Freitag:
Obwohl dieser Tag wieder mit einem ausgiebigen Mittagsfrühstück und in bester Laune seinen Anfang nimmt, soll er zu einem der traurigsten in meinem Leben werden. Wir fahren mit dem Auto entlang der Küste Richtung Norden, weil uns dort Abdi aus dem Hafen in Essouira einen sehr schönen Strand empfohlen hat. Ca. 15 km hinter Mulay finden wir tatsächlich eine Abzweigung hinunter ans Meer, die sich mit unserem Uno gerade noch bewältigen läßt. Ein paar Mal müssen wir aussteigen damit wir mit dem Auto nicht aufsetzen und auch Schieben ist angesagt, nach dem wir ein paar Mal im Sand stecken bleiben. Die Mühe scheint sich aber zu lohnen, denn nach ca. 20 Minuten erreichen wir einen Strand, wie ihn sich die Werbung nicht hätten besser ausdenken können: ein riesiger Sandstrand mündet in einer kleinen Bucht mit vorgelagerten Felsen, zur unserer Rechten ein paar Häuser auf einem Felsplateau, danach beginnt eine felsige Küstenlinie. In der Bucht haben Fischer ihre kleinen hölzernen Boote auf den feinen Sand gezogen und Kinder spielen Fußball. Voller Vorfreude packen wir unsere Strand- und Surfsachen unter den Arm und machen uns auf die Suche nach einer schönen Liegestelle auf den Weg. Plötzlich sammeln sich die Kinder um eine am Boden liegende Gestalt und auch aus dem Häuser laufen immer mehr Menschen zusammen. Jemand hebt und senkt die Arme der am Boden liegenden Gestalt aber da wir nicht wissen was passiert ist und ja bereits viele Menschen dort sind, wollen wir uns nicht einmischen. Wir sind schon vorbei, als mich plötztlich ein ca. 40 jähriger Mann mit einem leblosen Körper über die Schulter überholt. Auf mein Nachfragen wo er denn hinläuft und was passiert sei, ruft er mir nur "une voiture - je cherche un voiture" zu und läuft weiter auf den Strand hinaus -scheinbar ins Nichts. Der leblose Körper in seinem Arm ist ein kleiner Junge, vielleicht 8,10 oder 12 Jahre alt und ich bitte ihn den Jungen auf den nassen Sand zu legen. Er atmet nicht, kein Puls und nach dem ich ihm den Mund ausgeräumt und den Kopf überstreckt habe, beginne ich mit Wiederbelebungsversuchen. Erfolglos. Er ist entweder ertrunken oder an seinem Erbrochenem erstickt und uns packt Wut und Trauer zugleich: Erste Hilfe? Fehlanzeige -kennt hier niemand. Rettungswagen? Fehlanzeige. Krankenhaus? Fehlanzeige - 63% der marokkanischen Bevölkerung leben nicht in der unmittelbaren Erreichbarkeit medizinischer Hilfe. Der Junge stirbt und ich zweifle bis heute, ob ich ihn nicht hätte länger wiederbeleben sollen. Hier in Deutschland haben wir gelernt: Wiederbelebungsversuch werden bis zum eintreffen des Arztes fortgesetzt. Nur ein Arzt kann entscheiden, wann mit den Rettungsmaßnahmen aufgehört wird. Vermutlich wäre ich dann noch heute an diesem Strand. Genauso traurig: ich habe weder gesehen, wie der Junge aus dem Wasser gezogen wurde, was genau passiert ist und wie lange der Atemstillstand schon eingesetzt hatte, bevor ich mir seiner Notlage bewußt wurde.

Ich weiß nicht was danach passiert ist, denn wir wurden von allen nur angestarrt und haben recht schnell unsere Sachen gepackt und sind gefahren. Autos gab es vor Ort genug aber ich glaube nicht, daß man noch irgend etwas für den Jungen tun konnte. Mein letzter Eindruck von diesem Strand war der Vater des Jungen, der hilflos und traurig aufs Meer starrt.


Hang Loose and take care!