Salut Elvire,

die Fußnoten hab ich gar nicht gelesen – heroischer Vorsatz Deinerseits! ;\)

Guten Morgen Lobozen,

weder mag ich Dich in irgendwelche Schubladen stecken, noch mag ich die, die ich als „Migranten“ oder „Auswanderungwillige“ bezeichne, alle in die selbe Schublade stecken, und schon gar nicht gemeinsam mit denen, die ich als „Flüchtlinge“ bezeichne.

Was bei mir hier als ein Fall von „selektiver Wahrnehmung“ ’rüberkommt - äh, ehrlich gesagt, von seeeehr selektiver Wahrnehmung:

 Antwort auf:
typen wie der von cap anamur dankenswerterweise endlich geschasste e. bierdel sind die hauptverantwortlichen fuer eine zunehmende fremdenfeindlichkeit hierzulande
Und was ich hierzulande beobachte: Kaum jemand kennt Herrn Bierdel und Cap Anamur, aber alle kennen Jörg Haider. –
Aber: Wenn wir nun statt Herrn Bierdel Herrn Haider zum „Hauptverantwortlichen für zunehmende Fremdenfeindlichkeit“ erklären, befriedigt das zwar vielleicht das Bedürfnis, Schuldige oder Sündenböcke zu finden, bringt uns jedoch im Verständnis des Phänomens der Fremdenfeindlichkeit und der Ursachen für ihre Zunahme ebensowenig voran, wie es erlaubt, Lösungen für die ihr zugrundeliegenden Probleme zu entwickeln.

 Antwort auf:
mal ehrlich, was soll die eu denn tun, wenn auffanglager in nordafrika, kasernierung innerhalb der eu-grenzen und ruecknahme-abkommen mit drittstaaten als "menchenrechtswidrig" verunglimpft werden?
die alternative kann doch wohl nur sein, dann jeden, der die passage schafft, mit vollen buergerrechten aufzunehmen.
Ich kann mich nicht entsinnen, irgendwas zur „Kasernierung innerhalb der EU-Grenzen“ gesagt zu haben, aber jetzt, wo Du´s erwähnst, fällt mir ein: In Österr. beginnt sich folgende Lösung abzuzeichnen: Die eisern am Dogma des zu verwirklichenden (aber nicht verwirklichten) Nulldefizits festhaltende Regierung lagert die Betreuung von Asylwerbern aus dem Bundesbudget aus. Das bedeutet, sie entlässt kostensparender Weise die Asylwerber aus der staatlichen Betreuung, und das bedeutet wiederum: teilweise werden private Firmen mit der Betreuung beauftragt, mitunter werden Asylwerber einfach auf der Straße stehengelassen u. caritative Organisationen mögen sich doch drum kümmern. Damit nicht genug, musste die Caritas im letzten Jahr monatelang gegen die Republik Österr. prozessieren, um zugesagte staatliche Zuschüsse für die Asylwerberbetreuung auch tatsächlich ausbezahlt zu erhalten. Ich weiß jetzt leider nicht, wer welche Art von Kasernierung als menschenrechtswidrig bezeichnet hat, aber Asylwerberfamilien bei –5° C auf der Straße stehen zu lassen (so geschehen letzten Winter in Wien, hat Tage gedauert, bis alle privat untergebracht waren) - weil der Staat ja bekanntlich kein Geld hat und wir uns den Zuzug weiterer Asylwerber einfach nicht leisten können (Bruttonationaleinkommen pro Kopf 2003 in $/KKP: CH 32.030, A 29.610, BRD 27.460, Marokko 3.950), und da muss man dann schon auch mal, so leid es uns tut, ein bisschen Härte zeigen, damit diese Leute endlich begreifen: wir meinen’s ernst! - - - So betrachtet halte ich die Kasernierung für das kleinere Übel, was aber nicht ausschließt, dass es vielleicht noch andere als diese beiden Alternativen gäbe...

Ich verwechsle Dich nicht mit der österr. Bundesregierung – ich möchte Dir anhand dieses Beispiels nur eine ungefähre Vorstellung davon vermitteln, welche Dinge ich aus welchen Gründen meinerseits nicht mehr hören kann...

Und nachdem wir nun über unsere respektiven kleinen Obsessionen gesprochen haben, möchte ich ein wenig über einen Text meditieren, den mir gestern übern Weg gelaufen ist, u. den ich Dir nicht vorenthalten möchte:

„... Aber erst seit Ende 2003 ist die Grenzabwehr richtig systematisch geworden. Kurz hintereinander verabschiedeten damals Marokko und Tunesien umfassende scharfe Gesetze gegen illegale Einwanderung. Marokko und Spanien vereinbarten gemeinsame Grenzpatrouillen, Italien erwog schon damals die Einrichtung von Lagern in Libyen.

