CD der Woche

Ya-Rayi - Khaled 22.11.2004

Schwerer Whiskeymissbrauch wurde ihm unterstellt, Alkohol und Nikotin sollten seine Stimme zerstört haben. Fünf Jahre ohne ein neues Album sind eine lange Zeit, in der sich viele Gerüchte und Geschichten breit machen können. Beim Zusammentreffen mit Khaled ist nur eins sicher: Der Mann wird nie erwachsen werden, auch wenn er den Namenszusatz Cheb (für jung) schon lange abgelegt hat! Sein unverschämt breites Jungenlächeln wird ihn bis zum Lebensende begleiten und seine Stimme trägt ihn auch bei seiner 6.CD durch die schwierigsten Passagen. Mit „Ya-Rayi“ kehrt der wichtigste Mann im Rai zurück in seine Heimat und zu seinen Ursprüngen. Zwei Legenden der maghrebinischen Musik hat er zu sich ins Studio eingeladen, den Sänger Blaoui Houari, der seit den Vierziger Jahren von den Träumen der Algerier singt und den jüdisch-arabischen Pianisten Maurice El Medioni, ein Pionier der algerischen Popmusik. Beide sind zwischen 75 und 80 Jahre alt und gelten als Vorläufer des Rai. Khaled brachte den nach wie vor in Oran lebenden Blaoui und den in Marseille ansässigen Medioni nach über 40 Jahren erstmalig wieder zusammen. „Mani Hani“ und H’Mama“ sind dabei entstanden, zwei außergewöhnlich schöne orientalische Balladen, die in eine verflossene Ära entführen und bei denen sich Khaled ganz und gar als altmodischer Crooner aufspielen darf. Die Drum-Computer und Syntheziser mußten ohnehin viel Platz machen für traditionelle maghrebinische Instrumente und Khaled hat nicht nur endlich wieder zu seinem Akkordeon gegriffen für die Aufnahmen, sondern auch zu Darbukka und Mandoline. „Ya-Rayi“ ist – allem Groove, Funk und Blues zum Trotz - auf der ganzen Strecke eine Abkehr vom Zwang international sein zu müssen und nicht nur in den durchweg arabischen Texten eine deutliche Liebeserklärung an die nordafrikanische Heimat. Sogar die alte Feindschaft zwischen seiner Geburtsstadt Oran und der Hauptstadt Algier um die musikalische Vorherrschaft läßt er links liegen. Mit einem Chaabi-Orchester aus Algier hat Khaled zum ersten Mal seit er im französischen Exil ist wieder Aufnahmen in seinem Heimatland gemacht. Von einem Streichorchester aus Kairo hat er sich mit Cello, Darbukka, Ney und Banjo begleiten lassen, daß einem die Knie weich werden. Und auch unter seinen Produzenten (die alten Komplizen Don Was und Philippe Edel, sowie der Boss der afrikanisch-karibischen Band Kassav Jacob Desvarieux) ist erstmalig ein junger Algerier, Farid Aouameur, bislang vor allem für Amr Diab oder Takfarinas tätig. Khaled ist, auch wenn er manchmal so bezeichnet wurde, noch nie ein Rebell gewesen, schon als ganz kleiner Junge wollte er nur der größte Sänger der Welt werden. „Das Abitur war nicht in meinen Genen“, bekennt er und freut sich heute noch darüber, daß er wegen seiner Gesänge das meistgeliebte Kind im Viertel war. Rai heißt Meinung, „Ya-Rayi“ heißt: „Meine Meinung“ – die Ikone dieser Musik ist „Back to the Roots“ und wir können uns damit die vielen langen Winterabende aufwärmen.

Autorin: Anna-Bianca Krause
Quelle: Funkhaus Europa