hallo zusammen,
Betrachtungen von Ludmilla Tüting
Ferien ohne Koffer? Kein Stress bei der Auswahl der Kleidung und beim Packen? Keine Schlepperei, kein Warten auf das Gepäck im Flughafen? Nur eine kleine Tasche über der Schulter? Ai MAXX macht's möglich. Ai steht hier nicht für amnesty international, sondern für die Zauberformel "All-inclusive". MAXX ist ein Wortspiel mit Größenbezeichnungen.
Wer beispielsweise in der Dominikanischen Republik den Urlaub nur mit Handgepäck bucht, erhält kostenlos rund 15 Kleidungsstücke, die miteinander kombinierbar sind. Badebekleidung, sechsmal Unterwäsche, Sandalen, Sonnenbrille, Sonnenschutzmittel, Sonnenhut/-kappe, Nassrasierer, Rasiercreme, After Shave, Zahnbürste, Zahnpasta, Haarbürste und Deodorant. Was nicht passt, wird vom hoteleigenen Schneider geändert. Der Wäscheservice ist inklusive. Wer möchte, kann die Urlaubskleidung in einer ebenfalls kostenlosen Reisetasche mit nach Hause nehmen.
Dieser durchaus ernstzunehmende Gag, der vorerst nur auf Erwachsene zugeschnitten ist, wurde 1998 auf der Internationalen Tourismus-Börse Berlin (ITB) vorgestellt. Er bedeutet sozusagen die (vorläufige) Krönung einer Urlaubsform, die sich seit Jahren steigender Beliebtheit erfreut. Kuba wartete mit einem anderen Höhepunkt auf. Der touristische Aufsteiger des vergangenen Jahres ließ gleich zwei Inseln sperren und zur All-inclusive-Zone erklären. Zutritt haben nur noch gebuchte Hotelgäste, die ohne Erkennungsmarke am Handgelenk überall und unbeschränkt essen, trinken, baden und Sport treiben dürfen. Auch deutsche Reiseveranstalter bieten inzwischen Hunderte von Ai-Anlagen an.
Vielen Verbrauchern erscheint "alles inklusive" als die optimale Reiseform, können doch sämtliche Kosten im Vorfeld ziemlich genau kalkuliert werden. Sind im Ai-Angebot neben der Vollpension tatsächlich sämtliche Getränke, Snacks rund um die Uhr, Sport- und Unterhaltungsmöglichkeiten enthalten, entfallen die meisten Nebenkosten. Und die sind in Urlaubszielen oft besonders hoch. Lediglich für die berühmten Postkarten an die Lieben daheim, für Souvenirs und Ausflüge, sofern man den Strand verlassen will, braucht man Bares oder die Kreditkarte. Besonders vorteilhaft lassen sich so die Ausgaben für Familien im Vorfeld planen. Insbesondere in der Karibik stehen viele Ai-Anlagen allerdings nur heterogenen Paaren oder Paaren und Singles ohne Kinder offen.
Den Titel "Erfinder des All-inclusive-Urlaubs" heften sich heute gleich mehrere Betreiber an die Brust. Doch so neu ist die Idee gar nicht. Zum einem gibt es seit Jahrzehnten preiswerte Ferienlager für Kinder und Jugendliche, insbesondere in Europa und in den USA, die einschließlich der - selbstverständlich nicht-alkoholischen Getränke - alles enthielten.
Der französische Club Med begann 1951 ebenfalls mit Zelt- und Hüttendörfern, zählte jedoch auch Erwachsene zu seiner Klientel. Er warb als erster mit "touts compris", alles inklusive. Im familienfreundlichen Reisepreis waren Mahlzeiten, Tischweine, Animateure, Sport und Unterhaltung enthalten. Es fehlten nur zusätzliche Getränke, die mit zuvor gekauften Glasperlen erstanden werden konnten.
Erste All-inclusive-Clubs mit großem Komfort und kostenlosem Alkoholausschank entstanden in den 70er Jahren für Paare auf Jamaika und St. Lucia in der Karibik. 1981 eröffnete auf Jamaika die Luxuskette Sandals, die bis heute keine Kinder akzeptiert. 1993 entstanden in der Dominikanischen Republik die Allegro Resorts aus dem Zusammenschluss zweier Hotelketten. Sie expandierten inzwischen bis nach Nordafrika und gelten heute als der größte Ai-Anbieter. In Europa etablierte sich 1990 der türkische Magiclife Club, der Ai-Clubs in Österreich, Griechenland, Mexiko, in der Türkei und in der Dominikanischen Republik unterhält. Inzwischen werden zahlreiche weitere Ai-Anlagen gebaut sowie Ferienclubs und Hotels zu All-inclusive umfunktioniert. Nicht alle halten indes, was sie versprechen.
