Hallo alle zusammen,
da haben wir ja endlich wieder ein interessantes Thema. Nachdem ich einige Zeit untergetaucht war (Expo,Bielefeld und in der Arbeit versank) will ich auch meinen Senf dazugeben.
Armer M6 - alle Hoffnungen ruhen auf ihm. Aber wie soll er 50 % Analphabetismus in kurzer Zeit beseitigen, wenn in der Vergangenheit die Prozentzahl der Analphabeten sogar noch gestiegen ist? Bildung für alle und Zugang dazu ist viel, viel wichtiger als die Frage, wieviel Internetanschlüsse gibt es. Da ist Marokko ohnehin führend was Nordafrika betrifft. Aber solange Casablanca von Bidon villes umgeben ist - die sogenannten Carrières, und die Kinder aus diesen Vierteln häufig nicht zur Schule gehen weil selbst das Geld für Hefte oder die Schulschürze zu viel ist, es wesentlich preiswerter ist sein Kind bereits mit fünf Jahren in eine reiche Familie in Obhut zu geben (natürlich nur gegen Arbeit als Hausangestellte) und sich die Reichen durch eine Ummauerung dieser Viertel (dass man es nicht sieht) von ihrem schlechtem Gewissen befreien, so lange wird sich wenig ändern. Auffangbecken sind die Moscheen und Islamisten, die Kinder dürfen dann vielleicht noch die Koranschule besuchen und den Koran rezitieren, sind dann wenigstens weg von der Straße und bekommen noch ein warmes Süppchen und sind dann die künftigen Rekruten Gottes - a la Iran oder Hisbollah. Sozialhilfe und Sozialprogramme und Unterstützung für bedürftige Familien, dass diese ihre Kinder in die Schulen schicken, Essen in den Schulen, all dies wäre vonnöten um wenigstens einen Anfang zu machen. Es gibt vereinzelte Initiativen in den Städten, Vereine etc. (wenn ich mal meine Ordner gesichtet habe, werde ich hier einige Adressen zur Unterstützung ins Netz stellen) aber diese sind ein Tropfen auf den heißen Stein.
Solange sich selbst Mittelständler (es gibt sie) wie mittlere Beamte, Angestellte, etc. in den Städten von dem verdienten Geld nicht ernähren können, weil bereits die Miete 2/3 auffrisst, wie soll es dann ein Arbeitsloser? Deshalb blüht die Korruption, denn nur dadurch kann man sein Gehalt aufbessern. Die Oberschicht ist an Luxus gewöhnt und hinterfragt selten ob ihnen das zusteht, bzw. woher das Geld kommt. Wer das Buch von Malika Oufkir gelesen hat und die Zeit vor ihrer Haft in Erinnerung hat, merkt mit welchem Luxus die Oberschicht lebt und wie wenig diese bereit ist diese Position zu gefährden.
Nur mit fortschreitender Industrialisierung und mit Investitionen aus dem Ausland können Arbeitsplätze geschaffen werden. Die Arbeitskraft in Marokko ist preiswert, warum sollten Firmen anstatt ihre Produktion nach Asien zu verlagern nicht in Marokko produzieren? Auch auf dem Tourismussektor ließe sich noch einiges besser machen. Was nutzen Großprojekte um Agadir die zwar auch Arbeitsplätze schaffen aber wieder den ganz großen zu Gute kommen und nur wenig Geld in Marokko lassen? Eine Unterstützung des nachhaltigen Tourismus, also der ökologisch sinnvollen Kleinprojekten wäre sinnvoll. Wenn man z.B. sieht wie manche Marokkaner mit kleinen Auberges oder Kameltouren, Trekkingtouren etc. zu einem bescheidenen Wohlstand kommen, fragt man sich warum solche Projekte nicht mehr gefördert werden. Hie und da gibt es Ansätze (z.B. in Zagora)von der GTZ, die für die Entwicklung des nachhaltigen Tourimus in Marokkos Konzepte erarbeiten soll, aber es ist ein Kampf gegen Windmühlen. Die Konkurrenz befehdet sich anstatt zusammenzuarbeiten und viele Gelder bleiben natürlich wie schon in einem anderen Beitrag zu diesem Thema, bei den teuren Experten hängen.
