salam Shakir & Yacin San,

da mich dieses Thema auch sehr beschäftigt, fand ich eure Erfahrungen interessant. Im Grunde unterscheiden sie sich kaum von meinen. Nur habe ich relativ früh die Sinnlosigkeit eines solchen Arabischunterrichts bemerkt und habe es mir nicht lange antun müssen.
Das arabische Alphabet und das Lesen haben mir meine Eltern zuhause ab meinem 7. Lebensjahr beigebracht. Die haben das so gut gemacht, daß ich relativ schnell Koran lesen und auswendig lernen konnte. Die Geschichten aus den marokkanischen Lehrbüchern konnte ich zwar auch gut lesen, aber kaum verstehen, und wenn dann nur anhand irgendwelcher Bilder.
In dem kurzwährenden MEU (muttersprachlicher Ergänzungsunterricht) während meiner Grundschulzeit bin ich über das Niveau des Lesens, Schreibens und dem Lehrer Nachplappern nicht hinausgekommen.
Der Frust als Muslima (nicht unbedingt als Marokkanerin) kein Arabisch bzw. das, was ich lesen und schreiben konnte nicht zu verstehen, war so groß, daß ich allein aus dem Grunde auf der Uni Arabisch gelernt habe und nach dem Grundstudium in den Orient gegangen bin, um meine theoretischen Kenntnisse anzuwenden und ich würde heute dankbar sagen es hat sich auf jeden Fall gelohnt.
Nun zu dem Problem des MEU:
Das Unternehmen marokkanischen Kindern in Deutschland Arabisch unterrichten zu wollen ist ja von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Der Unterricht ist als Muttersprachenunterricht konzipiert, und da geht es schon los. Weit mehr als 90% der marokkanischen Kinder in D. sind nicht arabophon. Insofern haben sowohl die deutschen Zuständigen als auch die mazighischen Eltern, aber zum gewissen Teil auch die marokkanischen Behörden über 30 Jahrzehnte versagt. Die deutschen Kultusministerien waren und sind nach wie vor ignorant was die ethnische und damit die sprachliche Zusammensetzung der marokkanischen Familien hier angeht. Die Eltern sind pädagogisch überwiegend unwissend, als das sie wissen müßten, das ein Arabischunterricht für ihre Kinder nur dann fruchten kann, wenn er als Fremdsprachenunterricht geführt wird und mit der Muttersprache Tamazight bzw. mit Deutsch als Unterrichtssprache zumindest eine Zeitlang unterrichtet wird. Die marokkanischen Behörden, die Lehrkräfte entsenden, sind verantwortungslos, da sie Lehrer schicken, die pädagogisch schlecht geschult sind und des Tamazight sowie des Deutschen nicht mächtig sind, somit eine Kommunikation mit den Kindern, aber auch z.T. mit den Eltern und dem deutschen Lehrerkollegium praktisch kaum möglich ist.
Vergleichen könnte man dieses Versagen des MEUs mit dem türkischen MEU, auch dort gibt es ähnliche Probleme mit den kurdischen Kindern, die wenig oder kein Türkisch sprechen. Die kurdischen Eltern aber schicken selten ihre Kinder in diesen Unterricht. Hierbei dürfte natürlich nicht nur die sprachliche Seite eine Rolle spielen, sondern auch oder vielleicht nur der politische Konflikt zwischen Türken und Kurden, wie es ihn zwischen arabophonen und berberophonen Marokkanern nicht gibt.
Ich habe 2 Jahre lang an einem sprachwissenschaftlichen Projekt teilgenommen, in dem die schriftlichen Ressourcen und Barrieren marokkanischer Kinder in Deutschland untersucht wurden. Während des Projektes habe ich festgestellt, daß 1. jeder MEU (wie es ihn bislang gibt) scheitern muß, 2. daß nur ein Fremdsprachenunterricht mit entsprechend ausgebildeten Lehrern dem berechtigten Anliegen der Eltern, daß ihre Kinder Arabisch lernen, entgegenkommen kann, und 3. daß das fehlende Bewußtsein der mazighischen Kinder für ihre Muttersprache als Schriftsprache beim Erlernen der 1. Fremdsprache oft hinderlich ist, da ihnen beispielsweise systematisch erlernte grammatische Strukturen erst in der Fremdsprache begegnen ohne daß sie bewußt auf erlerntes strukuriertes Wissen in ihrer Sprache zum Vergleich zurückgreifen könnten. Deshalb wäre eine Sensibilisierung berberophoner Kinder für ihre Muttersprache so früh wie möglich wünschenswert. Ideal wäre natürlich die Erlernung von Schreib- und Lesestrategien in der Muttersprache. Das ist etwas, was ich für einen Versuch konzipert habe; die Erprobung steht bisher noch aus, ist aber geplant.
Ich würde mich freuen, wenn sich auch noch weitere Personen mit ihren Erfahrungen im Erlernen ihrer Mutterspache bzw. mit dem "MEU Arabisch" zu Wort melden.