diese neue diskussion stellt sich mir, ohne dass ich das buch von walser kenne, folgendermassen dar:

walser hat schon 1998 in seiner rede in der paulskirche davon gesprochen, dass der holocaust an den juden nicht immer als "moralische keule" benutzt werden kann, um kritik am jüdischen staat oder den juden zu unterbinden. walser möchte, 50 jahre nach ende des krieges und damit der verfolgung von juden in deutschland zurückfinden zu einer art "normalität", in der man aufhört, jeden juden sozusagen in ein reservat zu sperren, wo er vor kritik und widerspruch geschützt ist. walsers meinung ist es, dass überall da, wo etwas kritisiert werden muss, es auch getan wird, ohne ansehen der person, seiner herkunft oder religion.

ich halte den standpunkt persönlich für richtig.

martin walser hat ein problem. er reibt sich seit jahren an einem "gott" der deutschen literaturkritik: marcel reich-ranicki. zufällig ist ranicki jude. natürlich weiss das walser auch.

aber genau hier führen, sofern meine analyse richtig ist, die gedanken walsers zu einem resultat. es muss erlaubt sein, an juden kritik zu üben und es muss erlaubt sein, die mordfanatsien eines fiktiven autors an einem literaturkritiker literarisch zu verarbeiten, auch wenn dieser jüdischen glaubens ist.

schirrmacher ist das "ziehkind" von reich-ranicki. allein schon deshalb misshagte es wohl der faz, diesen roman vorab zu veröffentlichen. warum dies schirrmacher nicht in einem telefongespräch dem suhrkamp-verlag mitgeteilt hat, bleibt rätselhaft. wahrscheinlich wollte man den publizistischen "knall", nachdem der vorwurf des "antisemitismus" ja gerade in aller munde ist. dann aber wäre dieser publizistische vorstoss der faz schäbig. sie würde mitreiten auf einer öffentlichen debatte und noch feuer schüren.

der weitere verdacht: die faz schielt auf hohe auflagen, indem sie diese debatte in ihrer zeitung führt.

nebenbei, auch walser kann seit einigen tagen mit weit höheren tantiemen von suhrkamp rechnen!

natürlich muss israel und die welt zur kenntnis nehmen, dass auch in deutschland sich haltungen gegenüber israel und den juden verändern. deshalb werden die deutschen ja nicht gleich summasummarum zu "antisemiten".

vielleicht ist es das verdienst walsers, hier einen "tabubruch" vollzogen zu haben. das ist übrigens die vornehmste aufgabe aller literatur: verschwiegenen oder verleugneten meinungen gehör zu verschaffen.

Jocim