Hallo Silla und restliche Diskusionsberber!

Erst mal vielen Dank an Dich Silla, daß Du so sensibelisiert bist, zu einem jetzt gerade ruhigerem Zeitpunkt ein so heißes Thema hier reinzuschmeißen. So viel ich weiß gibt es Amazighen, die den Ausdruck "Berber" als einen eher unpassenden Namen für Ihresgleichen ansehen. Hat wohl einen etwas verallgemeinernden Beigeschmack für Sie.
Vorweg muß ich gleich darauf hinweisen, daß die jetzt folgenden Erfahrungen und Schilderungen aus dem mittleren und hohen Atlas sind.
Spannungen zwischen Amazighen und Arabern sind der ganz normale Alltag in Ma.
Äußerlich erkennt man die Amazighen an:
Tätowierungen im Gesicht, den Händen und Füßen bei Frauen. Die Kleidung ist traditioneller und ortstypischer. Frauen binden das Kopftuch anders und vorallem ältere Männer tragen noch Turban. Das Kopftuch wird von vielen Amazight-Frauen als Sonnen und Kälteschutz angesehen. Es wird nicht so weit ins Gesicht gezogen und hat oft auffällige Franzen. Einen Schleier findet man bei Ihnen selten. Die Gesichtshaut und der körperliche Verschleiß ist durch die eher naturverbundene Arbeits und Lebensweise anders. Tamazight-Akzent in der Aussprache sind oft ein Beweiß der Herkunft und ein Grund für anfängliches Mißtrauen der Araber. Amazighten sprechen (auch die Analphabeten) meisens 2 Sprachen nämlich Tamazight und marokanisch-Arabisch.
Araber sprechen sehr selten Tamazight und in der Schule wird als 2.Sprache Französisch unterrichtet. Die Tamazight-Sprache ist von der Ausdrucksweiße der Deutschen Sprache ähnlich. Arabisch wird im Hals erzeugt und nicht so mit Gaumen und Nase wie wir es gewohnt sind. Von vielen Arabern und dem Staat wird oder wurde die Sprache der Amazighten als nicht Eigenständig und nicht erlernenswert betrachtet.
Im Familienalltag genießt die Frau mehr Freiheiten in den Punkten: Alleine Reisen,selbstständige Arbeit(angeblicher Männerarbeit),Machtworte bei der Kindererziehung.
Was die Nachfrage von Rechten der Amazighten betrifft,weiß ich etwas über die Ait Hadidu. Sie haben und richten sich nach eigenen traditionellen Gesetzen was das Tema Heiraten,(Beispiel Heiratsmarkt in Imillchil),Erbschaften, Wasserverteilung, entlohnung von Viehhirten und die Bestrafung von Tätern betrifft. Solche wenn auch alte Rechte und Gesetze werden immer noch anerkennt und respektiert. Von Hanfbauern im Riff(im deutschen TV gesehen) weiß ich das Sie noch alte Genemigungen zum Anbau von Hanf besitzen, die immer noch gültig sind.
Die Unterdrückung der Amazighen fängt wie schon Kojote schrieb, in der Schule an. Es werden Nichttamazightsprechende Lehrer in die 1. Klasse der Grundschulen geschickt die sich mit den Schulanfängern nur schwer mündlich verstädigen können. Oft sind es Kinder die den Lehrern Tamazight-Unterricht erteilen. In vielen tamazightsprechenden Gegenden gibt es chronischen Lehrermangel, obwohl eine Menge Lehrer arbeitslos sind. Für die Lehrer ist es unattraktiv in entfernten Berberdörfern zu unterrichten. Oft gibt es keine Straße, keine Unterkunft, Frühstück, Essen und Trinken müßen die Schulkinder besorgen, Strom gibs nur aus einer aufgeladenen Autobatterie. Den Staat interessieren Transport und Unterkunft auch finanziell nicht, was zur Folge hat: Lehrer kommen oft nicht zum Unterricht,sind krank oder bitten um baldige Versetzung. Kontrollen von der Schulbehörde sind wegen der strapatiösen Anfahrtswegen nicht zu erwarten.
