Antwort auf:
In Deutschland sind aber Staat und Kirche getrennt, hier gelten also für die Bürger weltliche und nicht geistliche Gesetze.


In den Islamisierungsdebatten fällt ja immer wieder die Berufung auf die angebliche Säkularität. Fakt ist aber, dass trotz dieser Vorgabe eine absolute Trennung von Staat und Kirche/Religion nicht realisiert ist.
Während man gegen Präsenz der islamischen Religion in der Öffentlichkeit ist und immer wieder die muslimischen Mitbürger anhaltet, ihre Religiosität auf das Private zu beschränken, werden ganz selbstverständlich christliche Traditionen öffentlich gelebt: Erstkommunion, Firmung, Gottesdienst, Religionsunterricht, Kreuze etc. in Kindergärten und Schulen usw. usf.
Die absolute Trennung von Religion und Staat interessiert erst wenn es um die Religion der "Anderen" geht.

Antwort auf:
Man müsste bei einer Abweichung der vollkommen unterschiedlichen Schriften nicht das Grundgesetz überdenken (was im übrigen sowieso nicht in Deutschland, einem abendländisch dominierten Staat mit christlich-jüdischen Wurzeln, passieren wird)


Die Berufung auf die jüdische Tradition mit der man sich seit Neuestem amalgamiert um eine christlich-jüdische Leitkultur zu bilden, dient vor allem der Ausschließung der "Anderen", die man mittels des Leitkulturbegriffs ihres gesellschaftlichen Platzes verweist und komplett ignoriert, dass Muslime eine Geschichte hier besitzen, die aller spätesten seit der damaligen Arbeitsmigration nicht zu leugnen ist, auf die wir angewiesen waren, um das ruinierte Nachkriegsdeutschland wieder zu sanieren. Die damaligen MigrantInnen waren unermesslich für den industriellen und wirtschaftlichen Aufschwung. Migration hat schon immer Städte geprägt, die heutigen Metropolen sind maßgeblich durch Migration entstanden - Stadtgeschichten sind immer auch Migrationsgeschichten und auch die großen deutschen Städte maßgeblich dadurch geprägt worden.

Insofern gehört dadurch auch religiöse Vielfalt zu Europa, denn abgesehen davon, dass auch der Islam ganz wesentliche Einflüsse auf die europäische Kultur von Beginn an hatte, kann man spätesten seit über einem halben Jahrhundert die Zugehörigkeit des Islam zu Europa nicht mehr leugnen, schon allein deshalb weil er ganz einfach zu vielen europäischen Bürgern gehört.

Die Berufung auf eine christlich-jüdische Leitkultur dient jedoch als Antipode zum Islam, um sich von dem "muslimischen Anderen" abzugrenzen und ihnen marginalisierte Plätze zuzuweisen. Fast schon wie schlechter Sarkasmus schmeckt dabei angesichts unserer an Perversion kaum zu überbietenden eigenen faschistischen Geschichte, wenn wir uns nun auf eine gemeinsame christlich-jüdische Tradition stützen, nach dem man Jahrhunderte lang Juden ausgegrenzt, vertrieben und schlussendlich massenweise ausgerottet hat wie "Ratten".

Und nun stehen wir da, und stützen uns auf unsere angeblich christlich-jüdische Tradition. Was kann man sich nun angesichts unserer historischen Vergangenheit, die uns wohl noch in tausend Jahren wie modriges Blut anhaften wird, darunter vorstellen - unter so einer christlich-jüdischen Tradition?

Ich versteh schon, dass es einigen wirklich um radikale Tendenzen gehen mag, die eine globale Problematik unserer Postmoderne darstellen und ein komplexes Phänomen sind - und auch genau deshalb solche Ängste bereiten, die wiederum von anderer Seite geschickt geschürt werden.
Und dann benutzen plötzlich selbst die, die bisher mehr oder weniger offen und liberal waren gegenüber unterschiedlichen Lebensweisen Argumente und Schlagworte, die genau dieser Ausgrenzungspropaganda zuspielen.

Klar gibt es sogenannte "Salafisten" auch in Deutschland und obwohl nicht jeder der einer ist, eine Gefahr für die demokratische Verfassung darstellt, gibt es Menschen die mit ihrer Einstellung diese in Frage stellen. Solange die Verfassung aber nicht tatsächlich verletzt wird, muss man auch das so hinnehmen. Natürlich darf ich ihnen gegenüber meine Meinung äußern, auch öffentlich.
Aber bestimmte radikale Ansichten bekämpfen zu wollen, indem man dem Koran das Grundgesetz gegenüber stellt, heißt nicht nur einzelne Gruppen in Frage zu stellen, sondern den Islam an und für sich und damit konsequenterweise auch sämtliche Muslime!

Für mich ist es jedenfalls der falsche Weg, er führt längerfristig vor allem zur Polarisierung und zu Verschärfung bestehender gesellschaftlicher Konflikte.
In Bezug auf religiöse Radikalisierungsbewegungen müssen wenn schon die islamischen Verbände und Gemeinden selbst und zwar inner-islamisch arbeiten. Was ja auch schon versucht wird - wobei diese leider viel zu wenig unterstützt dabei werden, und stattdessen immer noch mehr in die Defensive getrieben und dazu regelrecht genötigt werden, sich mit pauschalen Generalverdächtigungen zu beschäftigen.


Grüße, Jasmin