Hallo Connie,

ich finde Dein Forum Beitrag sehr interessant und möchte es gerne mit meinen Erfahrungen aus dieser Thematik eröffnen in der Hoffnung noch viele weitere Beiträge von anderen "Betroffenen" lesen zu können.

Ich bin jetzt 41 Jahre alt, in Casablanca geboren von einer deutschen Mutter aus West-Berlin und einem marokkanischen Ingenieur aus Rabat.
Ich habe meine Kindheit und Jugend in Casablanca gelebt und verbrachte meine Sommerferien in Deustchland bei der Familie meiner Mutter.
Ich ging zur französischen Schule und Gymnasium. Mit 18 entschied ich mich für ein Studium in Berlin.
Die erste Sprache die ich lernte war damals deutsch. Später als ich dann zur französischen Schule (Mission francaise) mußte, haben meine Eltern dann nur noch französisch mit mir gesprochen. Auf der Straße und bei der Familie meines Vaters in Salé lernte ich arabisch, dann später auch in der Schule zusammen mit Englisch.
Heutzutage arbeite ich als Beamter und habe 3 Kinder. Mit den spreche ich ab und zu rudimentäres französisch und der jüngste (11) interessiert sich sogar für die arabische Schrift, die ich ihm beibringe.
Begünstigt durch meinen Job bin ich 3 x im Jahr in Marokko (alleine od. mit Familie) für max. 1 Woche und besuche dort mein Vater. Meine Mutter lebt seit Ihrem 70. Lebensjahr wieder in Deutschland (bessere ärztliche Versorgung) hat aber 40 (!) Jahre in Marokko gelebt und pendelt ebenfalls mehrmals im Jahr zwischen Deutschland und Marokko.
Ich empfinde mich als Produkt beider Kulturen. Das hat sowohl vorteile als auch Nachteile. Durch die mütterliche Erziehung sind mir die Deutschen Sitten und Gebräuche sehr verinnerlicht, ich bin ein typischer deutscher Beamter, sehr förmlich und manchmal starr. Ich habe eine Deutsche Christin geheiratet und mich zu diesem Anlass taufen lassen (Der Muesin der die Muslims ruft trifft trotzdem mein Herz und ich kann die Schahada immer noch auswendig).
So bin ich ein integrierter "Ausländer" in deutschland, und in Marokko falle ich nicht besonders auf durch mein Aussehen und nur wenn ich den Mund aufmache hört man den Tourist (also auch dort Ausländer).
Ich empfinde trotzdem viel Glück ein Ort zu haben (Marokko) wo ich mich zurückziehen kann und, die Sonne genießen kann(auch im Winter) und den Charakter der Leute (der mich öfters zum schmunzeln bringt) als unbeteiligter Beobachter betrachten kann. In Marokko lebe ich bei meinem über 70-Jahre alten Vater eher zurückgezogen und habe auch keine Freunde mehr dort. Seit dem die Parabol-Antennen Einzug genommen haben ist das Leben dort auch nicht mehr für mich so anders geworden wie in Deutschland. Meine Kinder können den Sandmännchen auch in Marokko verfolgen, ich kann am Sonntag Abend auch ein Tatort mit Bierchen in Casablanca genießen, ein neues Auto von Avis gemietet steht vor der Tür. In Deutschland nicht anders, Armut ist auch mittlerweile hier spürbar, Radio Medi1 sendet über internet, Kabel Digital bringt 5 verschiedene französiche Sender.
Was bleibt ist dieser freie Kopf und diese Sorglosigkeit die ich immer empfinde wenn ich in Marokko bin.

Als Kind habe ich es meinen Eltern eher vorgeworfen eine Mischehe eingegangen zu sein. Bis ich selbst Vater wurde fühlte ich mich in beiden Welten nicht als 100%-iger akzeptiert. Nun habe ich mich damit abgefunden, das ist genau das was MICH ausmacht, das ist was z.B. auch die Frauen auch an mich interessant fanden! Genau das bin ich, ein Mann zwischen zwei Welten, der beide gut versteht und sich in beiden zuhause fühlt.

Ich wünsche mir für die nächste Zeit weiterhin viele Reisen nach Marokko aber denke nie an einem kompletten Umzug/Rückzug dorthin. Da würde mir wieder das fehlen was mir als Kind bzw. Jugendlichen auffiel und genervt hatte: eine homogene Bevölkerungsgruppe ohne Teilung der Gesellschaft in finanziel unterschiedlichen Gruppen.


Lieben Gruß von Karim


Wende dein Gesicht der Sonne zu - dann fallen die Schatten hinter dich