Ein All-inclusive-Urlaub lässt sich bereits in einer ganzen Reihe von Ländern verbringen. Noch immer führend ist die Karibik. Jeweils mehrere Dutzend Ai-Resorts sind in der Dominikanischen Republik, auf Jamaika und Kuba zu finden. Weitere Ai-Strandhotels gibt es u.a. auf Antigua & Barbuda, Aruba, auf den Bahamas, auf Barbados, Grenada, St. Kitts, St. Lucia, Trinidad & Tobago sowie auf den Turks & Caicos Islands. Auf dem amerikanischen Kontinent läßt sich in Mexiko, Costa Rica und in Südamerika am Strand all-inclusive urlauben, in Afrika in Ägypten, Gambia, Marokko und Tunesien, ferner in der Türkei, auf Sri Lanka und in Thailand. Streng genommen fallen pauschale Trekkingreisen ebenfalls unter All-inclusive, beispielsweise im Himalaya-Königreich Nepal. Denn wer dort mehrere Wochen im Gebirge unterwegs ist, hat keinerlei Nebenkosten. Das mobile 3 bis 5-Sterne-Hotel wandert auf Träger- oder Yakrücken mit. In den meisten Dörfern gibt es nichts zu kaufen.
In Europa findet man All-inclusive-Hotels auf Mallorca, in Griechenland, Frankreich, Deutschland (auf Rügen, im Harz, in den Alpen) und in Österreich. In den Alpen kann man neuerdings auch all-inclusive skifahren. Dabei handelt es sich aber nicht immer um komplette Serviceangebote.
Überhaupt solle der interessierte Urlauber die Kataloge sehr sorgfältig studieren, vor allem das Kleingedruckte. "All-inclusive" ist kein geschützter Begriff, warnen Verbraucherschutzverbände, die auch im übersteigerten Anspruchsdenken "Ich will alles" eine Gefahr wittern. Kühle Köpfe entdecken Widersprüche dagegen rechtzeitig, z.B. wenn ein Veranstalter ein Hotel als "all-inclusive" anbietet, aber auf der nächsten Seite die Getränke mittags und abends auf ein "Glas Tischwein oder Bier" beschränkt. Generell müssen die Offerten für alkoholische Getränke und Sportmöglichkeiten besonders kritisch unter die Lupe genommen werden. Hier klafft das Leistungsspektrum inzwischen weit auseinander. Selbst in den teuren Luxusanlagen sind aufwendige Sportarten und internationale Bargetränke nicht unbedingt inklusive. Anderswo muss für die Spezialitäten-Restaurants extra bezahlt werden. Bei Billiganbietern können Essen, Sport und Unterhaltungsprogramm schnell eintönig werden, und dreist werde häufig beim Sport eingeschränkt, warnen Verbraucherschützer. Da kann Tennis beispielsweise nur während der heißen Mittagsstunden kostenlos gespielt werden und sind Wasserski oder Windsurfen nur zu den Zeiten gratis, wenn die Wellen zu hoch schlagen. Auch Liegen und Sonnenschirme bleiben ein Problem. Zwar bekomme jeder Gast eine Liege zugesichert, jedoch nicht am Strand und am Pool. Der Kampf um die reservierte Liege geht also weiter. Rechtlich gelte: Was im Katalog steht, muss angeboten werden. Bei Einschränkungen handele es sich um Mogelpackungen.
Auch Touristiker fordern daher übereinstimmend ehrliche, transparente und umfangreiche Angebote, damit "gute Produkte nicht unter den schlechten leiden." Einige befürworten "grenzenlosen Komplettservice", andere glauben, selbst "lupenreines, teures All-inclusive" könne Gäste durch "Vielfalt auch abschrecken". Denn nicht jeder nutze alle Sport- und Unterhaltungsmöglichkeiten, obwohl er dafür bezahlt habe, und konsumiere Unmengen am Buffet oder in der Bar. Viele Urlauber befürchten anscheinend, für andere bezahlen zu müssen und halten zu Beginn kräftig mit. In der Regel, so die Ai-Betreiber, pendele sich aber der Konsum nach ein paar Tagen ein. Vielesser und -trinker würden in der Preiskalkulation durch Touristen, die wenig verzehrten, ausgeglichen. Überhaupt gehöre das Bild des dickbäuchigen Strandurlaubers, der schon morgens eine Alkoholfahne vor sich hertrage, zu den Ausnahmeerscheinungen. Generell verschiebe sich der Standard eher von dreisternigen Mittelklasseanlagen zu gehobenen Viersterne-Häusern und hochpreisigen Luxusresorts, meinen Beobachter der Ai-Szene. Sie glauben auch, dass in Zukunft eine Spezialisierung eintreten wird, vor allem im Bereich des Sports und der Verpflegung, und dass Ai-Angebote dem klassischen Cluburlaub durch verstärkte Animation immer ähnlicher werden.
