Michel Houellebecq et la question de l'autre
Eine Eroberungsreise in Zeiten des Neokolonialismus
von Stephan Leopold

Die Romane Michel Houellebecqs sind monothematisch. Ihre Protagonisten sind depressive Männer um die vierzig, denen auch nach Dienstschluß wenig Erfreuliches widerfährt. In ihrer spätkapitalistischen Einheitskultur gibt es nur eine Glücksverheißung: die Sexualität. Der Akzent liegt hier auf Verheißung, denn die Sexualität ist wie alles andere auch den Gesetzen des Marktes unterworfen – d.h. wer über Macht, Geld oder körperliche Attraktivität verfügt, hat Sex, wer nicht, nicht (Houellebecq 1999: 93, 100f).

In einer affektlosen Konsumwelt – so scheint Houellebecqs durchgängige Arbeitsthese zu lauten – intensiviert sich die Mangelerfahrung des Subjekts radikal, und die obsessive Sexualitiätsfixiertheit seiner Figuren wird damit lesbar als der verzweifelte Versuch authentischer Glückserfahrung. Affektisch auf eine Schwundstufe zurückgestutzt ist der besserverdienende europäische Single kaum noch paarungsfähig – ihm ist also die einzig verbliebene Ganzheitserfahrung verstellt. Der Europäer, so das Fazit von Michel Houellebecqs, muß sein Glück anderswo suchen (ebd.: 234).

Hier kommt nun die Reiseisotopie ins Spiel, die sich von Anfang an durch den Text zieht: Die Entwicklung eines globalistischen Ferienclubkonzepts, das die sexuellen Bedürfnisse des okzidentalen Mangelwesen auf die vitalistischen Ressourcen der Neuen Welt und Ostasiens hin perspektiviert. Das Schlagwort hierzu ist der Begriff der métissage (ebd.: 227) – eine harmonische Rassenmischung also. Das klingt nach fröhlichem Multikulturalimsus, bei dem die bedrohliche postkoloniale Gewalt im nationalen Innenraum kurzerhand in hedonistischen Internationalismus umgeschmiedet wird. Aber so einfach geht es nicht.

Bei Houllebecq verschiebt sich die Dichotomie ein wenig:

Der Indigene zeichnet sich durch eine gänzliche Abwesenheit von Kapital aus und verfügt gerade deswegen über unkorrumpierte Körperlichkeit. Der Umkehrschluß lautet: sein Körper ist käuflich. Wie dies näherhin aussieht, illustriert Houellebecq in einer Episode, die unter ihrer sexual explicitness eine sehr genaue Vorstellung von der Position und Funktion des indigenen Anderen verbirgt. In einem Ferienklub auf Kuba sehen Michel und Valérie vor ihrem Bungalow ein Zimmermädchen, das ihren Vorstellungen entspricht. Sie holen die etwa Zwanzigjährige zu sich ins Innere des Hauses: Margarita ist das topische Stubenmädchen des erotischen Imaginären kolonialer Prägart. Sie ist nichts als appetitliches, willfähriges Fleisch. Als Blume und exotische Frucht wird Margarita in das Haus eingelassen und nachher für ihre Dienste entlohnt. Sie ist der neokoloniale Gegenentwurf zu dem rohen postkolonialen Anderen, das das nationale Haus Frankreich verwüstet. Was sie über ihre Lage denkt, erfährt der Leser nicht.

Das neue Clubkonzept soll Eldorador Aphrodite (ebd.: 240) heißen. Darin verbinden sich Eroberungsgestus – die Suche nach dem Eldorado – und vorchristliches, vom Gedanken der Sünde befreites Hetärentum. Die Idee ist denkbar einfach. Man nehme einen Club Méditérrané und ersetze die Sportanimateure durch männliche und weibliche Prostituierte.