Wer von Euch war schon auf dem Land im Hochgebirge abseits jeder großen Straße?
Wenn man hier sieht, wie die Menschen archaisch leben, zum Teil in Höhlen oder in kalten Steinhäusern ohne Heizung und Glasfenster wo im Winter mehrere Meter Schnee liegen, dann braucht man sich nicht wundern, dass hier kaum jemand in die Schule geht, wenn die nächste Schule mehrere Kilometer weit weg ist. Es gab Zeiten, die sind noch nicht so lange her ( ich glaube bis 1920) da wurden Tiroler Bergbauernkinder zu reichen Familien nach Deutschland und in die Schweiz geschickt um dort zu arbeiten, weil die Familie sie nicht ernähren konnte. Auch nicht anders wie in Marokko. Tirol hat das Problem aber durch Errichtung einer Infrasturktur und durch Tourismus gelöst. Diese Chance sehe ich für Marokko auch, wenn man Hilfen gäbe für die Entwicklung des Gebirgstourismus. Für Bergführer, kl. Herbergen, Kanuten, Paragliding, Mountainbiking - die ganze Palette von Funsport könnte man in Marokko absolvieren, aber eine Entwicklung in diese Richtung geht nicht ohne Hilfe.
So schön es ist, in Marokko noch die Ursprünglichkeit vergangener Jahrhunderte zu finden, so schrecklich ist es wie arm die Menschen sind. Mit kleinen Projekten, Förderprogrammen und Werbung für einen anderen Tourismus, anstatt nur den Bade- und Massentourismus zu propagieren, könnte man eine Menge erzielen, selbst wenn dann ein bißchen Usprünglichkeit verloren geht.
Wem nützt eine Landverteilung im Gebirge oder im Anti-Atlas oder die Rückkehr zu Gemeinschaftseigentum, wenn dort der Boden so karg und steinig ist, dass nur alle 50 cm eine Getreidehalm wächst? In den steilen Gebirgstälern kann man gerade noch Subsistenzwirtschaft betreiben aber nicht mehr. Das Erbrecht in vielen Gebieten führt ebenso dazu, dass der Landbesitz des Einzelnen immer kleiner wird. Daraus resultierend die Landflucht und die Elendsviertel um die Städte und um Arbeit bettelnde Menschen. Ansätze wie die Arganienkooperative in Agadir (auch von der GTZ) sind hier sicherlich sehr gut, aber es dauert Jahre bis so etwas am Laufen ist.
Marokko hat so gutes Obst und Gemüse, wunderschönes Kunsthandwerk, herrliche Landschaften, viel mehr als Mallorca, Südfrankreich oder Spanien bieten,nur an der Vermarktung fehlt es noch. Das Denken dürfte nur nicht beim Massentourismus aufhören und müßte bei umweltfreundlichen Projekten beginnen. So kann am Lac Iriki und bei M´hamid kein Nationalpark entstehen (zumindest nicht mit deutscher Unterstützung)solange in dieses fantastische, hochsensible Wüstengebiet Gruppen von reichen Saudis ihre Treibjagen auf Gazellen veranstalten und dies von höchster Seite protegiert und nur von der Oberschicht daran verdient wird. Stattdessen könnte hier die Bevölkerung an der Natur und an kleinen angepassten Projekten verdienen.
Aber da könnte man seitenlange Abhandlungen schreiben, wo es im Argen liegt. In Marokko heißt die Parole iimer noch wie im Rest Afrikas "die Reichen werden immer reicher, und die Armen immer ärmer" . Ein Rezept dagegen wird auch M 6 nicht in absehbarer Zeit finden, auch wenn man es wünschen möchte.
Ein nicht ganz so negatives Fazit zu meiner langen Abhandlung: Trotz der Armut ist Marokko reich an Kultur, Kreativität, an Naturschönheiten, vergleichsweise auch reich an Wasser, Wald und auch entwickelten Städten. Wenn ich mit anderen afrikanischen Ländern die ich wie Marokko seit Anfang der 70 er Jahre bereise, vergleiche, stelle ich immer wieder fest, dass Marokko mit seiner Entwicklung in den letzten 30 Jahren einen großen Schritt vorwärts gegangen ist, während es Schwarzafrika immer schlechter geht.