Hallo,

da es zu einer interessanten Diskussion bezüglich der Westsahara in diesem Beitrag gab:

http://www.marokko-online.net/cgi-bin/forum/ultimatebb.cgi?ubb=get_topic;f=9;t=000133

ich aber meine, dass dies dort nichts verloren hat, habe ich jetzt den Beitrag hier eröffnet um den geschichtlichen Ursprung des Westsaharakonfliktes darzustellen. Genutzt als Quelle habe ich den Text aus dem Reiseführer von

Erika Därr

Marokko - Vom Riff zum Anti-Atlas, Ausgabe 9, 2001

herausgegeben vom Reise Know-How-Verlag

www.reise-know-how.de (Um gegen die Doppelmoral anzukämpfen: Erlaubnis habe ich mir beim Verlag geholt)

Hier der gesamte und ungekürzte Text:

 Antwort auf:
Der vergessene Krieg in der Westsahara

Ende des 19.Jahrhunderts sicherte sich die Handelsflotte der Compagnie Commerciale Hispano-Africaine die Herrschaft über die Bucht von Dakhla, und durch den Vertrag von Berlin erhielt Spanien das Protektorat über das Gebiet von Cap Bojador bis Gap Blanc. Der Konflikt mit Frankreich endete 1900 mit der Vereinbarung, die Hauptsahara Frankreich und das Gebiet Rio de Oro Spanien zuzuteilen. Rio de Oro wurde 1958 in Provinz Sahara umgetauft.
Die Spanier setzten sich zunächst nur an den Küsten fest, in das Innere der Westsahara konnten sie anfangs nicht vordringen. Doch die Militärposten wurden immer zahlreicher: 1970 hielten sich in der Westsahara mehr spanische Soldaten auf als Sahrawis. Trotzdem waren in dem Wüstenstaat, in dem lediglich rund 200 000 Nomaden wohnten, die zu 95% Analphabeten waren, keine Zeichen von Widerstand gegen die Spanier zu erkennen gewesen, obwohl die Spanier mit eiserner Faust regierten und es keinerlei persönliche Freiheiten für die Bevölkerung gab.
Mit der Entdeckung des Phosphats änderte sich die Situation. Die Sahrawis gaben zu Tausenden das Nomadenleben auf, um in den Phosphatminen zu arbeiten. Vom verlockenden Stadtleben angezogen, siedelten sie sich in den Elendsquartieren um die Städte an. Als dergestalt die Ausbeutung und Unterdrückung offensichtlich wurden, als die Sahrawis, im Gegensatz zu den Spaniern, durch das Phosphat keineswegs reicher wurden, regte sich langsam der Unmut, und 1973 bildete sich die POLISARIO (Volksfront für die Befreiung der Seguiet el Hamra und des Rio de Oro) und unternahm ihre ersten Vorstöße mit libyscher Hilfe von Mauretanien aus.
Die UNO verzeichnete die Westsahara bereits 1963 auf einer Liste von Staaten, denen das Recht auf Selbstbestimmung immer noch verwehrt werde. 1965 forderte die UN-Vollversammlung Spanien auf, das Gebiet zu entkolonialisieren und verlangte ein Referendum über die Selbstbestimmung der Sahrawis. Spanien versuchte, Zeit zu gewinnen, und beutete das Land immer stärker aus. 1975 verkündete eine UN-Delegation, daß die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung für Unabhängigkeit sei und hinter der POLISARIO stehe.
Dies rief König Hassan II. von Marokko auf den Plan, der keinesfalls einen sozialistisch orientierten Staat, noch dazu von Libyen und Algerien unterstützt, an der Südgrenze Marokkos dulden wollte. Ferner sah und sieht sich der König als Vollstrecker des historischen Auftrags, den saharischen Süden, dessen Stämme starke traditionelle Bindungen zu Marokko pflegten und dieses oft genug als Schutzmacht bei Bedrohung von außen anriefen, in sein Reich einzugliedern. Und bei diesem Vorhaben hatte der König das Volk und auch oppositionelle Kräfte durchaus auf seiner Seite.
Ein Beschluß des Internationalen Gerichtshofes von Den Haag, der historische Bindungen einiger Volksgruppen der Westsahara an Marokko anerkennt, diente Hassan II. dann als Legitimation für seinen Vorstoß. In Windeseile wurden Straßen in Richtung Westsahara zum südlichsten marokkanischen Zipfel nach Tarfaya gebaut, und 350 000 Menschen zogen am 06.11.1975, von religiösem und nationalistischem Eifer durchdrungen, über die spanischen Linien. Dieses Schauspiel, der „Grüne Marsch", wurde vom marokkanischen Fernsehen live übertragen und beschleunigte die gesamte Entscheidung zugunsten der marokkanischen Interessen.
