Lieber Drake,

ich habe den ganzen thread erst jetzt gelesen und finde, daß es ein guter und schöner thread geworden ist, auch wenn ich Deine Position nicht immer ganz verstehe (wie die von Zitoun auch nicht immer, was meiner Sympathie keinen Abbruch tut). Und was die Fragen angeht, die ich nicht wirklich beantwortet habe, so kann ich dazu nur sagen: frage nach und ich antworte. Wenn Du mal nachliest hier im Forum, dann bin ich auch schon seit vier Jahren dabei und von diesen vier Jahren waren die meisten ultraprivat und ultraintim, sozusagen alles auf den Tisch, was das Spiel so hergibt.

Aber alles hat seine Zeit:

meine privaten Beobachtungen sind genausogut wie irgendeine andere Beobachtung von irgendeinem anderen Schreiber, Schwätzer, Gelehrten oder Philosophen, man kann genausogut auch seiner eigenen Wahrnehmung trauen und seine eigenen Antworten finden, ganz ohne Wegweiser von Autoritäten. Und wenn ich schlüssige Antworten hätte auf alle diese Beobachtungen, dann hätte ich sie gleich mitgeliefert: daß meine eigene Biografie vollkommen anders ist, aber in ihr etwas vorhanden ist, das in Schwingung gerät, wenn es auf bestimmte Auslöser trifft, dem kann und will ich keine Gewalt antun, indem ich sage "was nicht sein darf, was nicht sein kann". Das haben zu allen Zeiten alle Menschen immer wieder getan und später hat man sich dann gefragt, wie es möglich sein konnte, daß man so etwas Läppisches, allen ganz Offensichtliches verdrängt und übersehen hat und nicht wahrhaben wollte. Sei sicher auch unser Jahrhundert hat diese blinden Stellen: um zum Feminismus und meinem Hintergrund zurückzukommen, so bin ich zum Beispiel im Besitz von Protokollen aus dem Unikindergarten in München von 1974 - 1978 zu folgenden Ereignissen:

Elternabend mit Bezugspersonen
Bezugspersonenkollektiv
Frauengruppenplenum
Kinderparlament


Neulich hat jemand diese Protokolle gelesen, der damals "Bezugsperson" war und hat geschrien vor Lachen, sich auf dem Boden gewälzt und immer wieder keuchend gesagt "das ist nicht wahr, das ist nicht wirklich wahr" und hat mich beschworen, diese unersetzlichen Dokumente der Zeitgeschichte zu hüten wie meinen Augapfel und sie (sowas kommt dann immer) zu einem Buch zu verarbeiten.

Da stand zum Beispiel drin, daß eine unserer besten Feministinnen aus bestem Hause, mit der allerbesten Erziehung und dem allerdicksten Bankkonto (und einem Namen wie Donnerhall: er findet sich in jedem Brockhaus, jedem Kunst- und Kulturführer vom Mittelalter bis heute) sich gerade diesen Kindergarten ausgesucht hat (Stichwort: antiautoritär), damit die Kinder sich mit Essen beschmieren und "auf den Tisch scheissen" können, weil das in ihrem großbürgerlichen Elternhaus so tabu war, daß sie selbst zu Hause extrem zwanghaft ist und ihren Kindern diesen Freiraum nur in dieser Kita bieten kann. Zu Hause macht sie schon ein Krümel auf dem Teppich wahnsinnig und bei Geschmiere muß sie sich übergeben.

Womit wir - nachdem wir alle kräftig gelacht haben und bestimmt auch der eine oder andere mit seinen anti-anti-autoritären Schuldzuweisungen rausgerückt ist - bei dem eigentlichen Problem dieser ganzen Feminismus und Marokko und Islam-Debatte angekommen sind: sowohl die Demokratie in Deutschland als auch der Feminismus sind nicht aus uns selbst "erarbeitet", wie Dolphin, der Delphin, das so schön schwungvoll hingeschrieben hat, sondern sie sind nach einer kompletten und allesumfassenden Niederlage, einer totalen Kapitulation und als Betondeckel auf einen Sarg geschlagen worden, der da heißt: Bund Deutscher Mädel, Mutterkreuz und Heldenmutter - also nicht nur kein Feminismus, sondern die Abschaffung der Welt als Ganzes.

Aus diesen Wurzeln schlägt unser Feminismus seine wunderbaren Blüten und da bin ich nur bei der allerersten Stufe meiner höchstpersönlichen Beobachtungen angelangt, ich könnte sie leicht ergänzen aus sämtlichen Lebensbereichen, die mir in einem mäandernden Lebenslauf begegnet sind und immer habe ich die Augen offengehalten und manches Protokoll ist ungeschrieben geblieben dabei.

Übertragen lässt sich nichts davon auf Marokko, nichtmal im Ansatz und ganz zum Schluß würde ich gerne eine Frage zurückstellen:

angenommen, es würde jemand die Bedingung stellen können (der liebe Gott oder der Teufel), daß man diesen ganzen deutschen Fortschritt, die Demokratie, den Wohlstand und von mir aus auch den Feminismus nur damit erkaufen könnte, daß man zwei Weltkriege mit 70 bis 100 Millionen Toten in Kauf nimmt und alle in Deutschland dürften abstimmen - was glaubst Du, würden sie tun, wem würden sie ihre Stimme geben?

Und wie würden sie in Marokko abstimmen, wenn ihnen diesselbe Frage gestellt würde?

Josi

Ich wollte noch was sagen zu den Hausaufgaben, die man machen solle, es ist mir aber entfallen



Last edited by Josi; 18/01/08 03:31 AM. Reason: Hausaufgaben haben mich schon immer gestört