Viele Fachleute sind sich einig, daß es auf Dauer besser sein dürfte, "Viel Inclusive" anstatt "Alles inclusive" oder gar "Ultra", "Super-" und "Unlimited-All-inclusive" anzubieten. Denn die "eierlegende Wollmilchsau", die alle zufrieden stellt, könne ein Ai-Angebot nicht sein oder werden. Da seien die Interessen und Bedürfnisse der internationalen Gäste und Betreiber zu unterschiedlich. Die einen wollen nur schlemmen, abschalten und Ruhe, andere Animation und Action. Insbesondere Deutsche reisen gerne mit Vollkasko-Mentalität und einem großen Sicherheitsbedürfnis an und verlangen das Totalangebot. Viele Gäste genießen es, sich um absolut nichts zu kümmern und die Anlage nicht verlassen zu müssen. Nicht wenige erfreut die "Philosophie der Gleichheit", die einige Anbieter forcieren.
"Letztlich entscheidet immer der Konsument", sagt ein Clubinhaber und betont: "Bei uns will der Gast die Freiheit, auch spät zu frühstücken, nachts einen Snack zu essen oder seine ersten Surfversuche zu wagen - mit oder ohne Kinder."
Nur mit "Reisen" habe der Ferienaufenthalt in einer Ai-Anlage wenig zu tun, glauben Tourismuskritiker und entwicklungspolitische Organisationen. Auch wenn ein bedeutender Ai-Betreiber - im Hinblick auf die eigenen Restaurants - suggeriere, "Sie können rund um die ganze Welt reisen - von Japan bis nach Jamaika und zurück - ohne die Anlage jemals zu verlassen." Man könne sogar "erforschen" und "entdecken", nämlich weitere Resorts derselben Kette. Zutreffender sei da schon die Werbung, man könne "die ganze Welt hinter sich lassen". Genau hier scheiden sich die Geister.
Löste bereits der Club-Urlaub heftige Diskussionen wegen des Ghetto-Charakters aus, verstärkt sich beim All-inclusive-Konzept die Frage, wer von Ai-Resorts profitiert und wer nicht. Skeptische Stimmen gegenüber der streng bewachten "Rundumversorgung hinterm Stacheldraht" wurden auch in der Reisebranche selbst laut, wenngleich sie nun nach den jüngsten Ai-Erfolgen leiser klingen. So wird befürchtet, dass Ai unter anderem dazu führen kann, "dass lokale Leistungsanbieter - Taxidienste, Restaurants, Incoming-Agenturen, Krämerläden - keine Chance haben, am Tourismus allgemein teilzuhaben." Weiterhin umgingen All-inclusive-Angebote die zum Teil gut entwickelte Infrastruktur im Zielland, die ursprünglich auf Besucher ausgerichtet und sehr vielseitig sei. All-inclusive-Gäste erhielten bei überwiegendem oder ausschließlichen Aufenthalt in der Anlage einen verfälschten oder gar keinen Eindruck vom Reiseziel. Die Destination werde austauschbar, was im Grunde genommen jede Zielgebietswerbung ad absurdum führe.
Eine Studie der Caribbean Tourism Organization (CTO) kam vor einigen Jahren zu dem Schluss: "Das All-inclusive-Konzept enthält keine Erfolgsgarantie und kann sich im Zielland nachteilig auswirken, wenn es zu stark vorangetrieben wird." Als besonders positiv hob die CTO die hohe Rentabilität der Anlagen, die Überschaubarkeit der Ausgaben aus Kundensicht sowie rasches Bekanntwerden des Zielgebietes hervor. Zu den Negativbeispielen zählte die CTO vor allem den Wegfall von Trinkgeldern, den kontrollierten Aufenthalt der Gäste und Beschränkungen für die einheimische Bevölkerung. Was sich in Reisebeschreibungen wie folgt liest: "Die schönsten Strände liegen außerhalb des Ortes, gehören zu Hotelanlagen und stehen nur deren Gästen offen. Die All-inclusive-Clubs sind nach außen stark abgeschirmt und werden durch Bodyguards streng bewacht."
Über Arbeitsplätze gibt es unterschiedliche Angaben. So erklärte ein Ai-Betreiber der Fachpresse, in den Resorts seien im Schnitt - überdurchschnittlich - ein Mitarbeiter je Zimmer beschäftigt, während ein Tourismusexperte angab, man könne etwa ein Viertel des Personals einsparen. Die Reduzierung ergebe sich durch die Selbstbedienung am Buffet und an der Bar sowie durch die Vereinfachung verschiedener Arbeitsabläufe, zum Beispiel in der Verwaltung und bei der Abrechnung. Kritikern fiel das vermittelte Image auf. In einigen Hochglanzbroschüren seien Weiße ausschließlich in Bade-, Freizeit- und Abendkleidung abgebildet, Einheimische, insbesondere Schwarze, nur in dienender Funktion.