Das spanische Parlament, durch die Krankheit General Francos und die innenpolitischen Wirren schon in Anspruch genommen, trat in Eile zu einer Abstimmung zusammen, bei der die „Rabatfreundliche" Fraktion siegte. Am 14.11.1975 wurde in Madrid ein Abkommen zwischen Spanien, Marokko und Mauretanien unterzeichnet. Danach hatten alle spanischen Streitkräfte bis zum 28.02.1976 aus der Westsahara abzuziehen, Spanien wurde eine Beteiligung an den Phosphateinnahmen zugesichert, und es stimmte einer Aufteilung des Landes unter Marokko und Mauretanien zu.
Die POLISARIO erklärte diesen Vertrag für null und nichtig, konnte aber nicht verhindern, daß mit spanischer Unterstützung 4000 marokkanische Soldaten in El Aaiun (jetzt Laäyoune) einzogen. Am 19.12.1975 wurde nach heftigen Kämpfen auch La Guera besetzt. Damit begann ein Krieg, der bis zum Inkrafttreten des Waflenstill-standsabkommens am 06.09.7997 mit gnadenloser Härte geführt wurde.
Am 29.02.76 wurde die unabhängige Republik Sahara ausgerufen, von vielen Ländern der Welt anerkannt (neuerdings von vielen widerrufen), nicht aber von den Weltmächten.
Am 10.07.1978 wurde Präsident Ould Daddah von Mauretanien gestürzt. Die neuen Machthaber beschlossen einen Waffenstillstand mit der POLISARIO. Daraufhin besetzte Marokko den südlichen Teil der Westsahara, da es keinen Ministaat mit POLISARIO-Regierung im Süden zulassen und Algerien den erwünschten Zugang zum Atlantik verwehren wollte (14.08.79).
Den nördlichen Teil der Westsahara brachte Marokko mit hohem militärischen Aufwand recht gut unter Kontrolle, wobei auch nicht vor einer brutalen Repression der Zivilbevölkerung zurückgeschreckt wurde. Um Übergriffe aus dem schwer zu kontrollierenden Süden zu verhindern, baute Marokko einen Schutzwall, der südlich von Dakhla, Bou Craa und Smara verläuft und zusätzlich durch aufwendige elektronische Anlagen gesichert ist.
Ein wesentliches Motiv für die Einverleibung der Westsahara soffen die riesigen Phosphatlager und der immense Fischreichtum in den atlantischen Gewässern sein. Marokko selbst besitzt zwar ebenfalls große Phosphatvorkommen, durch den Zuwachs aber verfügt es insgesamt über zwei Drittel der Weltreserven und ist damit einer der wichtigsten Phosphatexporteure der Welt.
Im September 1980 empfahl ein Komitee der OAU (Organisation Afrikanischer Einheit) eine Volksabstimmung in der Sahara. Im Juni 7987 erklärte sich Hassan II. damit einverstanden. Im August 1982 aber scheiterte die OAU-Konferenz an der Westsaharafrage, da kurz zuvor mit knapper Mehrheit die Aufnahme der Arabischen Republik Westsahara in die OAU beschlossen worden war. Die Konferenz wurde 1983 in Addis Abeba nachgeholt, nachdem die Vertreter der Westsahara freiwillig ihr Fernbleiben von der Konferenz erklärt hatten. Im November 1984 spaltete sich die OAU endgültig wegen der Westsaharafrage. Marokko erklärte daraufhin unter dem Beifall vieler Mitgliedsstaaten seinen Austritt aus der Organisation der Afrikanischen Einheit.
Mit der Verbesserung der Beziehungen zwischen Marokko und Algerien von 1983 an entwickelte sich die Lage in der Westsahara zugunsten Marokkos, da Algerien seine Unterstützung der Sahrawis aufgab. Im März 1985 erklärte sich König Hassan II. zu einer Volksabstimmung in der Westsahara bereit, wenn die UNO dies in die Wege leite.
