Salam und guten Morgen zusammen,

@Muriel...
 Antwort auf:
Zwänge: Ich selbst habe fast ein Jahr lang bei einer Familie gewohnt. Und bin irgendwann einfach nur noch ausgerastet, weil ich in meinem Leben noch nie so eingeengt war
DANKE, daß Du das erwähnt hast. Denn selbst Du, die unendlich viel Erfahrung und Wissen rund um Marokko mit in dieses Forum bringt, kennt diese Situation der "Enge".

Es ist halt etwas anderes. Privatsphäre nach europäischen Vorstellungen gibt es in diesem Sinne nicht. Meine längste Zeit am Stück waren drei Monate in Marokko und auch bei mir kam der Tag, wo bei mir die Sicherungen durchgebrannt sind.

Ich bezeichne mich als durchaus geselligen Menschen, aber gerade wir Europäer brauchen hin- und wieder ein paar Stunden für uns. Stunden, in denen wir uns mit z.T. banalen Dingen wie Herumkramen irgendwelcher Sachen etc. beschäftigen oder einfach nur ein Buch lesen wollen.

Meine damalige Gastfamilie konnte das natürlich und logischerweise nicht nachvollziehen und machten sich ständig Sorgen, ob es mir gut gehe, ob es mir an etwas fehlen würde etc.

Ich weiß heute, daß das wirklich gut gemeint war, aber damals war ich nicht in der Lage zu erkennen, daß der Begriff "persönlicher Freiraum" in Marokko keinesfalls die gleiche Bedeutung hat wie z.B. hier in Deutschland.

Ich war innerlich ziemlich zerrissen, denn auf der einen Seite wollte ich die überaus große marokkanische Gastfreundschaft nicht mit Füßen treten, aber der anderen Seite aber hatte ich das Gefühl, mir schnürt jemand den Hals zu.

Mein Fehler war wohl auch, daß ich darüber nicht offen in der Familie geredet habe. Ich hätte mir vielleicht die Mühe machen sollen, es ihnen zu erklären. Aber dazu kamen dann damals auch noch die mangelnden Sprachkenntnisse.

Heute habe ich das für mich selbst geregelt. Ich verbringe einen Teil meines Urlaubs innerhalb und mit meiner Gastfamilie. Gleichzeitig aber erkläre ich ihnen, daß mir das Alltags- und Berufsleben in Deutschland kaum Möglichkeiten läßt, in Ruhe und Frieden meine heißgeliebten Bücher zu lesen oder sonst etwas für mich zu tun.

Und das klappt! Heute ist es doch in der Tat auch so, daß viele marokkanische Familien schon Bekanntschaft mit europäischen Männern und Frauen (sei es durch Heirat/Freundschaft im Familien- und Verwandtenkreis) gemacht haben und sich unsere "europäischen Marotten" (liebevoll bezeichnet! \:\) ) dort auch herumgesprochen haben.

Und was machen diese lieben Leute heute? Sie lassen mir meine "Marotten" und tun wirklich alles, damit ich mich dort wohl fühle. Keiner wundert sich mehr, wenn ich mich mal für 1-2 Stunden einschließe und lese, ich gehe alleine ins Hammam, weil sie wissen, ich komme dort zurecht. Es hat sich ein gegenseitiges Vertrauensverhältnis aufgebaut und so habe ich mir meinen persönlichen "Freiraum" auch in Marokko schaffen können und bin glücklich damit!

Aber...und das ist halt mein Rat an Bibi: Ohne Sprachkenntnisse (und sei es auch "nur" französisch) läuft so gut wie nichts...wie soll man seine Gedanken und Gefühle ausdrücken, wenn man die Sprache nicht beherrscht...Konfliktsituationen sind da wirklich vorprogrammiert.

Ich glaube, dieses Forum kann Dir ganze Wagenladungen von Erfahrungswerten und Ratschlägen mit auf den Weg geben und wenn Du also mit einem gesunden Menschenverstand an diese Sache herangehst, Dich an bestimmte Regeln hälst und Deinen persönlichen Beitrag leistet...dann könntest Du es dort schaffen.

Lieben Gruß aus Köln

Anja Maria