hallo alle zusammen,

in erster linie bin ich froh, dass ich die zeit gefunden habe, hier ein paar beiträge zu lesen.

leider, das muss ich vorweg noch anmerken, habe ich jetzt die letzten beiträge zu diesem thema ("ich bin marokkaner, aber kein muslim mehr" oder so ähnlich) nicht gelesen, insofern, weiss ich auch nicht, was der letzte stand der diskussion ist. aber da ich unbedingt noch was dazu schreiben wollte überspringe ich die letzten beiträge.

lieber souliman, als ich deinen text las, kam es mir vor, als hätte ich ihn geschrieben. ja, mir geht es genauso, oder jedenfalls so ähnlich. ich bin wie du marokkaner-amazigh-deutscher (wir wollen ja unsere "heimat" nicht ignorieren). auch ich wurde züchtig erzogen, zwar nicht religiös, aber immerhin. gezwungen zu beten wurde ich auch nicht, ich tat es als kind freiwillig. in die moschee bin ich auch freiwillig gegangen. wie du, habe auch ich suren gelernt, die ich nicht verstanden hatte. anders zu dir vielleicht, habe ich mich damit sehr früh auseinandergesetzt, mich mit dem koran beschäftigt. der grund war weniger der reine erkennntniswille, als vielmehr das schlechte gewissen, weil ich an vielen dingen gezweifelt habe. ich führte und führe auch heute noch auseinandersetzungen mit meiner mutter wegen meinem lebenswandel, meinen kommentaren und meiner einstellung. mittlerweile versuche ich die welt meiner mutter mit ihren augen zu sehen, was ich vielen anderen, die ganz sicher eine ähnliche erfahrung machen, empfehlen kann. das hilft insofern, als das man nachvollziehen kann, warum unsere elterngeneration so denkt wie sie denkt. das wurde in einigen beiträgen erwähnt. analphabetismus spielt hier eine wesentliche rolle. unsere eltern kamen vor jahrzehnten hierher, aus angst ihre kinder an eine fremde kultur zu verlieren, aber auch an -für sie- unüberbrückbaren schwellen, haben sie sich hier ihre eigenen kulturinseln geschaffen. sie wollten sich ihre heimatwelt in einer anderen welt aufbauen und erhalten. das problem ist, dass dadurch die entwicklung leidet. letztlich trifft es uns, die einen spagat zwischen diesen zwei völlig unterschiedlichen (kultur-)welten bewältigen müssen.

irgendwann erlangte ich die erkenntnis, dass ich nicht so sein will wie meine eltern und vieler meinr landsleute. der islam konnte mir viele fragen nicht beantworten. nicht misverstehen, auch andere religionen konnten mir diese fragen nicht beantworten. ich erfülle nicht alle kriterien des islam, aber ganz ehrlich unter uns gesagt, wer erfüllt sie schon? ich mußte feststellen, das besonders unter unseren landsleuten viele heuschler sind. das hat mich sehr entäuscht. viele unserer landsleute nutzen die religion aus, sie nutzen sie aus, um ihren willen zu rechtfertigen. ein beispiel ist die rolle der frau. aber auch der umgang mir anderen menschen. der internationale terrorismus (leider auffällig viele marokkaner) trägt sein übriges dazu bei.

weißt du, was mein ausweg war? ich sag es dir: glaube fängt im herzen an. ich glaube an gott, aber ich glaube nicht an jene, die meinen, die religion studiert zu haben und alle antworten auf alle fragen zu haben.

es muss sich an der erziehung was ändern. wir haben gleich ein schlechtes gewissen, wenn wir uns z.b. in eine nicht-marokkanerin oder nicht-muslimin verlieben. unsere schwestern dürfen ihr leben nicht so gestalten wie sie es gerne möchten, was ist daran auszusetzen? wenn wir in dieser welt ein fundament für die zukunft unserer kinder legen wollen, wenn wir es hier zu was respektvollem schaffen wollen, dann müssen wir endlich aus dem korsett, den wir uns selbst anlegen, raus. unsere eltern hatten ihn zu lange angehabt, er verschnürt unseren atem, unsere kreativität. bildung ist der schlüssel der zukunft, wissen kann uns niemand wegnehmen. wir haben die chance unsere kinder anders zu erziehen, ihnen den "spagat" zu ersparen. ich für meinen teil jedenfalls, bin mir sicher, dass ich nicht so leben will wie meine eltern. und wenn jetzt jene kommen, die sagen, du verrätst deine kultur, deine wurzeln, deine identität, denen sei gesagt, dass ich genau das gegenteil mache. ich lebe meine kultur (zu der im übrigen auch die deutsche kultur gehört, weil ich hier lebe und aufgewachsen bin, sie ist ein teil meines lebens), meine wurzeln kann ich nicht verleugnen, ich sehe sie jeden tag stolz im spiegel (mein aussehen zeigt mir, wo meine wurzeln sind) oder an tagen, an denen ich meine familie besuche. all das zusammen bilden meine identität. dazu gehören meine freunde: deutsche, perser, spanier, engländer, franzosen, türken...mit ihnen "lebe" ich zusammen. wie soll ich da rein muslmisch-marokkanisch bleiben? mit ihnen bin ich aufgewachsen, wie soll ich da rein marokkanisch-kulturell bleiben? das entscheidende ist der wille was verändern zu wollen. ich will es, für mich, für meine zukunft und für die meiner kinder.

ich könnte noch stundenlang schreiben, aber ich gebiete mir hier an dieser stelle einhalt, bevor ich den rahmen sprenge...in diesem sinne, laßt es euch gut gehen