danke mohand für deine ausführungen. die literarische welt hatte ja im grunde in den letzten jahren fast "frieden" mit marcel reich-ranicki geschlossen. es umweht ihn inzwischen eine aura der altersweisheit, wenigstens nehmen ihm viele ab, "weise" zu sein. seine autobiographie hat diesen eindruck noch verstärkt. ich habe sie nicht gelesen, aber sie wurde von sehr vielen, auch in meinem freundeskreis sehr gelobt und für authentisch gehalten.

die einzelnen stationen seiner "karriere" sind bekannt. als literaturkritiker der faz stieg er dann wirklich auf in den olymp der literaturkritiker deutschlands. ich sehe es wie du, mohand: ranicki hielt an einem literaturbegriff fest, der sich letzenendes an thomas mann orientierte. im grunde ein sehr konservativer masstab. allerdings gehe ich nicht so weit wie du und sage, ranicki habe der "unterhaltungsliteratur" das wort geredet.

er hat aber etwas anderes getan. er hat mit seinen verissen schriftsteller-existenzen vernichtet. und - er hat mit seinem lob teilweise das mittelmass in den himmel gehoben.

seine literatursendung im fernsehen war ja im grunde unerträglich, weil seine "mitstreiter", anerkannte kritiker und literaturwissenschaftler in deutschland eigentlich nur noch stichwortgeber für seine tiraden waren. warum eigentlich war sich h. karasek nicht zu schade, dieses spiel mitzumachen? nun, auch er sonnte sich in der popularität von ranicki.

ich kann schon verstehen, wenn ein mann wie martin walser, - der übrigens mehr die bundesdeutsche entwicklung im auge hat und nicht so sehr die aufarbeitung von nationalszozialismus -gegen diese form des "papsttums" amok läuft. günter grass hätte es wohl, gequält von ranicki, auch getan, wenn ihn die weihen des nobelpreises nicht aus den niederungen der literarischen faz-schlammschlachten entführt hätte.

ich habe walser immer gern gelesen. er ist witzig, humorvoll und hält den menschen sehr kritische spiegel vor. ich habe nicht eine zeile von ihm gelesen, die auch nur im entferntesten "antisemitisch" gewesen wäre.

ich glaube aber, dass ihn das thema holocaust, deutsche und ihr verhältnis zu den juden, immer mehr interessierte. sonst hätte er dieses thema nicht in den mittelpunkt seiner rede in der paulskirche gesetzt.

die polemiken damals waren fast spiegelbildlich zu den attacken auf frau schimmel, der man ein unkritisches, sentimentales bild des islam vorhielt.

nun warf man walser nicht vor, ein sentimentales, unkritisches bild der juden zu haben. im gegenteil. man warf ihm vor, dass er es n i c h t hat. komische welt!

in dieser zeit mag sich in ihm wirklich der widerstand gebildet haben, der jetzt zu diesem neuen roman geführt hat.was liegt einem schriftsteller näher, als sich mit seinem wesentlichen umkreis zu beschäftigen: der literatur und der literaturkritik. ich ahne schon, dass walser, der sehr hintergründig-ironisch formulieren kann und will, ranicki wirklich eines vors schienenbein geben wollte.

ich würde allerdings nicht verstehen, wenn er jetzt erstaunen darüber formulieren würde, dass ihn die faz nicht vorabdruckt.

im übrigen denke ich, dass die parallelität der gesellschaftlichen diskussion über zionismus und antisemitismus (fdp - walser) eher zufällig ist. oder doch nicht ganz zufällig, weil das thema schon lange auf ansprache und konkretisierung wartet.

schriftsteller haben ja auch manchmal die gabe, zeitströmungen und gedanken aufzunehmen und zu interpretieren. du, mohand, hast nicht umsonst den roman von musil "mann ohne eigenschaften" angesprochen.

die sogenannte "grosse" literatur nimmt die fragen der gesellschaft auf und formuliert sie für ihre generation.

ob walsers buch ein "grosses" genannt werden wird, weiss ich nicht. aber er hat ein virulentes thema zur sprache verholfen.

und das reicht doch allemal als grund, es nun auch zu lesen!

Jocim