Meine Erfahrungen lassen sich so zusammenfassen:
1. Es existiert eine sehr selbstbewusste Führungselite in Marokko, die sehr gut informiert und sich ihrer Verantwortung bewußt ist = die Oben wissen was sie tun und haben das Handwerkszeug von der Pike auf gelernt.
2. Marokko gehört zu den Staaten in Afrika, die sich nichts für einen Appel und ein Ei abkaufen lassen: die Regierenden wissen sehr genau, was ihr wichtigster Besitz ist und wie sie ihn schützen müssen (ihre Kultur und ihre Tradition) = es wird zu vielem Ja und Amen gesagt und anschliessend ganz bewußt nichts unternommen. Das gilt sogar bei grossen Summen und grossen Verlockungen: ihr Überlebens-Instinkt ist überraschend intakt.
3. Die Beziehungen zu Europa sind (noch) nicht von Selbstbewußtsein geprägt - eher von einer abwartenden Haltung: das wird sich in nächster Zukunft jedoch drastisch ändern - es wird sich eine Haltung Raum schaffen, die versteht, daß Marokko kein Bittsteller ist, sondern Anbieter von Ressourcen (kulturellen, handwerklichen, klima- und energietechnischen) und daß es den Preis dann selbst festsetzen kann.
Was gar nicht hoch genug angesetzt werden kann, ist der tiefreichende und sehr gesunde Wurzelstock, der "die Marokkaner" (Elite wie Bettler) mit seiner Tradition und seiner Kultur verbindet: das Land ist nicht verkommen und nicht verelendet. Das macht den Unterschied zur Ex-DDR aus und auch zu Rußland und den osteuropäischen Staaten: nicht 60 Jahre negative Auslese, sondern Bewahren und Erhalten von Sprache, Kultur und Gesellschaft auf einem hohen Niveau: es ist in Marokko ohne weiteres möglich ein komplexes philosophisches Gespräch mit einem alten Mann auf einem Busbahnhof zu führen - ohne Ansehen seines Herkommens und seiner Bildung. In Osteuropa kapituliert man dagegen gleich nach der Ankunft vor den gigantischen Ausmassen an Verheerungen in jeder nur denkbaren Dimension: Marokko wird eine gute Zukunft haben und jedes Engagement dort ist ein lohnendes Engagement.
Zu verwahrlosen beginnen junge Männer:
und da liegt ein grosses Problem, das in dem münden kann und münden wird, was Drake hier beschreibt. Junge Männer sind in jeder Gesellschaft ein Problem, die keine Initiationsriten und keine kämpferischen Herausforderungen ihrem männlichen Nachwuchs anbieten können - ganz besonders aber in Marokko, wo es eine große Demütigung darstellt, seine besten Mannesjahre im Hotel Mama verbringen zu müssen - anstatt eine eigene Familie zu gründen und in die Welt zu ziehen.
Und die holt auch das beste Modernisierungsprojekt nicht mehr ein: dafür sind es zu viele und es ist für eine komplette Generation fast schon zu spät.
Josi