Alles hängt weiterhin vom Willen König Mohammeds VI. ab

Gespräch mit dem marokkanischen Journalisten Khalid Jamai über das Resultat der Wahlen in Marokko
Der Wahlsieg von Islamisten in Marokko zeigt Enttäuschung über die traditionellen Regierungsparteien an. Er entspricht nicht einem Aufbruch zu neuen politischen Ufern. Diese Ansicht vertritt der bekannte marokkanische Journalist Khalid Jamai.

Khalid Jamai zählt zu jenen marokkanischen Journalisten, die gegenüber dem Monarchen und dessen Herrschaftsapparat, dem «Makhzen», kein Blatt vor den Mund nehmen. Anders als andere regimekritische Intellektuelle ist Jamai, seit über 40 Jahren Journalist, volksnah. Insbesondere pflegt er Kontakte zu Angehörigen der Armee, der «grossen Unbekannten» der marokkanischen Politik. Ihn hat der Sieg des islamistischen Parti de la justice et du développement (PJD) bei den Parlamentswahlen vom letzten Freitag nicht überrascht. Er interpretiert diesen Sieg in erster Linie als Votum gegen die etablierten grossen Parteien und weist auf das katastrophale Abschneiden der Union socialiste des forces populaires hin.

Für Jamai steht fest, dass König Mohammed VI. auch nach diesen Wahlen fast alle Karten in den Händen behält. Zwar muss der Monarch gemäss der neuen Verfassung den Regierungschef aus den Reihen der Partei wählen, die am meisten Stimmen erhalten hat. Doch innerhalb dieses Rahmens hängt laut Jamai weiterhin alles vom Willen des Königs ab. Ist es aber nicht denkbar, dass der Wahlsieger PJD gegenüber dem «Makhzen» einen anderen, weniger unterwürfigen Ton anschlägt und sich dabei auf seine demokratische Legitimation beruft? Jamai hält dies für höchst unwahrscheinlich. Er macht geltend, der PJD sei eine zutiefst königstreue Partei, ja sogar eine Schöpfung des «Makhzen». Die Partei werde diesen Kurs beibehalten.

Laut Jamai haben die meisten Marokkaner die Hoffnung auf politische Veränderungen aufgegeben. Sie fühlten sich betrogen. Zwar sei die Verkehrsinfrastruktur in den vergangenen Jahren tatsächlich markant modernisiert worden, und die Menschenrechtslage habe sich etwas gebessert. Doch Verschleppungen und Folterungen fänden weiterhin statt, und es existierten immer noch geheime Haftzentren. Vor allem aber verfüge der König auch nach der jüngsten Verfassungsreform immer noch über fast uneingeschränkte Vollmachten und müsse niemandem Rechenschaft ablegen. Die tatsächliche Macht hielten allerdings die Generäle Ben Slimane, Bennani und Laânigri in ihren Händen, alles Offiziere fortgeschrittenen Alters, die bereits unter König Hassan II. gedient hätten. In wirtschaftlicher Hinsicht dominiere die Industrieholding Omnium Nord Africain, die sich mehrheitlich im Besitz der Königsfamilie befinde.

Mit Khalid Jamai sprach Beat Stauffer in Rabat von der Neuen Zürcher Zeitung
www.nzz.ch

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