Liebe Christine,
toi toi toi und Chapeau was du bisher alles erreicht hast!
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"Vor sieben Jahren kündigte Christine Ferrari ihren Gemeindeschreiber-Job und wagte einen Neustart in Marokko. Nach schwierigem Start fühlt sich die 54-Jährige heute in ihrem Element im Hinterland von Marrakesch. Sie kultiviert Safran und unterhält einen botanischen Garten, der Besucher aus aller Welt zum Schwärmen bringt. Droht nun die Vertreibung aus dem Paradies?

Interview:
Mathias Morgenthaler

Frau Ferrari, Sie sind vor 7 Jahren nach Marokko ausgewandert. Wie sieht Ihr Arbeitsalltag dort aus?

CHRISTINE FERRARI: Ich weiss nicht, ob es passend ist, von Arbeit zu reden. Ich lebe hier in meinem Gartenparadies, betreibe auf 2,5 Hektaren einen Kräutergarten, eine Plantage mit Avocado-Bäumen, Mango, Papaya und Guave, lebe mit 30 Hasen, acht Hühnern, 3 Hunden und einer Katze sowie einem Pfauenpaar. Und ich kultiviere Safran, was allerdings ein saisonales Geschäft ist.

Das klingt doch nach viel Arbeit.

Für mich ist es eine wunderbare Lebensform, in der Natur tätig zu sein. Zuvor arbeitete ich wahnsinnig viel als Gemeindeschreiberin, hatte kaum noch Zeit für mich selber, war in Stöckelschuhen, Design-Kleidern und mit teuren Handtaschen unterwegs. Ich konsumierte, hatte Erspartes auf der Bank, aber innerlich fühlte ich mich leer. Heute habe ich kein Geld mehr, mein Erspartes ist in dieses Land und die Pflanzen geflossen, aber ich fühle mich unglaublich reich. Gut, manchmal, wenn es regnet, und ich die 30 Kilometer nach Marrakesch mit dem Scooter hin und zurück fahre, denke ich: Ein Auto wäre schon nicht schlecht. Aber sonst fehlt es mir wirklich an nichts.

Sie sind 2008 nach einem Wüstentrekking ausgewandert und haben zunächst viel Lehrgeld bezahlt. Was lief schief?

Ich machte 2006 ein erstes Wüstentrekking und erlebte diese Ruhe und Schlichtheit als Offenbarung. In der Schweiz war ich im Hamsterrad. Mein Arbeitsalltag war geprägt von Leuten, die sich über Kleinigkeiten aufregen und nicht mehr mit Meckern aufhören können. Wenn die Werktage so voller Stress sind, färbt das auch auf die Wochenenden und Ferien ab. Man packt zu viel rein, hat zu hohe Erwartungen, wird noch unglücklicher. 2008 entschied ich mich fürs Auswandern. Ein Bekannter aus Marokko, den ich vom ersten Trekking her kannte, überredete mich, ein Grundstück zu kaufen. Leider hörte ich nicht auf mein Bauchgefühl, überwies einen ersten Teil des Geldes aus der Schweiz und zahlte in Marokko den zweiten Teil. Nach und nach wurde mir klar, dass ich über den Tisch gezogen worden war und ich praktisch mein ganzes Erspartes in ein wertloses Grundstück gesteckt hatte.

Sie hätten wieder in die Schweiz zurückkehren können.

Nein, das stand nie zur Debatte. Ich hatte die Verbindungen in die Schweiz gekappt und war überzeugt, dass die schmerzhafte Lektion am Ende für etwas gut sein würde. Ich lebte in einer winzigen Wohnung in Marrakesch und hatte keine Ahnung, was nun aus mir werden sollte. Dann ergab sich ein erstes Projekt: Statt selber in die Schweiz zurückzukehren, holte ich meinen 85-jährigen Vater nach Marokko. Er war an Parkinson erkrankt und hatte deshalb seine Wohnung aufgeben müssen. Im Herzen war er aber ein Abenteurer geblieben. Entsprechend schlecht konnte er sich damit abfinden, im Altersheim zu sitzen und dort auf den Tod zu warten.

War es eine gute Idee, ihn nach Marrakesch zu holen?

Ja, ohne Frage. Ich fand eine kleine Wohnung und eine Betreuung für ihn, dann baute ich ihm eine kleine Wohnung hier bei mir und er zog aufs Land. Die Marokkaner waren sehr freundlich zu ihm, der Respekt vor älteren Menschen ist hier sehr ausgeprägt. Mein Vater genoss es, auf den Markt zu gehen und sich mit den Händlern zu unterhalten. Es ging ihm so gut, dass er nach 15 Jahren im Rollstuhl teilweise wieder an Krücken gehen konnte.

Wie fanden Sie wieder eine berufliche Perspektive?

