@Zoubair

Wie führende Islamisten Selbstmordattentate rechtfertigen

Enno Dobberke 21.06.2002
Die viel zu ehrlichen Antworten der Islamischen Weltliga zu den jüngsten Selbstmordanschläge führten auf der Berliner Pressekonferenz zu Aufruhr im Auditorium

Der Islam ist lange nicht so hierarchisch organisiert wie das Christentum. Das ist ein Vorteil, weil jeder ganz direkt und ohne Kircheneintritt zu Gott beten kann. Das ist ein Nachteil, weil es viele Fragen zum Islam gibt, aber nur wenige Instanzen, die das islamische Recht (Scharia) mit verbindlichen Antworten (Fatwah) auslegen dürfen. Eines dieser Gremien ist die 1962 gegründete Islamische Weltliga ( Muslim World League), die sich nicht als politisches Organ versteht, sondern als religiöse Vertretung der islamischen Völker. Unter dem Motto "Islam aus erster Hand" wurde am Mittwoch Abend in Berlin zur Pressekonferenz geladen. Auf dem Podium saßen sechs islamische Gelehrte, davon drei aus der Generalsekretariat der Islamischen Weltliga. Im Auditorium saßen neben einer Reihe von internationalen Medienvertretern auch einige Christen. Es interessierte vor allem eine Frage: Wie steht der Islam zu den jüngsten zwei Selbstmordanschlägen dieser Woche in Jerusalem, bei denen 25 Israelis ums Leben kamen?



Den Islam verstehen heißt, sich zunächst an seine Sprache zu gewöhnen. Direkte Antworten sind darin seltene Ausnahmen. Man mäandert vom Allgemeinen zum Besondern und schließlich zur Antwort. Nicht selten auch vorsätzlich an ihr vorbei. Offenbar hatte die Islamische Weltliga mit der Frage nach den Anschlägen gerechnet. Gleich zur Einführung versuchte Dr. Mohamed Schama, Dozent für Sprachen und Übersetzung an der Al-Azhar-Universität in Kairo, den Islam vom Stigma des Terrors zu befreien. Die Worte Islam und Salam hätten den gleichen Wortstamm, nämlich Frieden, was jede Aggressivität verbiete. Schon im Koran stehe in Sure 5.32 sinngemäß, dass wer einen Mensche tötet, die Menschheit insgesamt tötet. Grundprinzip des Islam sei die Verkündung des Glaubens mit Weisheit, die liebevolle Bekehrung der Ungläubigen, sowie die ruhige und freundliche Diskussion mit ihnen.

Im Publikum zeigte sich wenig Begeisterung ob des allgemeinen Friedensangebots des Orients. Ob der Islam denn nun die Selbstmordanschläge billige, hakt eine engagierte Christin aus dem Publikum nach. Nun versuchte sich Generalsekretär Kamel Ismael Al-Sharif mit einer Antwort. Der Islam setze den Dialog vor den Kampf. Nur habe Israel einen Kriegszustand herbeigeführt, in dem alle Mittel eingesetzt würden. Den Palästinensern bliebe nur die Wahl, getötet zu werden oder selbstbestimmt zu sterben. Einen Selbstmord aus religiösen Gründen kenne der Islam nicht. Nur einen aus politischen Gründen. Damit schließe sich der Kreis zu den Ungerechtigkeiten Israels. Die feine Differenzierung zwischen Politik und Religion sorgte für Unmut im Auditorium. Eine Ungläubige schimpfte laut, dass den Märtyrern doch ganz religiös ein Leben im Himmel mit 72 Jungfrauen versprochen werde. Niemand auf dem Podium reagierte auf den Einwurf.

Ein junger Moslem erhob sich aus dem Publikum und sagte, er wolle die weise Weltliga mit seiner Frage nicht an den Pranger stellen. Der Koran sage doch, ein Schwert dürfe niemals gegen Unbeteiligte erhoben werden. Bei den Selbstmordanschlägen in Israel kämen jedoch unschuldige Frauen und Kinder zu Tode. Er verstehe das nicht. Die Frage wurde auf dem Podium hin und her geschoben. Schließlich versuchte es Dr. Mohamed Schama mit einem Vergleich, bei dem ein Fremder ins Haus kommt, den Besitzer niederschlägt und den Fuß triumphierend auf dessen Kopf drückt. Nun wurde es laut im Raum 3-4 des Presseclubs. Einige erhoben sich und protestierten. Das sei doch keine Antwort, hieß es. Das könne man nicht vergleichen. Der konkrete Okzident war mit dem im Prinzip eher allgemeinen Orient sehr unzufrieden. Typisch Islam, sagte jemand, direkte Antworten kriege man nie, weil es offenbar keine gebe.

Besonnen blieb nach diesem Vergleich nur der junge Moslem. Er hakte nach: Und die unschuldigen Kinder? Da explodierte Dr. Schama und fing an, wild mit den Armen zu fuchteln. Er schimpfte, die israelischen Kinder seien die zweite Reihe hinter der Armee. Schon auf dem Spielplatz übten sie sich im Erschießen von Palästinensern. Nun herrschte Aufruhr im Saal. Die ersten verließen den Raum. Dr. Schama sprach einfach weiter. An dieser Stelle schaltete ihm der 1. Mann der Weltliga, Dr. Abdullah Abdelmuhsin Al-Turki, in weiser Voraussicht das Tischmikrofon aus. Er warf dem emotional aufgebrachten Dr. Schama böse Blicke zu. Langsam versuchte Dr.Al-Turki, die Islamische Weltliga zu ihrer Verantwortung als Auslegungsinstanz der Scharia zurückzuführen. Dr. Schama lehnte sich derweil enttäuscht zurück. Für ihn war es das Ende der ruhigen und freundlichen Diskussion zum liebevollen Bekehren der Ungläubigen.