Am 30. November 2003 begann aus Marokko die erste Massenabschiebung von Schwarzafrikanern per Charterflug: 416 illegale Einwanderer wurden nach Nigeria geschickt. Vier Tage später folgten weitere 207, seitdem geht es stetig weiter: 480 Schüblinge am 28. Dezember, 357 am 14. Januar, 236 am 23. April 2004. El-Ayoun, Hauptstadt der marokkanisch besetzten Westsahara, nahm im Februar 2004 die ersten zurückgeschobenen Schwarzafrikaner aus den Kanaren auf. Von der EU kriegt Marokko nun über drei Jahre 40 Millionen Euro zum Kampf gegen illegale Migration.

Die Abschiebungen aus Marokko finden unter fragwürdigen Bedingungen statt, kritisiert die marokkanische Migrantenvereinigung AFVIC (Freunde und Familien der Opfer illegaler Einwanderung). So fänden die Gerichtsverfahren, bei denen Abschiebung als Urteil fällt, auf Arabisch ohne Dolmetscher statt, und manchmal würden die Opfer einfach hinter der algerischen Grenze in der Wüste zurückgelassen. Marokko ist verpflichtet, Aufnahmezentren zu bauen, um die Transitbedingungen unserer subsaharischen Brüder so menschlich wie möglich zu gestalten, forderte jüngst AFVIC-Präsident Khalil Jemmah.

Grundsätzlichere Kritik gibt es bei der Vereinigung maghrebinischer Arbeiter in Frankreich (ATMF), grösster Verband nordafrikanischer Emigranten in Europa. Die EU versucht, über die Entwicklungshilfe ihren südlichen Partnern die Rolle eines Wächters aufzuzwingen, erregt sich der Verband: Der marokkanische Staat hat sich zur Verfügung gestellt, diesen neuen Eisernen Vorhang zu bewachen.

Das hat eine Verschlechterung des sozialen Klimas zur Folge. Über eine Zunahme des Rassismus von Arabern gegen Schwarze klagen Betroffene in allen Maghreb-Staaten. Deren arabische Bewohner vergessen oft, dass in Nordafrika schon immer Schwarze gelebt haben. Heute werden diese Minderheiten mit illegalen Einwanderern gleichgesetzt und leiden immer häufiger unter Polizeiwillkür.

Nach einer Studie des marokkanischen Professors Mehdi Lahlou kommen jedes Jahr 65.000 bis 80.000 Migranten aus dem Afrika südlich der Sahara in den Maghreb. Zwanzig Prozent von ihnen landen in Algerien und reisen von dort aus nach Marokko weiter, die anderen 80 Prozent landen in Libyen. In der grössten südalgerischen Stadt Tamanrasset sind mittlerweile die Hälfte der 65.000 Einwohner Schwarzafrikaner, und viele bleiben nicht lange. Auch Agadez in Niger und Gao in Mali sind bewährte Transitstädte für Afrikas Wanderer. Das Geschäft mit den Migranten hält dort ähnlich wie das mit Zigaretten oder Waffen die örtliche Schmuggelwirtschaft am Leben.

Aber je mehr Afrikaner schon in Afrika selbst zurückgewiesen werden müssen, desto mehr wächst in Afrika der Unmut. Wenn Spanien seinen kleinen Südrand nicht kontrollieren kann, wie soll das Marokko mit seiner Südgrenze und seiner immensen Küste machen?, fragte kürzlich La Gazette du Maroc. Letzte Woche schrieb Marokkos führende Tageszeitung Libération in einem Artikel mit dem Titel ‚Asylzentren für klandestine Migranten: Werden die Länder des Maghreb das akzeptieren?’ von einer schlechten Idee und forderte die EU auf, lieber eine vernünftige Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika zu machen. Denn eines können alle Abschottungsdiskussionen nicht ändern: 300 Millionen junge Menschen drängen in den nächsten zehn Jahren auf Afrikas Arbeitsmärkte. Höchstens ein Zehntel wird nach Berechnungen der Internationalen Arbeitsorganisation in der Heimat Jobs finden.“


Aus: Marokko, Abschiebung in die Sahara
Von: Dominic Johnson
taz Nr. 7444 vom 25.8.2004


270 Millionen junge Afrikaner werden daheim keinen Job finden.
In den nächsten 10 Jahren.



Elisabeth