Hallo Umni und alle anderen,
Die Islamisten haben meiner Meinung nach mehr Rückhalt (v.a. in den armen Bevölkerungskreisen) als so mancher glaubt. Das sieht man doch ganz deutlich an der letztjährigen Demonstration gegen die neuen Gesetzte zur Verbesserung der Frauenrechte. Alle die sich benachteiligt fühlen und auch die Studenten die ihre Chancen auf einen Job sinken sehen, erhoffen sich von den Islamisten und ihren Versprechungen etwas. Dann kommen wie Umniya sagt die Hilfsprojekte in den Armenvierteln und der Aufruf an den König das Auslandsvermögen seines Vaters doch für die Armen einzusetzen. Das kommt an und ist natürlich Politik von unten. Aber so hat es in Algerien auch angefangen und in vielen Staaten die sich nach und nach islamistisch orientiert haben. Erst kommt der Einsatz für die sozial Schwachen um diese zu ködern, dann an die armen Intelektuellen die auch nichts zu verlieren haben und an die Kämpfer für die Gerechtigtkeit. Dass aber in diesem Kampf bis jetzt in allen Ländern die Gerechtigkeit auf der Strecke blieb und die soziale Gerechtigkeit weder bei den Taliban noch bei den Mullahs im Iran oder gar im strengläubigen Saudi Arabien durchgeführt wird, sieht keiner der Anhänger die von der jetzigen Politik enttäuscht sind. Wenn sich die jetzige Politik nicht ändert - und das tut sie nur in so kleinen Dosen, dass ein Fortschritt nur bedingt zu sehen ist, dann fürchte ich wird Marokko ähnlich vorgehen wie Algerien, Tunesien oder Ägypten: Die Islamisten massiv unterdrücken oder ausschalten. Das ist aber keine Demokratie und hat in Algerien erst zum Bürgerkrieg geführt. Ich wünsche mir alles andere als die Islamisten an der Regierung, aber solange sie in der Minderheit sind und zumindest das soziale Gewissen aufrütteln und in der Gesellschaft etwas bewegen, kann es etwas nutzen. Nur der König und die Regierung muss dann was bewegen und wirklich etwas für die Armen tun und nicht jede Rundreise des Königs zu einem Spektakel werden lassen, das die Gemeinden hoch verschuldet weil für Farben und Fahnen über Tausende von Kilometern, Jubelaktionen und Verpflichtung der Hausbesitzer ihre Wände zu streichen (auch unfertige Häuser) Geld ausgegeben wird, das man gut für andere Dinge benötigen würde. Ich war ehrlich gesagt entsetzt über die Staatsbeflaggung im ganzen Land und dem Pomp der mit der Königsrundreise einher ging. entlang der ganzen Strecken wurden mobile Telefonantennenmasten eingerichtet, über all stand Polizei und Militär usw. Erst dachte ich , dass M6 das nicht nötig hat wie sein Vater den Personenkult zu pflegen, aber das Schauspiel zu sehen war einfach unglaublich.
Wie verkrustet die Staatsstrukturen sind haben wir am eigenen Leibe an der Division de la Cartographie in Rabat gesehen. Dort muss jede Karte genehmigt werden die man kaufen will, auch bei den neuen sehr guten Touristenkarten die es von manchen Gegenden gibt. Wenn man nur fragt wie man verfahren muss, wenn man als Buchhandel in Deutscchland die Karten verkaufen will, dann heißt es: Es muss erst ein schriftlicher Antrag gestellt werden, der dann genehmigt werden muss und ob die Genehmigung erteilt wird ist nicht sicher. Unsere Frage ob es denn einen Rabatt gäbe: Nein,nur für Buchhandlungen in Marokko. Die Karte kostet aber stolze 200 DH. Für diesen Preis kauft niemand eine Karte und Geschäfte machen will scheinbar keiner, weil diese an der Bürokratie scheitert. Mein Mann wollte daraufhin den ´Chef sprechen, konnte das auch, aber der erzählte ihm dasselbe und irgendeine Erkenntnis, dass man so keine Geschäfte machen kann, kam ihm auch nicht. Das hat zwar jetzt nichts mit denIslamisten zu tun, aber mit Umniyas Gedanken zum Behördenapparat und den vielen Genehmigungen.
Nun wieder zu den Islamisten: Ich glaube sicher nicht, dass sich die Mehrheit der Marokkaner Islamisten wünscht und ganz sicher keine Gesetzte wie die Scharia oder Zustände wie im Iran. Aber wenn alle Parteien versagen bzw. die Demokaratie im Ansatz stecken bleibt, dann wird das Heil und die Lösung im Islam gesucht. Wenn man jedoch die Weltgeschichte betrachtet, so hat es noch nie einem Volk gut getan wenn es von der Religion bzw. deren Oberhäuptern regiert wurde. Die meisten Kriege auf der Welt wurden im Namen der Religion geführt. Die Auslegung von Religionsgesetzen ist zu vielfältig und der religiöse Fanatismus hat in der ganzen Welt ob beim Islam, Christentum oder Judentum bislang immer dem Volk geschadet. Ich hoffe dass Marokko die Gradwanderung schafft rechtzeitig die Unzufriedenen ins Regierungslager zu bringen und nicht auf die Seite von Scheich Yassine abdriften zu lassen, selbst wenn das was er im Moment sagt oft vernünftig klingt. Aber für mich sind alle religiösen Heilsprediger Wölfe im Schafspelz.
Tenor der Gespräche die wir in Marokko geführt haben war doch die gewisse Zufriedenheit mit der Entwicklung der letzten Jahre und dass keiner mehr die gewonnenen Freiheiten aufgeben will. Auch die Zustimmung zum König war erstaunlich hoch. Überrascht haben mich die Aussagen zum 11. September. Es verurteilt zwar jeder die Anschläge, aber keiner will glauben, dass Usama Bin Laden dahintersteckt.Jeder sagt Al Qaida hat gar nicht die Logistik und die Möglichkeit so etwas durchzuführen.Auch von hochintellegenten Menschen wurde uns mitgeteilt, dass es ich bei den Anschlägen um Verschwörungen der Amerikaner und Juden handeln würde. Keiner will wahrhaben, dass Araber damit was zu tun haben und jeder hat natürlich Angst vor den Folgen, die sich aus dem daraus entstehenden Araberhass ergeben. D.h. aber wieder dass blind argumentiert wird, ohne zu realisieren, dass kein westlich orientierter Geheimdienst oder eine Organisation des Staates Selbstmordattentäter fünden würde, gescheige denn so etwas einen sinn gäbe. So wird eine Verschwörungstheorie nachgebetet, die einem in dem Glauben lässt, Araber sind niemals die Bösen, anstatt zwischen Terroristen und Völkern zu unterscheiden. Das hat mich doch einigermaßen erschüttert. Meine Folgerung daraus ist, dass die Verzweiflung nur groß genug sein muss um wieder auf irgendwelchen Parolen, Heils- oder Hetzpropaganda hereinzufallen. Selbsternannte Heilsbringer und Messiase gibt es genug auf der Welt und wir hatten das beste Beispiel in Hitler, der auch alles besser machen wollte und mit seiner Propaganda das ganze Volk eingewickelt hat.
Warum lernt nur niemand aus der Geschichte?? Die Ursachen (auch beim Terrorismus) müssen erkannt werden, nur so lassen sich Erfolge erzielen.