Nachdem es 1986 wiederholt Kämpfe und auch Übergriffe auf marokkanisches Gebiet gegeben und das Westsahara-Referendum noch nicht stattgefunden hatte, verkündete der marokkanische Ministerpräsident Lamrani im Dezember 1986 vor der UN-Vollversammlung, daß Marokko ab sofort einen Waffenstillstand in der Westsahara einhalten werde. Außerdem lud er die UNO erneut ein, eine Volksabstimmung in der Westsahara zu überwachen, König Hassan würde das Ergebnis akzeptieren. Ein Sahara-Referendum wurde für Januar 1987angesetzt, allerdings ging noch im selben Monat die
erste Runde der indirekten Verhandlungen in der UNO zwischen Vertretern Marokkos und der POLISARIO ohne konkretes Ergebnis zu Ende. Die Gespräche wurden im Mai 1987 unter der Schirmherrschaft der UN fortgesetzt. Beide Parteien versicherten den Vermittlern, in diesem Fall dem UN-Generalsekretär Perez de Guellar und dem senegalesischen Verteidigungsminister Medoune Fall als Vertreter der OAU, weiterhin an einer Lösung des Konfliktes mitzuarbeiten. Ende 1987 erklärte die POLISAKIO einen einseitigen Waffenstillstand, um die Vermittlungsbemühungen der UNO nicht zu gefährden. Im August 1988 verkündeten sowohl POUSARIO als auch die marokkanische Regierung, daß sie zur Aufnahme von Friedensverhandlungen nach einer Volksabstimmung bereit wären, wenn ein Referendum von den UN-Friedensvermittlern ausgearbeitet werde.
Ende Januar 1989 empfing König Hassan drei führende Abgesandte der POUSARIO. Die Politiker wurden von einer algerischen Militärmaschine nach Marrakesch geflogen und waren während ihres zweitägigen Aufenthaltes in der Obhut algerischer Sicherheitsleute. Die Zeitungen beider Länder sprachen von einem „historischen Treffen".
Am 27.06.1990 wurde ein konkreter Plan zur Abhaltung einer Volksabstimmung in der Westsahara vom UN-Sicherheitsrat gebilligt, und eine UN-Kommission reiste zu ersten Sondierungen in die Westsahara. Im Februar 1991 hieß es, daß alle Unstimmigkeiten über den Zeitplan bereinigt seien und der Plan verwirklicht werden könne. Eine UN-Kommission zur Überwachung des Referendums (MINURSO) wurde gebildet.
Mit Vermittlung der UNO wurde am 06.09.91 ein Waffenstillstandsabkommen geschlossen, und Marokko stimmte einer Truppenhalbierung von 130 000 auf 65 000 Mann zu, was aber nicht eingehalten wurde.
Das für Januar 1992 geplante Referendum und alle weiteren Termine seither, zuletzt die für Dezember 1999 angesetzte Abstimmung, sind jedoch immer wieder verschoben worden, da sich beide Seiten nicht über die Anzahl der Wahlberechtigten einigen konnten. Dahinter steht die entscheidende Frage, wer als Sahrawi zu gelten habe. Im Verlauf der Houston-Verhandlungen im Jahr 1998 unter dem Vermittlungsvorsitz des vormaligen amerikanischen Außenministers James Baker wurde die „saharische Staatsbürgerschaft" nun anhand von einigen Kriterien definiert: Eines davon ist die Bevölkerungszahl von 1974 (nach spanischem Zensus ca. 75 000), ein weiteres die Aufenthaltsdauer in der Westsahara, ein drittes die Abstammung von einem Sahrawi-Vater. Kurzzeitig gab es eine Annäherung zwischen Marokko und POUSARIO. Im September 1997 verständigten sie sich unter Vermittlung des schon genannten James Baker auf einen „Verhaltenskodex" für eine Volksabstimmung, nachdem die POLISARIO schon fünf Monate zuvor mit der Freilassung von 85 Marokkanern ihren guten Willen erkennen ließ. Die UN legten daraufhin den 07.12.1998 als Termin für das Referendum fest, doch die Registrierung der Wähler verzögerte sich - bis 1999 sollte sie abgeschlossen sein und etwa 150 000 Wahlberechtigte umfassen -, so daß das Referendum im Frühjahr 1999 abgehalten werden sollte. Wiederum gab es keine Einigung und die UN drohte unverhohlen mit dem Abzug ihrer Truppen. Nach langer Diskussion mit der UN (der Einsatz der Truppen verschlingt Milliarden) wurde das MINURSO-Mandat 2000 wiederum verlängert und ein neuerlicher Termin für ein Referendum auf 2002 verlegt.
