SZ 8.1.2005
Die Glaubenskrieger

Christliche Kirchen und muslimische Verbände streiten heftig -- nun soll ein Spitzengespräch den Konflikt entschärfen

Von Matthias Drobinski

Man hatte sich daran gewöhnt, Nettigkeiten auszutauschen. Die Repräsentanten der Protestanten und Katholiken schickten ein Grußwort zum Ende des Ramadan, die muslimischen Verbänden revanchierten sich freundlich zum Weihnachtsfest. Dieses Jahr allerdings fielen die frohen Botschaften aus: Pünktlich zum christlichen Fest der Liebe überzogen sich beide Seiten mit scharfen Vorwürfen.

Die Toleranz der muslimischen Verbände stehe oft nur "auf dem Papier", kritisierte Kardinal Karl Lehmann, der katholische Bischofskonferenzvorsitzende. Wolfgang Huber, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland, forderte die Muslime auf "die Fundamentalisten in den eigenen Reihen zur Ordnung zu rufen". Ali Kizilkaya, der Vorsitzende des Islamrats, der ungefähr 140 000 meist türkische Muslime vertritt, wetterte zurück: Dialog mit Christen gebe es nur "auf unterer Ebene", nicht aber mit Lehmann oder Huber. Das wiederum empörte Huber: Seit Wochen habe er Kizilkaya zum Gespräch eingeladen -- und keine Antwort erhalten. Der Islamrats-Chef konterte, Huber habe nicht die Organisationen eingeladen, sondern nur die Mitglieder des "Islamisch-Christlichen Arbeitskreises", was ein weiterer Affront sei. Auch Nadeem Elyas, der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, findet, Huber fehle es an Sensibilität gegenüber den Muslimen.

Nun wird es am 11. Januar, dem kommenden Mittwoch, ein Treffen im Berliner Haus der EKD geben. Kizilkaya kommt, auch Bekir Alboga für den staatlich-türkischen Moscheeverband Ditib sowie eine Vertreterin der islamischen Frauenzeitschrift Huda. Gut möglich, dass die Beteiligten danach freundlicher übereinander reden. Ob aber die Enttäuschungen und Verletzungen damit vergessen sind, ist unsicher.

Die muslimischen Verbandsvertreter fühlen sich seit den Anschlägen vom 11. September 2001 unter Generalverdacht: "Wir haben uns so oft von Terror und Gewalt distanziert -- was sollen wir noch tun, dass man uns glaubt?", fragt Kizilkaya. "Soll ich nach Saudi-Arabien fahren und dort eine christliche Kirche gründen, damit meine Toleranz bewiesen ist?" Vielen der christlichen Gesprächspartner kamen die Distanzierungen dagegen zu spät; sie empfinden die Verbände inzwischen mehr als Lobbyisten und weniger als Dialogpartner. Und sie haben den Eindruck, dass bei ihren muslimischen Gegenübern die Worte nicht die gleiche Bedeutung haben wie bei ihnen.

Das zeigt sich auch an der Tagesordnung, die Kizilkaya für das Treffen vorschlägt. Man könne über den Wert der Familie reden -- ein Thema, bei dem die Kirchen "zu schnell die Eltern aus der Verantwortung lassen", oder über die kirchliche Segnung homosexueller Partnerschaften, die er kritisch sehe, über Abtreibung oder auch darüber, "wie wichtig der Religionsunterricht ist". Damit ist Kizilkaya den konservativen Strömungen in den Kirchen näher als dem liberalen protestantischen Mainstream; die Themen, über die Huber reden möchte, klingen anders: Frauenrechte, Islam und Gewalt, Staat und Religion. Trotzdem gebe es Gemeinsamkeiten, sagt der Islamrats-Vorsitzende: "Wir leben in einer Gesellschaft, die sich säkularisiert, da müssen die Religionen gemeinsam für die gemeinsamen Werte eintreten."

Nur: Meinen Kirchen und islamische Gemeinschaften das Gleiche, wenn sie über Familienwerte reden -- wenn es zum Beispiel ums Zwangsheiraten geht? Fürs Elternrecht in der Erziehung haben sich die Kirchen traditionell stark gemacht, aber heißt das auch, die Argumentationshilfe für die Abmeldung von Mädchen aus dem Schwimmunterricht gut zu heißen, die sich auf der Homepage des Islamrats befindet?

Ein gutes Beispiel ist auch der Religionsunterricht. Kizilkaya kritisiert, dass es immer noch keinen Religionsunterricht gibt, bei dem Muslime den Lehrplan verantworten -- "das gibt es nur in Berlin, und dort hat das Land bis zuletzt gegen den islamischen Unterricht geklagt". Nun wird es allerdings kaum einen deutschen Gesprächspartner geben, der mit dem Unterricht der Berliner "Islamischen Föderation" glücklich ist: Aus den Schulen wird berichtet, dass sich muslimische Kinder stärker als zuvor abschotten. Dass Kizilkaya die "Islamische Föderation" lobt, ist logisch: Sie ist Mitgliedsverband im Islamrat. Dass die Dialogpartner der deutsch-christlichen Seite dabei eine Gänsehaut bekommen, liegt aber genauso nahe. Die Föderation verklagt alle, die behaupten, der Verband sei eine Tarnorganisation der türkischen Milli Görüs, die der Verfassungsschutz für islamistisch hält. Kritiker halten diese Verbindung für offensichtlich.

Von Milli Görus beherrscht

Was das nächste Problem offenbart: Die muslimischen Verbände werden von den Kirchen immer weniger als Dialogpartner akzeptiert. Der Islamrat zum Beispiel wird von Milli Görüs beherrscht, was einigen Verbänden zwar missfällt, doch den immer wieder angekündigten Austritt haben sie nicht vollzogen. Kizilkaya war Pressesprecher von Milli Görüs, bevor er vor fast drei Jahren an die Spitze des Islamrats kam. Der 42-Jährige gehört der jüngeren Generation des Verbandes an, der sich Necmettin Erbakans islamistischen Visionen verpflichtet sieht. Sie wollen Milli Görüs ein offeneres Gesicht geben -- aus Sicht des Verfassungsschutzes eine neue Fassade.

Der Zentralrat der Muslime, der mit seinem eloquenten Vorsitzenden Nadeem Elyas lange der beliebteste Dialogpartner bei Staat und Kirchen war, vertritt weniger als 30 000 Mitglieder; mancher der dort vertretenen Moscheegemeinden wird die Nähe zu den islamistischen Muslimbrüdern nachgesagt. Beim Treffen mit Huber wird der Zentralrat noch nicht einmal vertreten sein. Neu ist dagegen die Teilnahme der staatlich-türkischen Ditib mit ihrem Dialog-Beauftragten Bekir Alboga. Ditib hatte sich lange als Wahrerin türkisch-staatlicher Interessen gesehen und nur wenig Interesse an einem Dialog der Religionen gehabt; die Hoffnung auf einen EU-Beitritt hat offenbar diese Haltung geändert. Doch auch Ditib ist zunächst einmal nur für die türkischstämmigen Muslime da -- ein Ansprechpartner für alle ist sie nicht. "Wir sind in einen Teufelskreis geraten", sagt Kizilkaya: "Staat und Kirchen misstrauen den muslimischen Verbänden, und wenn wir etwas dagegen tun, heißt es: ,Ihr meint es ja doch nicht ehrlich‘."

Ein Teufelskreis, der durchbrochen werden kann, sagt jedenfalls EKD-Sprecherin Silke Fauzi, "dazu kann das Treffen ein erster Anstoß sein".

(SZ vom 8.1.2005)