Das Konzept läßt sich indes sehr gut an. Die TUI nimmt es in ihre Reisekataloge auf, und schon bald eröffnet der erste Club in Thailand. Doch dann geschieht das, worauf der Text von der ersten Seite an hinarbeitet: Islamistische Terroristen stürmen den Club und richten ein Massaker an, bei dem es viele Tote gibt. Valérie stirbt. Michel wird verletzt, bleibt jedoch am Leben...

Die gegen Ende des Textes immer häufiger ausbrechenden Haßtiraden gegen jede Art islamischer Kultur ließen sich somit dieser Perspektivik zuschlagen. Hinter dem Erzähler Michel steht aber der Autor Houellebecq, der die Ereignisse von der Ermordung des Vaters bis zum finalen Massaker in eine Dialektik von postkolonialer Gewalt und neokolonialem Sextourismus eingewoben hat.

"Seht her", sagt der Text, "die Einheimischen machen ja alles freiwillig und profitieren auch noch davon."

Und hier wird man dann auch der in ihrer Fülle nachgerade unerträglichen Rassenstereotype eingedenk werden müssen, aus denen sich der Roman zusammensetzt. Moslems ermorden die Männer, die mit ihren Schwestern schlafen, Schwarze in Gestalt des 'geilen Negers' vergewaltigen die unbescholte Französin, und bei den Rassenunruhen kommen Lehrer – die Träger der Kultur – und Behinderte – die Schwächsten der Gesellschaft – zu Schaden. Die 'positiven' Stereotype stehen dem in nichts nach: Oôn, die erste Thailänderin, die beschrieben wird, ist eine Vaginalgymnastin, die Kubanerin Margarita eine offene Frucht – die Reihe ließe sich verlängern.


All diesen Frauen eignet eine flagrante Absenz an Persönlichkeit jenseits willfähriger Körperlichkeit.


Dies ist umso bedeutsamer, als das Kolonialprojekt ja stets mit der moralischen Verpflichtung begründet wird, den Anderen auf die eigene Kulturstufe zu ziehen, ihm also zu helfen, seine Andersheit und Wildheit zu verlieren. Wird der Andere zum Selbst, dann hat freilich das Kolonialprojekt seine Legitimation verloren.

Diese Strategie findet sich bei Houellebecq wieder. Der böse Moslem verhilft dem stagnierten Europa insofern zu neuer Einheit, als es sich jetzt als Kultur gegenüber fundamentalistischer Unkultur konsolidieren kann.

Die Aggression – Michel sagt an einer Stelle, er sei froh um jedes von Israelis getötete palästinensische Kind (Houellebecq 2002: 338) – verbirgt diesen Mangel an Legitimation: Wer soviel Aggression auf sich zieht, muß sie auch verdient haben. Mit den 'positiven' Stereotypen verhält es sich analog. Sie maskieren das sexuelle wie ökonomische Interesse der neokolonialen Aneignung. Auch hier maskiert das Stereotyp seinen Mangel an Legitimation, denn wie man weiß, wollen nicht alle Frauen der Dritten Welt gegen Entgelt mit Europäern Geschlechtsverkehr ausüben. Statt Aggression entsteht dann freilich eine affektische Bindung: wer wegen seiner reinen Körperlichkeit begehrt wird, kann auch nur Körper sein.

Houellebecqs Romanwelt ist von Anfang vom starken Anderen bedroht. Was er sucht, ist eine unverbrüchliche Einheit des eurozentristischen Selbst, doch diese Einheit ist für immer verloren. Diese Tatsache hat sicherlich zum internationalen Erfolg des Autors beigetragen, denn dahinter verbirgt sich auch ein gehöriges Maß an Postmodernekritik: statt unaufhörlicher différance die Rückkehr zur Monade. Daß diese neokonservative Rückkehr einhergeht mit ostentativer Verletzung jedweder political correctness tut sicher ein übriges....

http://web.fu-berlin.de/phin/phin31/p31t2.htm