Liebe Merlina,
es ist auch langweilig, zu schreiben, daß es langweilig ist.
Wenn man in ein Forum geht, liest man dort immer irgendwie etwas, was Menschen von sich geben, denen gerade langweilig ist: einer der Gründe, warum ich, wenn ich tatsächlich eine sehr wichtige Information zu Marokko suche, sie nicht ausgerechnet in einem Forum wie diesem (andere sind nicht besser) suche. Wofür ein Forum wie dieses jedoch gut ist, ist die Beobachtung der eigenene Landsleute in einem solchen Kontext und die wirklich erhellenden Einblicke, die sich aus streitbaren Diskussionen ergeben. Der Thread "Deutsche in Marokko" ist in dieser Hinsicht nicht vollständig, kann es aber jederzeit noch werden: bemerkenswert ist doch, was ein solcher Thread (und andere ähnlich ungemütliche, bei denen sich auffällig Viele auffällig zurückgehalten haben: auch Du) immerhin erreicht hat, daß Wanderer, Kladden-Klaus, Borgwart und andere (fürs erste) Kreide gefressen zu haben scheinen, ja sich manche sogar dazu verstiegen haben und ihre Alt-68er-Joints aus den Latzhosen gekramt haben, um sie als Friedenspfeife über den Tisch zu reichen.
Das ist doch schonmal ein Anfang: zuerst ändert man sein Verhalten und dann glaubt man, daß man schon immer so war - das ist der Grundgedanke der Verhaltenstherapie, die sich hier dann eben manchmal in einer etwas langweiligeren Form zeigt.
Lieber Afulki,
das Deutsch-Sein hat zwei Seiten, wie auch das Marokkaner-Sein. Ich für meinen Teil wurde und werde auf der ganzen Welt immer sofort und eindeutig als Deutsche identifiziert: dies jedoch - ganz im Gegenteil zu meinem eigenen Land, das meinem ganz speziellen Deutschsein immer mit Mißtrauen gegenüberstand - in einem sehr positiven Sinn. Den Ausruf "mein Gott, wie deutsch sie ist!" habe ich oft gehört: auch und gerade im Berufsleben, auch und gerade bei Personen, Nationen und Volksgruppen (Juden, Franzosen, Engländern), die mit meiner Nation nicht nur nichts am Hut haben, sondern ein ausdrücklich gestörtes Verhältnis aufgrund der Geschichte zu Deutschen haben wollten. Es liegt also an einem selbst: man muß sich weder verleugnen, noch seine Identität aufgeben und schon gar nicht, so tun als ob man zu den anderen dazugehören würde - man ist und bleibt Deutsche. Deutsche in Marokko, aber auch Deutsche in Jerusalem, in Belgrad und anderswo.
Interessant ist, daß ich mit denselben Eigenschaften, die im Ausland als "positiv deutsch" identifiziert werden, in Deutschland nicht denselben Bonus habe: dafür tanze ich zu sehr aus der Reihe, füge ich mich zu wenig ein, ist meine Familie zu sehr Bohemien, Künstler, Erfinder, Grenzübertreter und habe ich auch die Rolle, die eine Frau in unserer Gesellschaft haben kann, haben darf, zu sehr strapaziert: womöglich einer der Gründe, warum auch junge Frauen in meiner Familie sich Partner aus anderen Kulturen und Kontinenten sich gesucht haben (oder von diesen gefunden wurden): Algerien, Irak, Marokko, Karibik, Philippinen, Ecuador - sie waren schliesslich alle zum Studiun und/oder in Projekten in diesen Ländern unterwegs und sagen ein-ums-andere-Mal, daß sie sich nie vorstellen könnten mit einem "langweiligen" Deutschen verheiratet zu sein...
Dasselbe Phänomen jedoch auch bei den "Marokkanern in Deutschland": wenn mein Mann hier in Deutschland alte Kumpel wiedertreffen will (2-4 Wochen sind wir in Deutschland, 2-3 Monate in Frankreich, den Rest in Marokko), dann ist er oft entsetzt, was Deutschland aus ihnen gemacht hat oder was Deutschland an und in ihnen zum Vorschein gebracht hat. Nicht selten sind es abgewichste Schlitzohren, denen nichts heilig ist und die meinen Mann für einen Volldeppen halten, weil er nicht alles nimmt, was er kriegen kann (vermeintlich kriegen könnte) und nicht selten sehe ich in ihren Augen diesen erkennenden Blick, der ihnen sofort klar macht, daß sie in mir einen erklärten Feind haben bei ihrem Bemühen aus ihm einen Komplizen zu machen für ihre angeblich realistische Weltsicht (wie man Deutschland zu verstehen hat, vor allem seine Sozialsysteme und dummen Weiber), die nichts anderes ist als tiefe Trauer über eine verlorene Unschuld. Mein Mann ist zu höflich, um sich anmerken zu lassen, was er zurück in Marokko überall verkündet: "daß in Deutschland alle Marokkaner verrückt würden (müssen)".
Kritischer NomadismusWahrscheinlich bringt das Ausland (die Emigration, die freiwillige wie unfreiwillige Diaspora) ebenso wie das Alter das Beste und das Schlechteste in jedem Menschen zum Vorschein - vor allem aber reduziert es ihn auf seine Grundeigenschaften (Gene, Charakter, Herkommen, Erziehunbg), bzw. reduziert die Möglichkeiten sie zu unterdrücken, zu leugnen oder zu kaschieren. Ich gehe noch weiter und behaupte, daß sich Männer besonders schwer tun mit dem Leben in der nichteigenen Kultur: es sei denn man ist ein überzeugter Vertreter eines Lebens im Dazwischen - des Kritischer Nomadismus von Said:
http://www.alsharq.de/2010/11/nomadisches-denken-edward-saids-werk.html - alle Männer außer Najib, selbstverständlich.
Josi