Hallo Karim,

Was Euer Kind in Marokko angeht, hattest Du vorher geschrieben, daß es sich nicht um ein verlassenes/ausgesetztes Kind handelt, sondern um ein Familienmitglied aus der Verwandtschaft Deiner Frau.

Das passiert in islamischen Ländern häufiger, daß man eine Kafala/das Sorgerecht für ein Kind aus der Verwandtschaft bekommt, auch aus finanziellen Gründen, wenn z. B. die Familie eines Familienmitglieds "zu groß" geworden ist. (Frage am Rande: Wäre es dann nicht menschlicher + hilfreicher, der Familie Geld zukommen zu lassen, statt ihnen ein Kind abzunehmen ?)

Den Status "Kafala = islamische Pflegschaft" gibt es in fast allen islamischen Ländern, auch in Algerien, Tunesien etc. Und die Kafala ist in diesen Ländern relativ einfach zu bekommen, die Voraussetzungen sind nicht schwer zu erfüllen und in manchen Gegenden soll auch immer noch Bakschisch hilfreich sein - habe ich über Algerien gehört.

Kann das der Grund sein, warum die westlichen Staaten die Kafala nicht akzeptieren ? (Und daß es in Frankreich nun möglich sein sollte, wäre brandneu !) Vielleicht hat man in Europa Bedenken, daß Maghrebiner, die in Europa leben, per Kafala die Hälfte ihrer Verwandtschaft nachholen ?

Ich frage nach den Gründen, weil durch die Analyse der Ursachen könnte man versuchen, in die Zukunft hinein zu argumentieren und hier bestehende Ängste abzubauen.

Du schreibst, Du willst das Kind Deiner Frau, für das sie eine Kafala hat, nur hierherholen, aber nicht adoptieren. Ein Szenario: Würden die Behörden in Deutschland denn dann zustimmen, wenn Du für eine Adoption bereit wärst ?

Ich springe jetzt mal auf die Seite der deutschen Jugendämter und frage... Und wenn Du nicht adoptierst und angenommen, die Kafala Deiner Frau endet (sie kann ja vom marokk. Richter bei Verletzung der Fürsorgepflicht zurückgenommen werden oder Deine Frau stirbt ) - was ist dann mit dem Kind ? Du persönlich bist nicht verantwortlich. Verantwortlich kann man auch nicht andere Verwandte machen, denn mit dem Tod des Kafala-Inhabers oder der Zurücknahme der Kafala erlischt die Verantwortung.

Wer macht dann was ? Kommt das Kind, das ja mittlerweile dann ca. 10 Jahre alt ist, in ein deutsches Pflegeheim oder fliegt man es nach Marokko ? Wer übernimmt die Kosten ? (Erben kann ein Kafala-Kind ja auch nicht, die Verwandtschaft ist nicht verantwortlich.)

Ich glaube, die deutschen Behörden vermissen bei der Kafala die Verpflichtung und Verantwortung, die in der Kafala nur begrenzt abgedeckt werden. In Frankreich wird deshalb bei der Kafala auch über "schwache Adoption" gesprochen.

Bei einem adoptierten Kind, da ist ganz klar, wer das Kind in Notlagen auffängt, denn es ist - rechtlich gesehen - einem leiblichen Kind gleichgestellt.

Übrigens dazu: Und das finde ich gut. Denn früher waren adoptierte Kinder in Deutschland rechtlich den leiblichen Kindern nicht gleichgestellt. Die Folge war, daß sich ein adoptiertes Kind immer als Mensch 2. Klasse fühlen mußte.

Erst vor wenigen Jahren trat das neue Gesetz in Kraft, welches bewirkte, daß adoptierte Kinder den eigenen Kindern nun rechtlich (merke: nicht biologisch) gleichgestellt sind. Damit einher ging ein Sinneswandel: Heute gibt es fast nur offene Adoptionen, das bedeutet, daß das Kind weiß, daß es adoptiert wird und auch, wer die leiblichen Eltern sind. Adoptionen, bei denen das Kind nicht erfährt, daß seine Eltern nicht die leiblichen Eltern sind, gibt es heutzutage so gut wie gar nicht mehr. Und das finde ich gut.

Kafala und Adoption haben vollkommen unterschiedliche Hintergründe und Traditionen.

Aber solange Ressentiments von den Muslimen gegenüber Adoptionen und Ressentiments von Europäern gegenüber der Kafala nicht ausdiskutiert werden können und EINE Lösung (frei von Religion und Dogmen) gefunden werden kann, kann sich immer eine Seite zurückziehen und der anderen Seite vorwerfen:

"Euch geht es wohl überhaupt nicht um das Kindeswohl !!!"

Und:

"Amtsschimmel seid Ihr in Deutschland ! " -

oder

"religiöse Dogmatiker seid Ihr in Marokko".

Nur, kommt man so weiter ?

Ich mache ein Riesen-Fragezeichen !

Viele Grüße, Ulla


Viele Grüße, Ulla

"Ein Kind ist kein Gefäß, das gefüllt, sondern ein Feuer, das entzündet werden will" Francois Rabelais