Was den Arbeits und Lebensalltag betrifft sind die Amazighen zäher, jammern weniger und haben sich mit harter körperlicher Arbeit eher abgefunden als Ihre arabischen Kollegen. Deshalb arbeiten die Amazighen mehrheitlich in der Landwirtschaft. Meiner Meinung nach ist dies auch ein Grund die Amazighen klein, und ungebildet zu halten um nicht eines Tages von Ihrem Fleiß und Ausdauer übervorteilt zu werden. Ähnliches kann man auch bei den Kurden beobachten. Egal wie erniedrigt,verjagt und benachteiligt Sie werden, mit Ihren landwirtschaftlichen Fähigkeit und Zähigkeit können Sie immer wieder von Null anfangen um zu überleben.
Die Ungerechtigkeiten werden auch dem einfachen und armen Amazighen bewußt weil es bekannt ist, daß in der Sahara Grundnahrungsmittel, Diesel, Benzin vom Staat subvensioniert werden und somit nur die Hälfte kosten als im übrigen Land.
Trotz vieler Dürrejahre hat der Staat sich nicht ausreichend um Sraßenbau,Srom und Wasserversorgung im Gebieten der Amazighten gekümmert. Eine Folge davon ist, daß sehr viele Berg-Bewohner in Großstädte wie Casa umsiedelten. Die Kleinlandwirtschaft wurde vernachläßigt und Lebensmittel müssen teuer und volkswirtschaftlich schädigend eingeführt werden. In den Großstädten beginnt dann aufgrund der vielen Zugezogenen ein Verdrängungswettbewerb mit Arabern was natürlich zu Spannungen der beiden Gruppen führt. Ein Amazight wird dann schon mal als "Fellah"(Bauer) herabgewürdigt. In der alltäglichen Auseinandersetzung aber hat nicht selten der Bauer die größere Ausdauer weil er ja mit dem harten unbequemen Leben besser zurechtkommen gelernt hat. Im Kampf um einfache Arbeitsstellen sind die Amazighen meist im Vorteil auch deshalb, weil viele Reiche Araber Ihre Geradlinigkeit,Stolzheit und Ehrlichkeit zu schätzen wissen und Sie deshalb bei Vertrauensposten wie Hausmeister, Wächter, Privatadjudanten und Hausdiener bevorzugen. Auch Hausmädchen werden oft von reichen Familien in Bergregionen persönlich gesucht, weil die Kinder fleißiger, respektvoller und weniger verdorben sein sollen, als Mädchen die in einer Großstadt aufwuchsen.
Im Zusammenhang mit Stolz, Ehre usw. fällt mir gerade ein Erlebniss ein. Vor ca. 8 Jahren wurde nahe unserem Erdteil in den Bergen von Ma einem arabischen Lehrer ein Butangasflasche aus seinem Zimmer neben der Schule gestohlen. Der näheren Umgebung war das sehr unangenehm. Der Lehrer meldete den Diebstahl unserem arabischen Polizisten welcher sich nicht sonderlich um die gestohlene Gasflasche kümmerte. Bei den nahen Bewohnern aber war dieser Diebstahl Hauptgespräch und Sie kümmerten sich selber um die Aufklärung, weil Sie sich schämten das so etwas einer angesehenen Respektsperson wie dem Lehrer wiederfahren mußte. Nach ein paar Tagen wurde die Gasflasche in einem kleinem Gemischtwarenladen nahe unserem Souks wiedererkannt. Der Ladenbesitzer(Amazight und praktizierender Moslem) wollte den Dieb schützen und seinen Namen nicht preisgeben, auch weil er sich sicher fühlte, da es ja sehr viele gleiche Gasflaschen gab.
Er hatte aber nicht bedacht, daß wenn man selber mit seiner Gasflasche stundenlang kocht, diese auch sicher an den Spuren der Kocherei wiedererkennen kann. Der Ladenbesitzer wollte dem Lehrer die Gasflasche nicht mehr zurückgeben da er Sie ja dem angeblichem Dieb bezahlt hatte. Der Bestohlene ging daraufhin zur Polizei zurück und für die war es leichtes Spiel auch weil sich noch ein Zeuge gemeldet hatte. Die Polizisten mußten nur wenig Prügel anwenden um den Namen des Diebes zu erfahren. Der Dieb war allen als Nachbar bekannt und er ist noch rechtzeitig in eine andere Stadt verschwunden von wo er bis heute nicht mehr in sein Elternhaus zurückgekehrt ist.
