Ich würde mich fragen: Wie sieht das Mädchen dies? Ich finde es eine reichlich eurozentristische Sichtweise, das Mädel zu bedauern, weil sie von einer Abhängigkeit in die andere gerät. Ich meine, wenn ich mir die Frauen auf dem Land so ansehe, dann habe ich kaum das Gefühl, dass sie sich wirklich alle unterdrückt fühlen, unfrei, abhängig. Ganz im Gegenteil. Ich habe knapp zwei Jahre auf dem Land in einer Kasbah gelebt. Und was war? Ich habe die "armen" Frauen bedauert, die verheiratet worden waren, mit 16 und schon mit 20 zwei Kinder hatten. Sie wuschen und kochten den ganzen Tag. Wie gut fühlte ich mich da mit meinem Uniabschluss und meiner freien Entscheidung, unverheiratet zu sein und arbeiten zu können, was ich mag. Aber irgendwann war mein Darija gut genug, dass ich die Frauen verstehen konnte. Und irgendwann kannten wir uns auch besser, dass wir offen miteinander sprechen konnten. Und was war? Diese Frauen hatten ganz schreckliches Mitleid mit mir. "Was, du bist schon 29 und immer noch alleine? So hässlich bist du doch gar nicht!" Und: "Was, du musst Männerarbeit machen?? - Musst alleine einkaufen gehen, die Sachen alleine tragen, Geld verdienen?" Und: "Du bist so arm und alleine, komm', unsere Kinder geben dir auch mal einen Kuss!" Und von nun an wurde ich von Familie zu Familie gereicht, die Kinder wurden abkommandiert, mich täglich einmal zu küssen, ich wurde ich die Küche geholt, damit ich mit den Frauen backen und kochen kann... und was habe ich gelernt: Meine Sicht war vollkommen eurozentristisch. Sie war geprägt durch meine Erziehung, mein Erleben, meine Zivilisation. Diese Frauen, warum sollten sie etwas vermissen? Sie waren glücklich, waren geborgen, hatten ihren ganz festen Platz in der Welt und ihre Kinder. Mein Leben schien ihnen armselig und so betrachtet...
Schlimm finde ich, wenn ein Mädel in Berührung mit europäischen Idealen kommt und diese attraktiv und gut findet und dann gegen ihren Willen verheiratet wird (wie es vielen Araberinnen und Türkinnen in Deutschland geht). Schlimm finde ich es natürlich auch, wenn die Frauen in der Familie keinen Platz finden oder zur Dienstmagd degradiert werden, doch das ist ja nicht die Regel.

Nun mögen mir meine Freundinnen und andere Frauen an die Kehle gehen. Aber wirklich: Ich habe diese Erfahrung immer wieder gemacht. Auch in Ägypten, wo ich jetzt immer wieder bei meinen Schwägerinnen bin. Diese bedauern mich, dass ich neben meinem Sohn noch arbeiten muss. Und dass ich keine Grossfamilie habe, die mir helfen kann, und mich ausserdem beim Brotbacken immer verbrenne ;\) . Und nur eine kleine Wohnung habe und kein Haus und...
Keine meine Schwägerinnen hat aus Liebe geheiratet. Sie kannten ihre Männer auch nicht wirklich gut. Aber jede ist glücklich. Man sieht sie händchenhaltend mit ihren Männern - im Hause ihrer Schwiegereltern, wo sie leben. Nein, wirklich, bedauernswert sind diese Frauen nicht. Und mal davon abgesehen: Die Scheidungsraten bei sogenannten Liebesheiraten sind gewaltig hoch. Wer die Ehe ein wenig zweckmässig sieht und nicht immer alles hochromantisiert, hat wahrscheinlich mehr davon.

In diesem Sinne ganz herzliche unromantische Grüsse von einer fürchterlich bedauernswerten, arbeitenden Frau!

Muriel