Hallo zusammen,

ein Artikel aus der Badischen Zeitung.

Viele Grüße


http://www.badische-zeitung.de/meinung/kommentare/amtseid-auf-die-bibel-und-den-koran


BZ-GASTBEITRAG: Wolfgang Jäger zeigt am Beispiel USA, dass sich westliche Demokratie und Islam nicht widersprechen müssen.
( Der Autor ist Politikwissenschaftler und war Rektor der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. )


Es ist paradox. Die USA sind der Hauptfeind der fundamentalistischen Muslime.
Zugleich sind die dort lebenden Muslime besser integriert als die in allen anderen westlichen Demokratien.

In seiner Rede an die islamische Welt vom 4. Juni 2009 in Kairo sagte Präsident Obama:
"Der Islam ist ein Teil von Amerika."
Er wies darauf hin, dass das erste Land, das die USA anerkannte, das muslimische Marokko gewesen sei (1777).

Seit ihrer Gründung hätten die amerikanischen Muslime die USA bereichert:
"Sie kämpften in unseren Kriegen, dienten in der Regierung, setzten sich für die Bürgerrechte ein, gründeten Firmen, lehrten an Universitäten, zeichneten sich in den Sportarenen aus, gewannen Nobelpreise, errichteten unser höchstes Gebäude und entzündeten die olympische Fackel."


Schon in der Debatte über die Religionsfreiheit Ende des 18. Jahrhunderts spielten die Muslime eine Rolle – damals in einem Zug mit den Katholiken. So befürchteten Kritiker des Verfassungsentwurfs, dass in 400 oder 500 Jahren auch ein Papist oder Mohammedaner Präsident werden könnte.

Der Katholik Kennedy schaffte es bekanntlich früher. Ein muslimischer Präsident steht noch aus.

Der islamische Anteil der US-Bevölkerung wird auf zwei bis drei Millionen geschätzt. 65 Prozent sind im Ausland geboren, ein Großteil in arabischen Ländern, die übrigen in Pakistan, Iran und Südostasien. Etwa 20 Prozent der amerikanischen Muslime sind Afroamerikaner.

Einkommen und Ausbildung der amerikanischen Muslime entsprechen dem Durchschnitt der Bevölkerung.
Nur zwei Prozent gelten als Geringverdiener.
Diese sind im wesentlichen Afroamerikaner.
Ein wichtiger Grund für die gute sozioökonomische Situation der Muslime ist ihre Selbstauslese: Nur gut Ausgebildete wandern ein, die bereit sind, sich in der sozialpolitisch schwach abgestützten Gesellschaft der USA hochzuarbeiten.

Die meisten Muslime sind mit ihrem Leben in den USA zufrieden und sagen, dass sie dort nie Diskriminierung erlebt hätten – auch nicht nach dem Anschlag auf das World Trade Center.
Die unzufriedenen Muslime "sind überwiegend Afroamerikaner, die ökonomische und soziale Diskriminierung als ,Schwarze’ erlebt hätten" – so die Kulturwissenschaftlerin Maria Pally. Die Ursachen dafür sind also nicht vorrangig religiöser, sondern ethnischer Natur.

Die USA betreiben eine andere Integrationspolitik als Europa. Sozialwissenschaftler sehen den Unterschied darin, dass die USA nicht auf das Konzept der Assimilation, sondern der gesellschaftlichen Teilhabe setzen. Die USA kennzeichnet nicht nur ein ethnischer, sondern auch ein religiöser Pluralismus. Die zahlreichen religiösen und konfessionellen Gruppierungen pflegen ihre eigene Praxis der Religionsausübung;
die europäische Kopftuchdebatte ist für Amerikaner unverständlich. Andererseits wird von den Religionen erwartet, dass sie sich in der Zivilgesellschaft engagieren und politisch partizipieren.
Die säkularen Verfassungsinstitutionen sind zwar religiös neutral; die Inhaber öffentlicher Ämter freilich bekennen sich zumeist zu einem normativ-religiösen Fundament. Präsident Obama leistete den Amtseid auf die Verfassung mit der Bibel von Präsident Abraham Lincoln und der erste muslimische Kongressabgeordnete mit einem Koran-Exemplar von 1764 aus der Bibliothek von Thomas Jefferson, dem dritten Präsidenten der USA.
Ein wichtiges Merkmal des amerikanischen Integrationsmodells ist die wirtschaftliche und politische Durchlässigkeit der Gesellschaft. Gegen eine solche Gesellschaft braucht man im Unterschied zu einem gettoisierten System nicht zu rebellieren.

Dennoch: Auch in den USA gab und gibt es radikale muslimische Bewegungen wie die 1930 gegründete "Nation of Islam". Sie sind gesellschaftliche und politische Rebellionen von Afroamerikanern gegen weißen Rassismus, die teilweise selbst rassistisch waren und die Überlegenheit der schwarzen Rasse proklamierten. Ihr fundamentalistisches Programm mit der Forderung eines eigenen Staats führte jedoch nicht in den Terrorismus, sondern blieb reine Rhetorik, eine Erscheinungsform des bunten Kosmos im Einwanderungsland USA.

Das amerikanische Integrationsmodell kann nicht einfach auf Europa übertragen werden. Dafür sind die kulturellen Unterschiede zu groß. Aber eines wird doch deutlich: Die Werte des Islam und der westlichen Demokratie müssen sich nicht widersprechen. Es kommt auf die kulturellen, ökonomischen, sozialen und politischen Randbedingungen an.


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