Seit Anfang der 90er Jahre arbeitet die Zeit für Marokko. Das Ende des Kalten Krieges hat den Geldstrom aus den ehemals sozialistischen Staaten an die POLISARIO versiegen lassen. Selbst die Flüchtlingslager bei Tindouf (Algerien), die vor allem wegen ihrer vorbildlichen Selbstverwaltung und der unglaublichen Eigeninitiative der dort
lebenden Sahrawis in der internationalen Presse gelobt wurden, können kaum mehr existieren, weil Algerien genug mit sich selbst zu tun hat und auch noch Aussagen nach Marokko zurückgekehrter ehemaliger Polsarioführer kursieren, daß Führungsklicken der Polisario Gelder die für humanitäre Zwecke bestimmt waren, veruntreut hätten. Einige führende POLISARIO-Politiker sind auf die marokkanische Seite übergelaufen, weil sie den Kampf für aussichtslos halten. Im Oktober 1993 sind Verhandlungen zwischen der POLISARIO und Marokko in New York abermals geplatzt; die Befreiungsbewegung weigerte sich, an dem Gespräch teilzunehmen, da einige ihrer ehemaligen Mitglieder in der marokkanischen Delegation vertreten waren. Auch an die 2000 marokkanischen Kriegsgefangenen, von denen manche über 20 Jahre als Faustpfand unter übelsten Bedingungen von der Polisario in den Lagern bei Tindouf gefangen gehalten werden, zeichnen kein gutes Bild der Polisario .
In der Weltöffentlichkeit wird von dem Konflikt ohnehin kaum mehr Kenntnis genommen, und Marokko erhofft sich durch starke Investitionen in der Westsahara eine Abstimmung zu seinen Gunsten; de facto hat Marokko durch die Beherrschung von 90% des Gebietes, den Ausbau der Infrastruktur und die wirtschaftlichen Investitionen den Anschluß schon fast erreicht. Die Hauptstadt Laäyoune, die unter den Spaniern aus einer Ansammlung von wenigen Häusern bestand, ist inzwischen eine moderne Hafenstadt mit 700000 Einwohnern (und, nebenbei, einem teilweise sehr europäisch anmutenden Strandleben). Marokko hat nach eigenen Angaben ca. 800 Mio. Mark in die Westsahara investiert und wird das Geld freiwillig wohl kaum in den Wind schreiben.
Die Einigkeit zwischen Volk und Regierung in der Westsahara-Frage zeigt mittlerweile aber Risse, da in der Bevölkerung Stimmen laut werden, die die Subventionen, niedrigeren Steuersätze und die Zollfreiheit in der Westsahara kritisieren und Investitionen und ähnliche Bemühungen auch für die nördlichen Teile Marokkos einfordern, wo Armut, Arbeitslosigkeit, schlechte Wohnverhältnisse und mangelhafte Bildungschancen dringend der Abhilfe bedürfen.
Programme zur Rückwanderung der Sahara-Flüchtlinge liefen an, werden aber nach marokkanischen Angaben von den Saharawis behindert bzw. von den Verantwortlichen Polisarioführern den Insassen grundsätzlich verwehrt.
Immer wieder ist mittlerweile auch von von einer dritten Lösung die Rede: Die Westsahara als autonome Provinz unter marokkansicher Verwaltung. Dagegen laufen die POLISARIO-Verbände und Unterstützer-Vereine Sturm und Mitte 2000 wurde unverhohlen mit einem neuerlichen Krieg gedroht, nach dem es in der Westsahara Demonstrationen für die Verbesserung der Rechte der Saharawis gegeben hatte, die von marokkanischen Sicherheitskräften niedergeschlagen wurden und ein Kurswechsel in der Westsaharapolitik auch unter dem neuen König nicht zu erkennen ist. Eine Wiederaufnahme der Kriegshandlungen von Seiten der POLISARIO dürfte ohne ausländisches Geld jedoch aussichtslos sein.

Websites zum Westsaharakonflikt:

Wöchentliche news zum Westsaharakonflikt in englisch, spanisch, portugiesisch und
italienisch :

www.arso.org.

bzw. deutsche Infos

http://hom.t-online.de/home/cm.brenneisen/week.htm

Weitere Infos unter

http://isoc.vienna.org/westsahara

und

www.un.org/Depts/dhl/maps/pk/minurso.htm

bzw. aus marokkanischer Sicht unter

www.mincom.gov.ma/westsahara.html

Ich hoffe, dass dieser Text zum Verständnis beiträgt und den geschichtlichen Hintergrund etwas aufhellt.

Gruß

U.E.H.