Guten Morgen,

Fortsetzung von "Geschichte einer Kopftuchträgerin"

Teil III


Dieser Zustand dauerte nicht lange, denn ich begriff schnell, dass diese reglose Beziehung zu Gott für mich unlogisch war und dass ich mir Dinge verbot, die für mich völlig natürlich waren. In der Arbeit z.B. konnte ich die menschliche und gesellschaftliche Seite in meinen Beziehungen zu den Kollegen nicht außer Acht lassen, ich unterhielt mich mit ihnen spontan und freundlich, denn ich konnte nicht verstehen, weshalb ich ihnen stets mit versteinerter Miene begegnen sollte.

Manchmal führte ich interessante Diskussionen mit dem einen oder anderen männlichen Kollegen, doch ich machte schnell der Unterhaltung ein Ende, indem ich es vermied, zu lachen oder Überflüssiges zu sagen, ich hatte nämlich Angst davor, dass man sich ein falsches Bild von mir machte, obwohl ich in meinem Inneren wünschte, die Diskussion weiter zu führen, denn ich hatte mir nichts vorzuwerfen. Auch belanglose Dinge waren für mich beschämend, beispielsweise schämte ich mich, öffentlich zu rauchen, weil das Rauchen und das Image der Kopftuchträgerin sich nicht vereinbaren lassen. Das Gleiche galt auch für das Begrüßen von männlichen Mitmenschen, doch zum Schluss ließ ich mich nicht mehr beirren.

Ich erinnere mich, da ich einmal im Rahmen einer Veranstaltung den Praktikanten Zeugnisse aushändigen sollte, dass viele der Teilnehmer zögerten, mir die Hand zur Begrüßung zu geben, weil ich ein Kopftuch trug. Man hatte mir eine bestimmte Identität verpasst, die eines islamistischen Mädchens, das eine bestimmte Botschaft trägt und vermittelt, egal ob ich es wollte oder nicht.

In der Folge entstand eine Art Disharmonie zwischen dem Kopftuch und meiner Persönlichkeit, dennoch erinnerte ich mich jeden Morgen an das Stück Stoff, das ich tragen sollte, bevor ich das Haus verließ. Im letzten Jahr des Kopftuchtragens spürte ich die unermessliche Last dieses Tuches auf meinem Kopf, ich fühlte mich unwohl und hatte das Gefühl, etwas stimmte nicht in der Gleichung: „Ich mit Kopftuch“ und „Ich ohne Kopftuch“.

In einem bestimmten Abschnitt meines Lebens als Kopftuchträgerin hörte ich regelmäßig Bemerkungen von Mitmenschen, die meine Bekanntschaft machten und über meinen beruflichen Hintergrund Bescheid wussten. Diese Bemerkungen vermittelten stets die Frage: „Warum bloß das Kopftuch?“ Da meine Lebensweise dem nicht mehr entsprach, was man von einer Kopftuchträgerin erwartete. Meine Antwort auf diese Bemerkungen basierte auf der Logik, dass jede Kopftuchträgerin frei leben könne und dass die Religion kein Hindernis darstelle. Doch ich merkte, dass ich unsicher argumentierte und dass meine Antworten nicht überzeugend wirkten, dementsprechend hatte ich das Gefühl, mich selber zu belügen, da ich für etwas plädierte, wovon ich nicht überzeugt war.

Manche sagten mir, dass das Kopftuch vor Sünden hütete, ich aber begriff mit der Zeit, dass das Kopftuch mir meine Freiheit vorenthielt und mich daran hinderte, aktiv in der Gesellschaft mitzuwirken. Ich beobachtete auch, dass nur wenige Kopftuchträgerinnen es in der Gesellschaft zum geistigen, politischen oder wirtschaftlichen Erfolg brachten.


Trennung vom Hijab


Als ich es erwog, mich vom Kopftuch zu trennen, bekam ich überwältigende Angst vor der Strafe Gottes, doch ich kam zu der Gewissheit, dass es nicht Gott ist, der mich daran hinderte, mich vom Hijab zu trennen, sondern der Hijab selber war es, der mir die Kraft gegeben hat, mich von ihm zu trennen. Ich hatte nur noch Angst vor der Reaktion im Umkreis meiner kleinen bzw. großen Familie, sowie vor den Reaktionen der Gesellschaft.

Zweifel und Unentschlossenheit quälten mich hinsichtlich der Richtigkeit meines Vorhabens. In meinem Zwiespalt versuchte ich, die Meinung von Nahestehenden zu erkunden, mein Vater war in Sachen Religion stets flexibel, er hatte ein besonderes Verhältnis zu Gott und er pflegte mir zu sagen, dass Gott größer ist als all die Details, die mich plagten und dass Gott barmherziger ist als all die Strenggläubigen um mich. Seine Ansichten fand ich oft provokant, weil für mich die Religionsbelange heilig waren und nicht diskutiert werden durften.

Als ich anfing, über meine Entscheidungen nachzudenken, waren die Auffassungen meines Vaters die ersten, die mir durch den Kopf gingen und mich bestärkten. Seine Ansichten waren für mich von größter Wichtigkeit, denn obwohl er im Grunde dagegen war, dass ich mich wieder vom Hijab trenne, stand er auf meiner Seite, unterstützte mein Recht auf Entscheidungsfreiheit und sagte zu mir, dass ich in jedem Fall seine Tochter und Teil der Familie bleiben werde. Doch er hatte auch erkannt, dass etwas großes sich geändert hat und war sehr besorgt über die möglichen Reaktionen in der Familie und in der Gesellschaft.

Ich meinerseits machte mir auch bis zum letzten Moment Sorgen über die Reaktionen der Familie. Ich ahnte nach welcher Logik sie das Thema behandeln würden, nachdem ich all die Jahre verschleiert gelebt hatte. Diese Logik kann in einem Satz zusammengefasst werden: Der Hijab ist eine göttliche und unbestreitbare Pflicht, er schützt die Frau vor Missgeschick und erlaubt ihr, die Botschaft des Islams zu tragen.

Die Reaktion der Töchter meiner Tante war zu erwarten, eine heulte am Telefon, nachdem sie erfuhr, dass ich das Kopftuch beiseite legte. Sie sagte zu mir, ich sei das Licht der Familie und sie verdankt es mir, dass sie Kopftuchträgerin wurde. Eine andere Cousine schickte mir Religionsbriefe per Email, auch ein paar meiner besten Freundinnen fingen an zu weinen, als sie mich ohne Kopftuch sahen, sie beteten zu Gott, er möge mich wieder zum rechten Pfad führen und erzählten mir, dass der Hijab eine Art Djihad gegen sich selber und eine Prüfung der Seele sei. Aber alle ihre Versuche, mich zu überreden, blieben erfolglos.

Mein Lieblingsonkel litt viel darunter und hatte schlaflose Nächte, dass ich mich vom Kopftuch trennte. Einmal wollte er mit mir das Thema besprechen und meinte, dass ich wohl die Ausmaße meiner Entscheidung unterschätzte und dass es eine Entscheidung sei, die Einfluss auf Familie und Gesellschaft nähme. Ich antwortete: Ich bitte dich, aber mich interessiert nicht, was die Leute sagen, denn meine Entscheidung ist eine persönliche und die Anderen haben nichts damit zu tun. Was die Familie angeht, das ist ihr Problem und nicht meins.

Teil IV folgt