Algerien: Staatliche Repression gegen die eigene Bevölkerung
3. Gemeinsame Erklärung von masirischen Vereinen *) in Deutschland

Seit Ende April 2001 hat sich in der Kabylei/Algerien eine politische Dynamik entwickelt, über deren Umfang und historische Bedeutung in den deutschen Medien kaum berichtet worden ist. Aus der spontanen Revolte der sozial und kulturell frustrierten Jugend gegen die Brutalität der Gendarmerie und die Willkür der Machthaber wurde eine strukturierte und dauerhafte Bürgerbewegung. Damit ist eine alte Gesellschafts- und soziale Organisationsform - die Arusch (Gemeinderäte) - wiederbelebt worden. Sie haben die Forderungen und die Belange der Bevölkerung aufgenommen, die chaotisch wirkenden Demonstrationen strukturiert und gebündelt. Es entstand eine übergeordnete Organisation, die CIW: Coordination Inter Wilayates (= Länder, 7 an der Zahl). Die CIW hat eine horizontale Struktur, die Manipulationen durch das Regime vereiteln soll. Die Delegierten stellen sich alle 4 Wochen der Wahl durch die Basis. Die CIW möchte mit friedlichen Mitteln die Forderungen der kabylischen Bevölkerung durchsetzen: die friedliche Bürgerbewegung der Kabylei ist geboren.
Die Delegierten der CIW hielten seit Mai 2001 alle 4 Wochen eine Klausurtagung. Es sind Ingenieure, Rechtsanwälte, Techniker, Lehrer, politisch erfahrene Bürger, die mit friedlichen Mitteln (s. Berber Frühling 1980) bereits versucht hatten, bestimmte Forderungen der Masirischen Bevölkerung publik zu machen.

Die Klausurtagung vom Montag, den 11. Juni 2001 in El Kseur/Bgayet führte zur sogenannten „Plattform von El Kseur“ (s. Anlage). Dieses 15-Punkte Papier kann in 3 Kapitel eingeteilt werden: politisch, sozialökonomisch und kulturell. Da die Machenschaften des Regimes bekannt sind und um Manipulationen zu verhindern, wird die Plattform als „versiegelt und unverhandelbar“ betrachtet. Die Delegierten haben einen Ehrenkodex beschlossen, der ihnen jegliche Verhandlung der Punkte verbietet, solange die Plattform nicht öffentlich ganz und vollständig durch die Machthaber anerkannt wird. Dieses Ziel will die Bürgerbewegung entschieden durch friedliche Mitteln erreichen.
Es wurden mehrere Großdemonstrationen erfolgreich organisiert. Seit der mit Staatsgewalt am 14. Juni 2001 vereitelten Demonstration wurden in Algier alle Kundgebungen verboten. Die Plattform von El Kseur konnte nie eigenhändig dem algerischen Präsidenten ausgehändigt werden. Auch das Einreichen der Plattform bei der UNO-Vertretung in Algier wurde brutal verhindert.
Anstatt sich der Forderungen der Bevölkerung anzunehmen, hüllte sich das Regime in Schweigen und ignorierte sie: eine Verachtung der eigenen Bevölkerung! Die Machthaber haben Pseudodelegierte ins Leben gerufen, um die wahren Vertreter der Bevölkerung zu diskreditieren Aber alle Versuche, die Bürgerbewegung zu schwächen und zu spalten, scheiterten. Die Legislaturperiode des jetzigen Parlaments geht bald zu Ende. Das Regime der gefälschten Wahlen von 1997 rief in einer politisch und sozial brisanten Lage in der Kabylei für den 30.05.02 zu Parlamentswahlen auf. Dabei kann von einer Normalität überhaupt nicht gesprochen werden. Eine ganze Region befindet sich seit 11 Monaten in Auffuhr! Und wir sind weit entfernt von „Ein Mensch, eine Stimme“! All das führte die CIW in einer Klausurtagung am 08.03.02 dazu, die Wahlen aktiv in der Kabylei boykottieren und verhindern zu wollen.

Die Ereignisse in der Kabylei/Algerien haben sich seit der letzten März-Woche 2002 dramatisch entwickelt. Das Regime, das sich mit allen Mitteln an der Macht halten will, entschied sich, die „Köpfe“ der Bürgerbewegung zu verhaften und die kabylische Bevölkerung mit einer noch nie da gewesenen Repression und Menschenjagd einzuschüchtern. Entführungen und willkürliche Verhaftungen sind seitdem an der Tagesordnung. Das Motto der Jugendlichen seit Beginn der Ereignisse im April 2001: „Ihr könnt uns nicht töten, wir sind bereits tot“ ist in abgewandelter Form zum Motto der Erwachsenen geworden: „Ihr könnt uns nicht verhaften, wir sind bereits im Gefängnis!“
Das Leiden der kabylischen Bevölkerung unter der starken Repression ist in diesen Tagen sehr groß: Es ist erneut der Verlust von 4 Menschenleben durch Schüsse der Sichheitskräfte zu beklagen. Seit April 2001 sind es 111 Opfer. Dabei sollten die Sicherheitskräfte doch eigentlich die Bevölkerung schützen.

Helfen Sie mit! Unterstützen Sie nach Ihren Möglichkeiten diese friedliche Bürgerbewegung, ein Hoffnungsträger für eine echte Demokratie und einen Neuanfang in Algerien. Tragen Sie dazu bei, daß die Bürgerbewegung die Forderungen der Bevölkerung in der Plattform von El Kseur friedlich durchsetzen wird: Schreiben an Ihren Bundestagsabgeordneten und an den Bundesaußenminister. Fordern Sie mit uns:
- Jegliche Form der Gewalt gegen die Bevölkerung zu beenden.
- Die sofortige und bedingungslose Freilassung aller entführten und inhaftierten Bürger und Volksdelegierten seit April 2001 („Der schwarze Frühling“).
- Die Einstellung aller juristischen Vefahren.

*) Liste der Vereine: Tighri Umazigh di Lalman/Ruf der Imazighen in Deutschland e. V.; Masirischer Nordafrika Verein e. V.

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Erstelldatum April 2002