Also, ich war grade in Sidi Ifni und habe nichts bemerkt:

nichts bemerkt, heißt ja nun nicht, dumm, blind und ahnungslos zu sein, sondern der Schwager, der Englisch-Lehrer bei der Kommune ist, hat sein Haus direkt über dem Hafen und hätte praktisch mitten auf die Toten blicken müssen, wenn es sie in dieser Form gegeben hätte (8 Tote und ziemlich schlechtes Deutsch im Beitrag von Ulrike irgendwer oben), von seiner Frau, die Französisch-Lehrerin an derselben Schule ist, ganz zu schweigen: stolz haben sie mir ihre Fraueninitiative gezeigt, davon berichtet, daß der König da gewesen sei und wie sich vieles verbessert hätte für Sidi Ifni: wie überhaupt sich der König überall blicken lässt - wenn Lastwagen tagelang hupen in Tanger, weil sie nicht nach Spanien kommen, ist er plötzlich da in seinem Porsche und schaut sich in seiner "Firma" um und dann wird Abhilfe geschaffen, mehr und besser als sich die Marokkaner das bisher haben träumen lassen.


Das schlägt sich in der Stimmung im Land wieder:

wo immer man unter Marokkanern ist, ob alt ob jung ob Frau ob Mann ob Heimkehrer, Auswanderer, Dagebliebener - die Diagnose ist immer positiv und die wirklich krassen Demonstrationen (in Sidi Ifni), die liegen nun schon wieder zweieinhalb Jahre zurück - da war die Hälfte der Stadt auch noch in einer Mischung aus Staub und Lethargie versunken und kaum jemand hätte einen Pfifferling auf sie gegeben, allerorten hörte man das hohe Lied auf die stiften gegangenen Spanier, die alles besser gemacht hätten, als die eigenen Leute.

Auch diese Haltung (sich hervorzutun durch defätistisches Reden über das eigene Land) ist weitgehend verschwunden, zumindest hat sich der Beifall heftig reduziert, den man früher allenthalben ernten konnte, wenn man nur genügend darauf herumgeritten ist, daß und warum Marokko es niemals zu etwas bringen könnte:

auch im kleinen beobachte ich diese Veränderung. Waren früher bei Präsentationen die Larmoyanten Miesmacher in der Überzahlt, so heben sie aus alter Gewohnheit auch heute wieder an ihre Bedenken vorzutragen, stellen dann fest, daß sie in einen resonanzlosen Raum hinein sich verausgabt haben, drehen sich dann um und versuchen eilfertig den Anschluß an die nicht zu verlieren, die jetzt das Heft in der Hand haben. Das alles kann sich schnell wieder ändern: ein Bürgerkrieg, eine unachtsame westliche Einmischung, zuviel Geld von hier oder von da, allen andern voran ein paar Entwicklungshelfer, die sich ihre Pfründe nicht nehmen lassen wollen und der eine oder andere Sarkozy könnten ziemlich viel Schaden anrichten: aber - alhamdulilah - es ist keiner in Sicht.

Der Westen ist so mit sich selbst beschäftigt und so uneins über das, was das Leben lebenswert machen soll und wie es zu erreichen wäre, daß man voll und ganz auf den König setzen kann, der Marokko davor beschützen wird, sich auf Abenteuer einzulassen, die ihm nicht seit mindestens 1400 Jahren vertraut und für die er nicht seit dergleichen Zeitspanne ein Rezept hätte. Daß es hier jetzt niemandem gelingt, außer einem stammelnden Beitrag irgendetwas aus dem Internet zu klauben, das die Empörung, die hier sonnenscheinmässig rüberkommt, rechtfertigen könnte, bedeutet, daß im Hintergrund zwar die Tasten glühen, aber nicht hervorbringen, weil googeln nunmal nicht alles ist:

man muß auch manchmal vor Ort sein und sich vor Ort informieren. Dann ist man auch wieder entspannter und kann sich mehr dem widmen, was an Marokko tatsächlich zu verbessern wäre: leider mit keiner der Fähigkeiten, die hier wie sauer Bier ständig angeboten werden ohne daß jemand nach ihnen gefragt hätte oder sie gar für richtig, notwendig oder erstrebenswert halten würde.

Nicht mal geschenkt.

Grüsse

Josi