@Anna,

"Interessant Deine Ausführungen zu "roumi" und "nessrani/n'ssara". Wird denn die Bezeichnung "roumi" gleichwertig mit dem Wort "nessrani" (Christ) verwendet? Hat das Wort "roumi" nicht eher einen etwas negativen Klang, während "nessrani" mehr neutral ist?"

ich stütze mich auf keine untersuchung, sondern auf meine persönliche erfahrung und wahrnehmung.
"roumi" ist, denke ich, ein altmodischer begriff und ich kenne nur noch wenige, die einen europäer oder amerikaner als roumi bezeichnen würden. sprachlich ist die wurzel des wortes augenscheinlich (und wahrscheinlich auch etymologisch) auf rom und römer zurückzuführen. bei einer groben betrachtung kann man schon sagen, dass "roumi" und "nessrani" in der praxis grundsätzlich substitute sind.

beide begriffe haben aktuelle eher einen komplexen klang und werden wirklich nicht herabwertend genutzt. man benutzt eher das wort "kafer" (singular) oder "kuffar" (plural), wenn man europäer und amerikaner als "ungläubige" negativ bezeichnen will. während der kolonialzeit standen die begriffe "roumi" und "nessrani" sicherlich auch für "ungläubige aggressoren und feinde". heutzutage stehen sie für menschen einer welt, der man in der marokkansichen gesellschaft mit widersprüchlichen gefühlen und urteilen begegnet, was zu deiner nächsten frage führt.

"Du schreibst am Schluss, "man bringt den "n'ssara", wie im plural auszusprechen wäre, eher bewunderung entgegen." Kannst Du mehr darüber sagen, wofür man denn "die Christen" bewundert?"

ja. in der marokkanischen gesellschaft bewundert man die angehörigen des westen insgesamt für das, was sie in vielen gesellschaftlichen bereichen an fortschritt und entwicklung erreicht haben. diese bewunderung kann manchmal in lähmende minderwetigkeitsgefühle auf kollektiver ebene auszuarten, zieht man einmal die eigene situation im land in vergleich.

gleichzeitig versteht man nicht, wie man - und besonders die amerikanische gesellschaft - diesen fortschritt und diese entwicklung nicht für die verbreitung von frieden und gerechtigkeit, sondern für krieg und vertreibung nutzt, dass man keine ausreichenden respekt gegenüber anderen kulturen und zivilisationen zeigt, usw. usf..
der westen bietet den marokkanern in der tat eine komplexe und oft auch paradoxe fassade, die zu großen mißverständnissen führt.

gruß
jm