Eines Tages hatte ich die Idee, selber Safran anzubauen. Ich hatte das Risotto Milanese meiner Mutter immer geliebt und schon als Mädchen von einem eigenen kleinen Gärtchen geträumt. Mit Glück fand ich ein Grundstück im grünen Tal von Ourika, gut 30 Kilometer von Marrakesch entfernt in Richtung Atlasgebirge. Ich zog in eine 50-Quadratmeter-Lehmhütte ein und bewirtschaftete mit Hilfe einiger Berber aus den umliegenden Dörfern die 2.5 Hektaren Land, die ich gepachtet hatte. Wir pflanzten 600'000 Safranknollen unter die Erde, bauten zwei Brunnen, eine Bewässerungsanlage.

Können Sie drei Jahre später schon von der Safran-Ernte leben?

Nein, dafür sind die Mengen noch zu klein. 2012 ernteten wir 500 Gramm, 2013 waren es 2 Kilo; wäre der Spätherbst im letzten Jahr nicht so kalt und verregnet gewesen, hätten wir da schon vier oder fünf Kilo ernten können. Für ein Kilo müssen die Pflückerinnen von Hand 200'000 Blüten bearbeiten. Deshalb sind im Erntemonat November bis zu 50 Berberinnen pro Tag bei mir an der Arbeit. Ich verkaufe die Fäden und die Knollen derzeit vor allem an die Besucher, ein Teil geht an die Spitzengastronomie. Seit Anfang Jahr sind mein Safran und mein Kräutergarten Bio-Suisse zertifiziert.

Im Spätherbst haben Sie also alle Hände voll zu tun. Und der Rest des Jahres? Ist es nicht ein einsames Leben?

Ich vermisse nichts und niemanden. Ehrlich gesagt sind mir die Pflanzen und Tiere hier viel lieber als der stressige Alltag in der Schweiz. An ruhigen Tagen bin ich im Garten tätig und falle um spätestens 21 Uhr müde und zufrieden ins Bett. Aber Sie dürfen nicht vergessen, dass regelmässig Touristen hier sind. Im letzten Jahr waren 2’515 Gäste in meinem botanischen Garten zu Besuch. Dann mache ich Führungen, erzähle den Besuchern, wie sie echten Safran von Fälschungen unterscheiden können – 90 Prozent des Safrans, der weltweit verkauft wird, ist gefälscht. Und manchmal bekoche ich die Gäste auch. Für mich schliesst sich damit ein Kreis. Ich habe in einem Basler Hotel das KV gemacht und später in Zermatt und an der Côte d’Azur in Luxushotels gearbeitet. Hier besteht der Luxus in der Ruhe und Naturnähe. Es duftet nach Rosen und Jasmin, es gibt einen Barfussweg und über 100 Pflanzensorten zu entdecken, darunter viele Heilpflanzen.

Wundern Sie sich manchmal, wie sehr sich Ihr Leben verändert hat in den letzten Jahren?

Manchmal muss ich selber lachen. Noch vor 10 Jahren konnte ich keinen Salat pflanzen, heute kuriere ich manche Gäste, die unter Magenkrämpfen leiden, mit Majoran-Tee aus meinem Garten, nutze die Blätter der Duftgeranie, um die Mücken fernzuhalten, und halte Vorträge über Safran-Anbau und -Ernte. Zudem spreche ich heute fliessend Marokkanisch, was viel schöner ist als Beamtendeutsch. Vor zwei Monaten, nachdem mein Vater gestorben war, kam meine Schwester zu Besuch. Sie sah sich alles an und sagte: «Vielleicht findest du jemanden, der dir eine Million Franken bietet dafür.» Ich schaute sie ganz verständnislos an. Ich möchte das hier nicht abgeben, für kein Geld dieser Welt. Ich fühle mich längst hier zuhause. Die Einheimischen sind sehr freundlich zu mir, manche bedanken sich dafür, was ich aus diesem Fleck Erde gemacht habe. Zudem lebt meine beste Freundin in der Nähe und ich finde stets Unterstützung bei meinem Ex-Mann in der Schweiz.

Das Grundstück gehört dem Staat, Ihr Pachtvertrag läuft im September aus. Bereitet Ihnen das Sorgen?

Ich habe gelernt, den Moment zu geniessen. Ich kann ja nicht sechs Monate lang schlaflose Nächte haben deswegen. Ich weiss, dass ich dem anderen Safran-Anbauer in der Gegend, einem Multimillionär, ein Dorn im Auge bin. Ich konzentriere mich aber auf meine Tätigkeit hier und werde im Herbst versuchen, den Verantwortlichen im Ministerium für Islamwissenschaften in Rabat darzulegen, dass ich mich nicht nur gut um das Grundstück kümmere, sondern auch ein Tourismusfaktor geworden bin: viele Reiseanbieter haben den Abstecher in meinen Garten in ihr Programm aufgenommen, manchmal kommen auch Kaderleute von Schweizer Unternehmen hierher für ihre Auszeiten. Zudem beschäftige ich lokale Arbeitskräfte. Es wäre sehr schade, wenn ich hier aus meinem Paradies vertrieben würde, aber ich nehme es, wie es kommt."

Zora