Gespräche zwischen Sokrates zu Glaukon
Teil 2 - Das Sonnengleichnis







Es gibt doch, wie wir behaupten, eine Vielheit von Schönem, sagte ich, eine Vielheit von Gutem und so überhaupt von jedem, das wir es auch in der Rede näher bezeichnen.

Ja.

Wir setzen aber auch wieder ein Schönes an sich, ein Gutes an sich, und so überhaupt alles, was wir erst als eine Vielheit hinstellten, nach der einheitlichen Idee eines jeden, als wäre es eine Einheit, und bezeichnen es als das, was ist.

Es ist so.

Und von dem einen behaupten wir, dass es sichtbar und nicht denkbar, von den Ideen wiederum, dass sie nur denkbar und nicht sichtbar sind.

Ja, allerdings.

Womit an uns sehen wir nun die sichtbaren Dinge?

Mit dem Gesichte, erwiderte er.

Nicht wahr, sprach ich, und mit dem Gehöre die hörbaren und mit den übrigen Sinnen alle sinnlich wahrnehmbaren Dinge?

Wie sonst?

Hast du denn nun auch, fragte ich, bemerkt, wie der Bildner der Sinne das Vermögen des Sehens und Gesehenwerdens viel edler geschaffen hat?

Nicht doch, antwortete er.

Nun, so gib einmal acht: Bedarf Gehör und Stimme irgend eines anderen Dings, damit das eine hört, die andere gehört wird, so dass in Ermangelung jenes Dritten das eine nicht hören, die andere nicht gehört werden könnte?

Nein, sagte er.

Ich wenigstens glaube, fuhr ich fort, dass auch nicht die meisten anderen Sinne, um nicht zu sagen keiner, etwas derartiges bedarf; oder kannst du einen angeben?

Ich wenigstens nicht, antwortete er.

Von dem Sinne des Gesichtes und der sichtbaren Welt siehst du aber ein, dass er eines solchen bedarf?

Wieso?

Wenn in Augen sich ein Sehvermögen befindet und der Besitzer es zu gebrauchen sucht, wenn andererseits auch Farbe darinnen ist, so weißt du, dass, falls nicht ein eigens dafür geschaffenes Drittes vorhanden ist, der Gesichtssinn nichts sieht und die Farben unsichtbar sind.

Nun, von was sprichst du denn da? fragte er.

Von dem, was du bekanntlich, sagte ich, Licht nennst.

Ja, richtig bemerkt, sprach er.

Nach keinem schlechten Vorbilde also ist der Gesichtssinn und das Vermögen des Gesehenwerdens durch ein edleres Band verbunden als bei den übrigen Verbindungen, wofern das Licht nichts Wertloses ist.

Nein, wahrlich, antwortete er, wertlos ist es auf keinen Fall.

Welchen der Himmlischen kannst du nun als Urheber davon angeben, dessen Licht unseren Gesichtssinn ganz klar sehen und die sichtbaren Gegenstände gesehen werden lässt?

Nur den, erwiderte er, den alle Welt dafür ansiehst. Denn nach der Sonne fragst du offenbar.

Verhält sich nun das Gesicht zur Sonne naturgemäß so?

Wie?

Die Sonne ist der Gesichtssinn weder selbst, noch das Ding worin er sich befindet, was wir bekanntlich Auge nennen.

Ja, freilich nicht.

Aber am sonnenartigsten ist er doch wohl unter allen Sinneswerkzeugen.

Ja, das allerdings.

Und nicht wahr, das Vermögen, das er besitzt, erhält er von dorther gespendet wie etwas, das ihr von dorther zufließt?

Jawohl.

Nicht wahr, auch die Sonne ist kein Gesichtssinn, wohl aber die Ursache davon und wird von eben diesem gesehen?

Ja, sagte er.

Unter dieser Sonne also, sagte ich, denke dir, verstehe ich den Sprössling des Guten, den das Gute als sein Ebenbild zeugte, und was es selbst im denkbaren Bereich in Bezug auf Denken und Gedachtes ist, das ist diese im sichtbaren Bereich in Bezug auf Gesicht und Gesehenes.

Wie, sprach er, erkläre mir es noch weiter!

Wenn man die Augen, entgegnete ich, nicht mehr auf das richtet, auf dessen Oberfläche das helle Tageslicht fällt, sondern nur nächtliches Geflimmer, so sind sie, wie du weißt, stumpf und scheinen fast beinahe, als wäre kein rechtes Sehvermögen in ihnen.

Ja, sicher, sprach er.

Richtet man sie aber auf das, worauf die Sonne scheint, sehen sie, meine ich, klar, und in eben den selben Augen scheint dann Sehvermögen zu sein.

Freilich.

So denke dir nun auch das Verhältnis bei der Seele folgendermaßen: Wenn sie sich auf das richtet, was Wahrheit und Sein bescheint, erfasst und erkennt sie es und scheint Vernunft zu haben; richtet sie sich aber auf das mit Finsternis Vermischte, das Werdende und Vergehende, so meint sie nur, ist stumpf, indem sie die Meinungen hin und her wechselt, und gleicht einem, der vernunftlos ist.

Ja, dem gleicht sie dann freilich.

Das nun, was dem Erkannten Wahrheit verleiht und dem Erkennenden das Vermögen, sage, sei die Idee des Guten: Denke sie dir als Ursache der Erkenntnis und der Wahrheit, sofern sie erkannt wird; und obgleich beide, Erkenntnis und Wahrheit, etwas so Herrliches sind, wirst du unter ihr selbst zu Recht noch etwas weit Herrlicheres vorstellen; wie es vorhinrichtig war, Licht und Gesichtssinn für sonnenartig zu halten, sie sich aber als Sonne vorzustellen nicht richtig ist, so ist es auch hier recht, jene beiden für gutartig zu halten, aber unrichtig, eine von beiden sich als gut vorzustellen, nein, das Wesen des Guten ist noch höher zu schätzen.

Von einer unvorstellbaren Herrlichkeit, sagte er, sprichst du da, wenn sie Erkenntnis und Wahrheit ermöglicht, selbst aber noch an Herrlichkeit über diesen beiden stehet; denn Sinnenlust verstehst du gewiss nicht darunter.

Versündige dich nicht! sprach ich. Betrachte lieber ihr Bild noch so!

Wie?

Du wirst wohl einräumen, glaube ich, dass die Sonne dem Gesehenen nicht nur die Sichtbarkeit verleiht, sondern auch Werden, Wachsen und Nahrung, ohne dass sie selbst ein Werden ist?

Das ist sie nicht!

Und so räume denn nun auch ein, dass dem Erkannten von dem Guten nicht nur das Erkanntwerden zuteil wird, sondern ihm auch Sein und Wirklichkeit zukommt, ohne dass das Gute Wirklichkeit ist, sondern vielmehr an Würde und Macht noch über die Wirklichkeit hinausragt.

Da rief Glaukon mit einem Lachen aus: Beim Apollon, welch göttliches Übertreffen!






When the rich wage war
is the poor who die.
LP