sollen, weil es bei Strafe verboten ist, sie zu schlagen, hat man das Problem nicht grundsätzlich gelöst, sondern es verschwinden lassen - ins Unterbewußte, Verdrängte, in die totale Unsichtbarkeit. Die blauen Flecken befinden sich jetzt auf der Seele und sind von dort kaum noch wegzubekommen ("ich bereue den Tag, an dem Du geboren wurdest!") - das weiß man inzwischen, weil die erste Generation erwachsen ist, die nie mehr auch nur den kleinsten Schlag abbekommen hat und es Langzeitstudien gibt, was die nichtgeschlagene Generation angeht.

So ähnlich ist das mit den unehelichen Kindern auch: offiziell ist alles supergut, keiner hat ein Voruteil - die Stigmatisierung ist jedoch nach wie vor vorhanden, nur jetzt verschoben in die Psychologie, die Helferindustrie aus Jugendamt, Umgangspfleger, Therapeuten. Die alle die Meinung vertreten, daß ein Kind aus einer "broken-family" gezeichnet ist bis an sein Lebensende: vom Bettnässer über den Beziehungs- und Bindungsunfähigen, zum Jobhopper - er hat praktisch keine Chance, egal wie sich seine Mutter ins Zeug legt, um all das zu verhindern. Eine tragische, eine verzweifelte Lage, die nicht dazu beiträgt, daß sich Mutter und Kind angenommen und akzeptiert fühlen können.

In der Zwischenzeit muß man sogar bei Bewerbungen angeben, ob man aus einer geschiedenen Ehe kommt, jeder weiß schließlich, daß nur seelische Krüppel aus einer nichtintakten Ehe stammen können. Gloria von Thurn und Taxis hat in einer Talkshow gesagt, daß ihr egel wäre, wen ihre Kinder standes- und adelsmässig heiraten würden, nur ein Schwiegerkind aus einer geschiedenen Ehe käme nicht in Frage. Dies von einer Frau, die mit einem bekennenden Schwulen verheiratet war und selbst mit einer Frau zusammen lebt: aber die Papiere stimmen eben - so ist das auch im Kleinen bei uns noch immer.

Nur viel subtiler und keiner schmeißt sich ins Zeug, damit das nicht vorkommt oder noch rechtzeitig korrigiert wird: im übrigen stimmen diese subtilen psychologischen Todesurteile nicht - der Knackpunkt ist das Geld: sind Kinder finanziell gut versorgt, geht es der Mutter gut (auch wenn sie arbeitet, kann es ihr gut gehen) und leidet die Familie keinen Mangel, haben die Kinder beste Chancen ihre Altersgenossen zu überholen. Sie sind flexbiler, selbständiger, können sich besser auf unterschiedliche Kontexte einstellen als Kinder aus behüteten Normalfallfamilien.

Gemeinsam ist beiden Kulturen, daß Patchwork, Alleinerziehung und Scheidung nur dann funktioniert, wenn es auch wirtschaftlich funktioniert. Hast Du denn Kinder?

@Shakir, ja und ich habe auch sehr lachen müssen über Dein Posting, wie es mich überhaupt zu Tode rührt, wenn Du so schreibst.

Josi

Literaturtip: Thomas Bernhard, Ein Kind (herzzerrreissend).