Es gibt im Atlas Gegenden wo "Man" mißtraut wird, nur wenn er Zigaretten raucht oder Karten spielt. Von Politik haben diese Menschen soviel Ahnung wie ein Sack voller Kohlen, hell ist. Auch ich hab von Ma-Politik keinen blassen Schimmer,so das ich mich nicht traue mit belesener Umnija fachzusimpeln.
Was ich weiß hab ich gesehen oder ist mir persönlich zugetragen worden wie z.B. eine Wahl vor ein paar Jahren im hohen Atlas. Weil die Bodenständigen dort nur sehr sehr wenig Interesse an großer Politik haben, kann man Ihnen 10 mal am Tag erklären wer der Premierminister in Ma ist. Am nächsten Tag wenn man Sie erneut fragt wissen Sie den Namen nicht mehr und die Antwort ist dann immer wieder: "der König". Mehr wissen viele oft nicht und wollen auch gar nicht mehr wissen. Sie geben dem Staat nichts und erwarten im Gegenzug auch nicht sehr viel. Diese Unwissenden sind einfach nur froh wenns regnet und die Familie gesund ist. Das restliche Leben ergibt sich dann schon irgendwie.
Nun zurück zu dem beobachteten Referendung in meiner 2. Wahlheimat f Schibill. Muß doch erst mal noch etwas schmunzeln so lustig wars für mich als Ausenstehenden wenn ich mich daran erinnere. Auf unserem Marktplatz gab es für verschiedene Parteien und Personen Wahlkarten mit verschiedenen Farben.Die Farben deshalb weil die meisten Wähler nicht lesen und schreiben können. Weil eh Niemand Keinen kennt wird vom Wahlhelfer ausgeforscht wieviel Stimmberechtigte ein Familienoberhaupt mitbringt.Die Wahhelfer haben zum Teil gefüllte Kassen und Ihre Aufgabe ist es nach Bedarf von den Ahnungslosen zu kaufen. Für jede Stimme gibts zwischen 20 und 100MAD. Als Beweis für die Investition der Wahlhelfer muß dann der Oberwähler die Übriggebliebenen Farbkarten von sich und seinen Familienmitgliedern herzeigen als Bestätigung für die richtige Wahl. Genau hier macht bei manchen Wählern die Unterdrückung einen weiteren Anfang. Aus verschiedenen Gründen haben die Wähler Ihre übriggebliebenen Farbkarten nicht hergezeigt. Manche haben einfach aus Geldgier oder Spaß bei allen abkasiert, für Andere ist die Wahl wirklich geheim und Sie nahmen den Kaffee nur so auf Kumpelsbasis, die Nächsten haben sich einfach davongeschlichen um keine Rechenschaft abzugeben usw. Im Wesentlichen aber sind sich viele gleich oder ähnlich. Sie wissen nicht was Sie tun und Sie wollen es auch gar nicht so recht wissen. Die Personen die Sie Wählen sollten sind ja eh reich und das Geld für den Stimmenkauf kommt später doppelt und 3fach wieder zurück.
Außer S.M. der König und seiner Familie gibt es doch kaum eine wirklich wichtige Person, und Ihn braucht man nicht zu wählen, ist die Meinung vieler Wähler.
Das Königsbild hängt in vielen Wohnzimmern,Läden,Straßenlaterne(mit sep. Beleuchtung),und Amtsstuben. Wie klein und unwichtig erscheint dagegen eine Parlamentswahl für die Außenstehenden.
Fati, Dein Verständigunsproblem mit Ma-Behörden kann ich zwar glauben aber irgendwie nicht so richtig verstehen. In marokanischen Behörden wird doch Schularabisch und Ma-Arabisch gesprochen und oft gibts dann noch vieles in französischer Sprache. Da es in Ma 3 veschiedene Tamazightsprachen gibt kann man von einer Behörde diese nicht auch noch abverlangen zumal es den Behörden nicht erlaubt ist oder war, Amtsgeschäfte in einer nicht eigenständigen Sprache abzuwickeln. Oder liegt es an Dir, daß Du vielleicht in D aufgewachsen bist und nur Deine Muttersprache und nicht die Amtssprache gelernt hast. Deutsch jedenfalls schreibst Du besser als ich und beim Ma-Konsulat wird doch bestimmt auch Deutsch gesprochen oder?

Für heute Tschüss mit der Bitte an die Araber sich nicht aufzuregen da ich auch andere Ansichten problemlos anhöre

Josef