Auch Deviseneinnahmen machen in der Bilanz des Ziellandes häufig nur einen bescheidenen Anteil aus, je nach Inhaberstatus, Vertragsabschlüssen und steuerlichen Konditionen. Außerhalb des Resorts, insbesondere in Entwicklungsländern, geben Gäste praktisch nichts aus. Dem versuchen verschiedene Veranstalter mit kleinen Ansätzen entgegenzuwirken. In einigen Zielgebieten erhalten die Resortgäste Gutscheine, die sie in bestimmten Restaurants und Bars außerhalb der Anlagen einlösen können. Oder man versucht, Taxifahrer verstärkt einzubeziehen. In Europa werden Angebote zu Ausflügen, die einen vielfältigen Eindruck von Land und Leuten vermitteln sollen, offenbar gut genutzt. Skeptiker übersähen bei der Frage der Ausgabenverteilung immer einen wichtigen Punkt, erläutern die Ai-Betreiber: "Während Hotels mit Halbpension versuchen, ihre Gäste im Haus zu halten, um den Umsatz zu steigern, freut es uns, wenn sich Gäste außer Haus in einem Restaurant oder in einer Bar vergnügen. Dadurch sparen wir Kosten und haben weniger Arbeit."
Auf der Karibik-Insel St. Lucia wollten die Touristen "ihre" Resorts trotz Restaurantgutscheinen kaum verlassen. Weil dort aber von rund 3200 Betten 2000 in All-inclusive-Anlagen stehen, wollte der Tourismus-Minister eine Art Kurtaxe einführen, um das Einkommen besser zu verteilen. Pro Tag sollte den Gästen zehn US-Dollar berechnet werden. Nachdem Boykottaufrufe von Seiten der Ai-Betreiber ins Gespräch gebracht wurden, blieb es vorerst bei dem Vorschlag.
"All-inclusive-Resorts sind Fremdkörper für privilegierte Fremde, die fremd bleiben, und die inmitten der Armut Maßlosigkeit zelebrieren", behaupten Tourismuskritiker. "Aber die abgeschotteten Paradiese schonen die natürlichen", kontern viele Touristiker, "und sie schützen die Bevölkerung vor den Touristen." "Die Erlebniskonsumenten von heute wollen perfekte Illusionen. Und sie sind auch mit Scheinwelten zufrieden, wenn diese die Wirklichkeit übertreffen", sagt der deutsche Freizeitforscher Horst Opaschowski.
Dieser Trend bleibt nicht ohne Folgen. So wehrten sich Umweltschützer 1999 in Thailand (erfolglos) gegen die Hollywood-gerechte Veränderung eines Strandes auf der Insel Phi Phi Leh, wo die 20th Century Fox den Traveller-Roman "Der Strand" von Alex Garland verfilmte. Der Produzent hatte befunden, dass die Romanvorlage exotischer als der Drehort war. Deshalb glich er den Strand, der unter den Schutz eines Nationalparks fällt, durch das Ausreißen von Vegetation und dem "Einbau" von zusätzlichen, ausgewachsenen Palmen dem Bestseller an.
Und nach einem All-inclusive-Aufenthalt in Sri Lanka forderte 1998 ein deutsches Ehepaar aus dem Tourismusland Bayern über die Hälfte des Reisepreises vom Veranstalter zurück. Der Grund: Das Hotel habe sich unmittelbar neben einem kleinen Dorf mit 150 Einwohnern befunden. Das Ehepaar fühlte sich durch das Dorfleben gestört und hatte sich über die "natürlichen Emissionen" der einheimischen Bevölkerung beschwert. Neben weiteren Mängeln klagten sie auch über eine Bahnlinie in der Nähe und über morsche Äste in Palmen. Das Ehepaar hatte für den zweiwöchigen Aufenthalt inklusive Flug pro Person nur 1600,- DM bezahlt. Der aufsehenerregende Fall wurde vom Amtsrichter in Nürnberg mit Nachdruck abgewiesen: "Lebensäußerungen von Einheimischen sind kein Reisemangel!"
Ein aufgebrachter Journalist schlug im Berliner "Tagesspiegel" vor, im bayerischen Ruhpolding (6500 Einwohner) ebenfalls eine Traumwelt zu errichten, zum Beispiel eine All-inclusive-Anlage für Asiaten und Schwarzafrikaner. Das könne vielleicht zu einem besseren Verständnis beitragen.
(Quelle: Messe Berlin, ITB 1999)
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